10.21

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade in den letzten Tagen und Wochen konnten wir leider den Verlust des politisch-moralischen Anstands in Österreich sehr deutlich beobachten. (Abg. Belakowitsch: Ja, das konnte man be­obachten!) Es ist aber nicht nur der politisch-moralische Anstand, der verloren gegan­gen ist, sondern es scheint auch so zu sein, dass es der menschliche Anstand ist, der dieser Bundesregierung fehlt. Gerade am Beispiel der Mindestsicherung kann man das sehr gut festmachen.

Ich stelle am Anfang sehr einfache Fragen: Will diese Bundesregierung für die Men­schen in Österreich mehr Möglichkeiten schaffen? Will sie Menschen mehr Chancen, mehr Perspektiven eröffnen? Will sie die soziale Sicherheit der Menschen erhöhen? Will diese Regierung den Menschen aus Notsituationen, die persönlich bedingt sein können – welcher Natur auch immer –, heraushelfen? Sind für diese Bundesregierung alle Kinder in diesem Land wirklich gleich viel wert? (Ruf bei der SPÖ: Nein!) – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Blau, wenn ich mir Ihren Vorschlag zum neuen Sozialhilfegesetz anschaue, so stelle ich fest: Die Antwort auf diese Fragen ist dreimal Nein. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

Was wir erleben, ist eigentlich noch etwas schlimmer, denn es ist eine Bundesregie­rung, die Bundesländer gegeneinander ausspielt, die Menschen gegeneinander aus­spielt und mit dem Finger auf diese zeigt – auf die Schwächsten der Schwachen in die­sem Land. Nur eines sei gesagt: Politik hat nicht die Aufgabe, mit dem Finger auf Men­schen oder auf Menschengruppen zu zeigen, auch nicht auf NGOs oder Bundesländer, sondern die Aufgabe der Politik ist und bleibt es, Menschen die Hand zu reichen, wenn diese sie brauchen, Menschen zu unterstützen, wenn sie in Notlagen sind. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Noll.)

Wir erwarten uns von dieser Bundesregierung beziehungsweise von einer Bundesre­gierung, wie wir sie verstehen, dass sie verbindet, dass sie zusammenführt, dass sie nicht spaltet, dass sie nicht hetzt. Dazu bräuchte es aber eines, sehr geehrte Damen und Herren, dazu bräuchte es mehr Anstand und Mitmenschlichkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Gerade am Beispiel der neuen Mindestsicherung zeigt sich auch, dass wir in der So­zialdemokratie ein gänzlich anderes Menschenbild als Sie haben, denn Ihr Entwurf lässt nur einen Schluss zu, nämlich dass Sie davon ausgehen, dass Menschen, die Sozialhilfe beziehen, eigentlich nicht arbeiten wollen – Tachinierer, sagt man in Wien (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch) –; ja, das ist Ihr Menschenbild! Wir haben ein ganz anderes: Wir sind der festen Überzeugung, dass Menschen arbeiten wollen, dass sie ihren Beitrag leisten wollen – für sich, für andere und für die Gemeinschaft, für die Gesellschaft. Das ist etwas, das in uns allen drinnen ist. Wir glauben daran, dass Men­schen genau diese Leistung, diesen Beitrag erbringen wollen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, es gibt Ausnahmen, es gibt Menschen, die vielleicht nicht wollen, aber es gibt vor allem auch jene, die nicht können, die nicht arbeiten können oder ihren Beitrag noch nicht leisten können. Es sind die Kinder, es sind Menschen mit körperlichen und geis­tigen Beeinträchtigungen, die ihren Beitrag vielleicht gerade nicht in dem Ausmaß, wie sie es wollen, leisten können. Klar ist aber: Die allergrößte Mehrheit will. Daher ist das auch eine Grundlage, wie wir die Mindestsicherung zu verstehen haben.

Wir verstehen Mindestsicherung erstens als ein Instrument der Existenzsicherung für jene, die noch nicht arbeiten können – die Kinder und jene Menschen, die es eben aus verschiedensten Gründen nicht können –, und zweitens verstehen wir Mindestsiche­rung als Sprungbrett auf den Arbeitsmarkt. Wenn ich mir Ihren Entwurf anschaue, dann muss ich sagen, Ihre Mindestsicherung, Ihre Sozialhilfe ist kein Sprungbrett auf den Ar­beitsmarkt, sondern ein Sprungbrett direkt in die Armut. Genau das ist es, was ich da­rin lese. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Sehr geehrte Damen und Herren, Aufgabe einer Regierung, der Regierenden und der Politik eines Landes muss es sein, die Armut und nicht die Armen zu bekämpfen. Das wäre unsere ureigenste Aufgabe (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT), das wäre die Basis des sozialen Friedens in unserem Land.

Was besonders betroffen macht, ist, wie kaltherzig Sie mit den Kindern dieses Landes umgehen. Sie kürzen Familien mit Kindern die Mindestsicherung um 40 Millionen Euro. Das ist übrigens dieselbe Summe, die Sie für PR und Werbung in den Kabinetten aus­geben. (Abg. Leichtfried: Unerhört! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Sie ver­langen, dass jedes dritte Kind mit 1,50 Euro am Tag auskommt. Ich frage Sie daher: Kommt Ihr Kind, kommen Ihre Kinder mit 1,50 Euro pro Tag aus? Reicht das zum Le­ben? Reicht das zum Essen? Reicht das für ein geglücktes Aufwachsen und Leben? – Nein, es reicht nicht, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie verfrachten 70 000 Kinder – 70 000 Kinder! – in ein chancenloses Leben. Sie ze­mentieren 70 000 Kinder in der Armut, in einer Perspektivenlosigkeit ein. Sie sorgen dafür, dass Armut vererbt wird. Das ist das Produkt schwarz-blauer Sozialpolitik (Zwi­schenruf des Abg. Gudenus), das ist das Produkt des neuen Stils, das ist die soziale Kälte dieser Bundesregierung. Davon war auch die Gesetzwerdung geprägt: Sie sind drübergefahren und haben ignoriert. Sie haben eiskalt die Proteste der NGOs, der Experten und der Bundesländer ignoriert.

Sie wissen es ganz genau: Dieses Sozialabbaugesetz schafft Kinderarmut, spaltet un­sere Gesellschaft und setzt den Grundstein für Lohndumping in Österreich. Die Sozial­demokratie wird niemals – niemals! – einem solchen Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilen. – Danke schön. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

10.28

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesminister Har­tinger-Klein. – Bitte.