11.26

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Ich habe jetzt allen zugehört und mir meine Meinung aufgrund der insgesamt 142 Stellung­nahmen gebildet, die ich auch entsprechend analysiert habe. Es ist mehr als bezeich­nend, wenn dieses Gesetz in 139 von diesen 142 Stellungnahmen von Organisationen, NGOs, Vereinen, Plattformen als schlecht bezeichnet wird. Wenn es nur drei Stellung­nahmen gibt – von Organisationen, die eigentlich nichts mit Armutsbekämpfung zu tun haben (Abg. Belakowitsch: Von der Volkshilfe! – weiterer Ruf bei der FPÖ: SPÖ!) –, die Ihr Gesetz unterstützen, dann ist das mehr als bezeichnend. Diese drei waren die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und das Land Niederösterreich. Das sind drei Organisationen, die sich nicht unbedingt mit Armut befassen, aber das sei einmal dahingestellt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Wissen Sie, was in diesen Stellungnahmen wirklich herauskommt? Sie beschließen heute ein Gesetz, durch das die Kinderarmut in Österreich steigen wird. (Abg. Wurm: Immer dieselbe Leier! – Zwischenruf des Abg. Noll.) Sie beschließen heute ein Gesetz, durch das Leistungen reduziert werden. Ganz besonders bezeichnend ist es für mich, dass aus der ursprünglichen Textierung in Ihrem Begutachtungsentwurf vom 28. No­vember jetzt der Satz, dass es Ziel sei, Armut zu vermeiden, herausgenommen wur­de – und genau so schaut Ihr Gesetz aus.

Das Schlimmste dabei ist – und ich frage mich das wirklich –: Ist Ihnen als Vertreter von ÖVP und FPÖ bewusst, dass Sie heute Verantwortung dafür tragen, dass die Ar­mut in Österreich steigen wird? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

Da Kollege Neubauer die SPÖ kritisiert hat: Heute hat die Statistik Austria Folgendes veröffentlicht: Die Zahl der armutsgefährdeten Menschen ist in der Zeit von 2010 bis 2019 um 187 000 Menschen reduziert worden, und zwar aufgrund der Mindestsiche­rung, deshalb, weil wir damals die Mindestsicherung eingeführt haben. Die Mindestsi­cherung hat zumindest gewährleistet, dass sie das Mindeste sichert. Was jetzt pas­siert, ist ein Abbau. (Beifall bei der SPÖ.)

Wissen Sie, was schlimm ist? – Ihr Gesetz orientiert sich hinsichtlich der Höhe der Leistungen an der Anzahl der Kinder. Die Formel, die für Sie anzuwenden ist, ist ganz einfach: Je mehr Kinder in einer Familie, desto weniger Leistung. – Ja, da kann man stolz sein! Da muss ich Ihnen wirklich gratulieren! – Das ist wirklich mehr als sozial bedenklich. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Was Sie auch ein bisschen vorbeigeschwindelt haben, ist, dass diese Reduzierung nicht nur für Menschen gilt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sondern auch für Menschen, die keinen Pflichtschulabschluss haben – auch das haben Sie noch mit hineingeschummelt –: Immerhin 16 000 Menschen in Österreich haben kei­nen Pflichtschulabschluss, und diese haben Sie einfach mit jenen gleichgestellt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind; sie bekommen auch weniger Sozialhilfe Neu. Das gehört vielleicht auch einmal gesagt: Was euch da wieder eingefallen ist, auch diesen Menschen in Zukunft weniger Geld zu gewähren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT.)

Weil Kollege Wöginger von Klarstellungen gesprochen hat: Ich muss euch ganz ehrlich sagen, ich werde den Eindruck nicht los – vor allem bei dem Hearing am 15. April, in der Osterwoche, ist es zutage getreten –, dass wir uns als Oppositionsparteien mit eu­rem Verschlechterungsgesetz inhaltlich mehr auseinandergesetzt haben als ihr als zu­ständige und verantwortliche Abgeordnete der Regierungsfraktionen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und JETZT. Abg. Belakowitsch: Eben nicht! Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wisst ihr, das ist mehr als traurig, wenn wir im Hearing beginnen, das Thema Spenden zu hinterfragen, und um 11.42 Uhr hirscht Klubobmann Wöginger mit seiner Sozialmi­nisterin raus aus dem Hearing vor die laufenden Kameras (Abg. Wöginger: Das hat dich gestört, gell?) und sagt: Da werden wir noch etwas klarstellen!

