16.50

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (JETZT): Herr Präsident! Geschätzter Herr Vize­kanzler! Geschätzte Ministerinnen und Minister! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Die ÖVP/FPÖ-Regierung ist seit gut 16 Monaten im Amt. Seither tanzen in beunruhigender Regelmäßigkeit rechtsextremistische, ausländerfeindliche und auch antisemitische Vorfälle aus der Reihe der FPÖ. Nicht, dass es diese nicht schon vorher gab, aber seitdem die FPÖ in der Regierung ist, hat sie eine besondere Verantwortung für die gesamte Gesellschaft übernommen.

Sie tun jetzt gerne so, als wären das nur Einzelfälle, doch das sind sie nicht. Das kann ich Ihnen anhand eines einfachen Rechenbeispiels veranschaulichen: Es gab seit der Regierungsbildung ungefähr 62 FPÖ-Einzelfälle. Das sind ungefähr 3,9 Einzelfälle im Monat, beinahe ein Einzelfall pro Woche. Wenn man jetzt im Wörterbuch unter Einzel­fall nachschlägt, findet man folgende Erklärung: Ein Einzelfall ist ein einmaliges Ereig­nis, ein einmaliger Vorfall. Diese Definition trifft aber auf diese Anzahl von widerlichen und rassistischen Ausfällen überhaupt nicht zu.

Und weil man, wie ich finde, sehr hohe Zahlen auch nicht besonders gut erfassen kann, habe ich mir gedacht, ich veranschauliche 62 Einzelfälle für Sie. „Der Standard“ hat sich die Mühe gemacht, diese zusammenzufassen, und ich habe mir erlaubt, diese in einer Rolle zusammenzufassen, um sie hier vorzuführen. Meine Damen und Herren, das alles sind Einzelfälle, Einzelfälle der FPÖ (einen Stoß mit Zeitungsartikeln be­druckte, aneinander geklebte DIN-A4-Zettel in die Höhe haltend, entfaltend und nach­einander auf den Boden gleiten lassend), alles, alles Einzelfälle. (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

Schafft es nun die FPÖ, sich von diesen extremen rechten Rändern auch wirklich glaubwürdig abzugrenzen? Die sogenannten Einzelfälle ziehen sich durch alle Ebenen, wohin wir schauen, ob Bund, Land oder Gemeinde, überall fallen FPÖ-Funktionäre oder FPÖ-Mitarbeiter mit rassistischen, fremdenfeindlichen, aber auch antisemitischen Äußerungen auf; zum Beispiel der Herr Innenminister, der Flüchtlinge konzentriert in Lagern unterbringen möchte, oder ein Landesrat Waldhäusl, der Flüchtlinge sonderbe­handeln möchte. Jeder, der ein Geschichtsbewusstsein hat, weiß, worauf Sonderbe­handlung abzielt.

Auch sonst sind FPÖ-Mitglieder und -Funktionäre in ihrer Ausdrucksweise nicht immer besonders zimperlich. (Abg. Rosenkranz: Dafür kommt der Herr Pilz aus dem Mäd­chenpensionat, nicht?!) So hat man zum Beispiel einer Grün-Politikerin eine Massen­vergewaltigung durch Flüchtlinge gewünscht. Manchmal tun sich auch erstaunliche ge­schichtliche Wissenslücken auf. Da wissen dann beispielsweise FPÖ-Funktionäre nicht, dass der Begriff Untermensch, den eine FPÖ-Funktionärin für Flüchtlinge ver­wendet hat, ein Begriff ist, der damals im Nationalsozialismus verwendet wurde. Das überrascht, denn die FPÖ betont immer wieder, dass sie Wert auf Tradition und Ge­schichtsbewusstsein legt.

Herr Vizekanzler Strache, ich möchte Ihnen aber schon zugestehen, dass Sie in den letzten 16 Monaten sehr wohl versucht haben, die FPÖ von den antisemitischen Posi­tionen so mancher zu distanzieren. Leider hat es irgendwie nicht gereicht, und es ist nicht so ganz gelungen, diese Verstrickungen von rechtsextremen Kreisen zur FPÖ zu kappen. Das haben auch die umfangreichen Enthüllungen der vergangenen Wochen über die umfangreichen Verstrickungen beispielsweise der Identitären Bewegung mit der FPÖ gezeigt. So ist FPÖ-Innenminister Kickl als Starredner vor dem rechtsextre­men Kongress der Verteidiger Europas aufgetreten. Prominente FPÖ-Anhänger haben den Identitären Unterkunft gegeben und ihnen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung ge­stellt. Funktionäre und Abgeordnete der FPÖ marschieren bei Demonstrationen der Identitären. Der Grazer FPÖ-Bürgermeister hat es in seiner ersten öffentlichen Äuße­rung nicht einmal geschafft, sich von den Identitären zu distanzieren.

Lassen Sie mich festhalten: Diese Identitäre Bewegung, das sind keine harmlosen Spinner oder dergleichen, es handelt sich dabei um eine Organisation, gegen die ak­tuell die Staatsanwaltschaft wegen Terrorverdachts ermittelt, weil diese Identitäre Be­wegung Verbindungen zum rechtsextremistischen Neuseeland-Terroristen aufweist.

Auf eine Sache möchte ich bei der rechtsextremen Identitären Bewegung sehr wohl eingehen, nämlich auf ihre Ideologie. Diese Ideologie der Identitären Bewegung hat den rechtsextremen Neuseeland-Terroristen dazu motiviert, zu den Waffen zu greifen und auf Andersgläubige zu schießen. Diese zutiefst menschenverachtende Ideologie, der er gefolgt ist, ist die These vom großen Austausch. Diese Verschwörungstheorie geht davon aus – das möchte ich hier schon kurz erläutern –, dass irgendwelche ver­borgenen Mächte einen geheimen Plan verfolgen, die „weiße europäische Rasse“ – unter Anführungszeichen – gegen muslimische oder außereuropäische Einwanderer auszutauschen. Das wollte der Christchurch-Terrorist mit allen Mitteln verhindern.

Meine Damen und Herren! Der große Austausch ist die Basisideologie der rechtsextre­men Identitären. Sie verwenden diesen bei jeder ihrer Aktionen, warnen davor und mo­tivieren andere, sich gegen den großen Austausch zur Wehr zu setzen, veranschau­licht anhand dieses Plakats. (Die Rednerin hält ein Bild einer Demonstration von An­hängern der Identitären Bewegung, die ein Transparent mit der Aufschrift „Bald sind wir eine Minderheit im eigenen Land“ „Stoppt den Austausch“ vor sich hertragen, in die Höhe.)

Herr Vizekanzler! Sie haben in den vergangenen Wochen versucht, die FPÖ aus ihren tiefen Verstrickungen mit den Identitären zu lösen. Doch es ist zu wenig und vor allem nicht ausreichend und nicht glaubwürdig. Wenn Sie es aber mit dieser Distanzierung wirklich ernst meinen, Herr Vizekanzler, dann nutzen Sie doch heute die Möglichkeit und stellen Sie hier im Hohen Haus fest: Der große Austausch, diese absurde Ver­schwörungstheorie der Identitären, hat keinen Platz in der FPÖ und auch keinen Platz hier im Hohen Haus! (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

Herr Vizekanzler, lassen Sie es, auch vor dem Hintergrund Ihres eingangs erwähnten Engagements, nicht zu, dass Anhänger dieser terroristischen Ideologie weiterhin in der FPÖ eine politische Heimat finden. Ich bringe heute einen Entschließungsantrag ein, der Ihnen allen, werte Abgeordnete, die Möglichkeit gibt, sich klar von dieser terroristi­schen Ideologie des großen Austausches zu distanzieren. Distanzieren Sie sich heute davon!

Deswegen stelle ich folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Alma Zadić, LL.M., Kolleginnen und Kollegen betreffend „Distan­zierung von der rechtsextremen Verschwörungstheorie des ‚Großen Austausches‘“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um in­nerhalb ihres Wirkungsbereichs die Bevölkerung darüber zu informieren, dass es sich beim so genannten ‚großen Austausch‘ um eine rechtsextreme Verschwörungstheorie handelt, die in der österreichischen Gesellschaft und Politik keinen Platz hat.“

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Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und SPÖ.)

16.59

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadic, LL.M., Kolleginnen und Kollegen

betreffend Distanzierung von der rechtsextremen Verschwörungstheorie des „Großen Austausches“

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage in der 72. Sitzung

Begründung

Martin Lichtmesz, einer der Chefideologen der „Neuen Rechten“ im deutschsprachigen Raum, übersetzte die Hassschrift von Renaud Camus: „Revolte gegen den großen Austausch“ ins Deutsche. In Folge wurde der Slogan vom „großen Austausch“ zum Schlachtruf der Identitären Bewegung. 2014 starteten die Identitären eine große On­line-Kampagne dazu1. „Der große Austausch“ [im Original: „The Great Replacement“] war auch der Titel des Pamphlets, mit dem der Neuseeland-Terrorist seine Taten rechtfertigen wollte.

Hinter der Formulierung „Der große Austausch“ versteckt sich eine rechtsextremisti­sche Verschwörungstheorie, die behauptet, „dunkle Mächte“ planen die weiße „Rasse“/ die „weiße Bevölkerung Europas“ gegen muslimische oder außereuropäische Einwan­dererInnen auszutauschen. So käme es, gemäß der Theorie des „großen Austau­sches“ in absehbarer Zeit zu einem „Untergang Europas“ oder einem „Genozid“.

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um in­nerhalb ihres Wirkungsbereichs die Bevölkerung darüber zu informieren, dass es sich beim so genannten ‚großen Austausch‘ um eine rechtsextreme Verschwörungstheorie handelt, die in der österreichischen Gesellschaft und Politik keinen Platz hat.“

1 https://www.identitaere-bewegung.at/der-grosse-austausch/

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kuntzl. – Bitte.