Auch die Klarstellungen sind nicht zufriedenstellend, lieber August Wöginger. Wa­rum? – Ihr habt die Heizkostenzuschüsse wieder als Kannbestimmung verfasst (Abg. Wöginger: Das ist ein Grundsatzgesetz, lieber Freund!) – als Kannbestimmung! –, ihr habt weiterhin die Spenden auf vier Monate befristet (Abg. Rosenkranz: Darf der Kai­ser nichts mehr selber machen? weiterer Ruf bei der FPÖ: Lass ihn, er versteht das nicht!), sodass sie entsprechend nicht angerechnet werden dürfen. (Abg. Wöginger: ... hat eh keiner ausgezahlt!)

Und noch zu Wien, weil das auch passt. (Ruf bei der FPÖ: In Wien gibt es eh schon lange keinen mehr!) – Na das ist ein toller Hinweis! (Abg. Belakowitsch: ... den gibt es schon ewig nicht mehr in Wien!) – Es kommt ständig dieses Argument, da erfolge eine Zuwanderung in unser Sozialsystem, es gebe da Sozialschmarotzer und so weiter. Fakt ist: Keiner von diesen 308 000 Menschen will in der Mindestsicherung bleiben – keiner! Jeder will wieder einen Job haben und arbeiten. (Beifall bei der SPÖ. Ui-Rufe bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ.)

Fakt ist, die Verweildauer beträgt 8,5 Monate – 8,5 Monate! (Abg. Belakowitsch: Durch­schnitt! Was heißt denn das, Durchschnitt?!) Wenn die Leute angeblich alle in der Min­destsicherung bleiben wollen, warum gehen sie denn dann aus der Mindestsicherung wieder raus? – Weil sie rauswollen! Das sind die Fakten. Und Fakt ist auch: In Wien ist die Zahl der Mindestsicherungsbezieher um 9 Prozent gesunken: von 143 000 im Au­gust 2017 auf 129 000 im August 2018. (Abg. Wurm: Sag die ganze Wahrheit!  Abg. Belakowitsch: Nein, das ist die halbe Wahrheit!) Deswegen: Es gibt da keine Zuwan­derung! Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher ist rückläufig, weil sie wieder raus­wollen. Und was machen Sie? Sie hauen dort noch einmal ganz kräftig drauf.

Wenn Ihnen die NGOs, alle Organisationen wichtig sind, die tagtäglich mit armen Men­schen arbeiten, dann nehmen Sie die Kritik dieser NGOs ernst! Sie haben gestern ein Schreiben des Caritas-Präsidenten Dr. Michael Landau bekommen. Lesen Sie das jetzt bitte wenigstens durch! (Beifall bei der SPÖ. Abg. Wurm: Der hat das Gesetz auch nicht gelesen!) Nehmen Sie sich bitte die 2 Minuten Zeit und lesen Sie sich das durch, denn das haben sich nämlich alle Organisationen verdient, dass sie von Ihnen ernst genommen werden. (Abg. Loacker: Die ÖVPler gehen in die Kirche, aber es ist wurscht, was dort gesagt wird!) Wenn Sie das durchlesen und wenn Sie dann noch im­mer sagen, das ist ein gutes Gesetz, dann stimmt irgendetwas nicht bei Ihnen.

Ich appelliere an Ihr Gewissen. Ich appelliere an Ihre soziale Einstellung. Ich appelliere an Ihre christlich-sozialen Werte. (Oh-Ruf des Abg. Gudenus. Heiterkeit bei Abge­ordneten der FPÖ.) Stimmen Sie diesem Gesetz nicht zu, sondern stimmen Sie unse­rem Antrag auf Rückverweisung zu! Wenn Sie das nicht tun, dann werden wir Folgen­des sichtbar machen: Alle Menschen, die jetzt von der Mindestsicherung betroffen sind, und alle Menschen, die in Zukunft durch Ihre Politik noch stärker in diese Min­destsicherung hineinfallen werden, haben ein Recht darauf, zu wissen, wer dieses Ge­setz entsprechend verschlechtert. (Ruf bei der ÖVP: Alle anderen!) Aus diesem Grund werden wir eine namentliche Abstimmung verlangen. (Beifall bei der SPÖ.)

Mein letzter Satz: Frau Bundesministerin Hartinger-Klein, Sie haben hier einmal ganz lautstark zu uns hereingerufen: Wer schafft die Arbeit? (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich muss rufen: Wer schafft die Armut? (Ruf: Die SPÖ!) Sie schaffen damit Armut. (Bei­fall bei der SPÖ und bei Abgeordneten von JETZT. Abg. Leichtfried: Merkts euch das! Ruf bei der FPÖ: Was?)

11.33

Präsidentin Doris Bures: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kira Grünberg. – Bitte.