10.58

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Gernot Blümel, MBA: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie, herzlich willkommen zu einem aus meiner Sicht sehr wichtigen Thema, nämlich: Wie geht es mit unserer gemeinsamen Europäischen Union weiter? Die Zukunft dieser Union wird gerade jetzt vor der Europawahl viel diskutiert. Im öffentlichen Fokus steht dieses Thema jetzt mehr, was gut ist, es war aber auch schon in den letzten Jahren immer wieder am Ta­pet, und genau darauf möchte ich ein wenig eingehen.

Die Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union läuft seit Jahren, wenn nicht sogar ständig. Bereits beim Gipfel in Bratislava im September 2016 haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, an einer neuen Vision für das gemeinsame Europa zu arbeiten. Sie können sich sicherlich alle noch an das Weißbuch von Jean-Claude Juncker erinnern, in dem er in fünf Szenarien präsentiert hat, in welche Richtung sich die Union weiterentwickeln kann. Das hat auch einen Fahrplan beinhaltet (Abgeordnete der SPÖ unterhalten sich in den Bankreihen) – der die Opposition nicht zu interes­sieren scheint, weil da niemand aufpasst; dann erkläre ich es gerne für die anderen Abgeordneten und natürlich auch für die ZuseherInnen auf der Galerie.

Es geht darum, dass in diesem Weißbuch auch klargemacht worden ist, in welchen Prozessschritten sich die Union weiterentwickeln kann. Ratspräsident Donald Tusk hat für letzte Woche einen Gipfel in Rumänien, in Sibiu, angesetzt gehabt, bei dem genau das diskutiert werden sollte: die Zukunft der Union mit konkreten Vorschlägen, um das in eine strategische Agenda zu packen, die dann im Juni präsentiert werden soll.

Der österreichische Bundeskanzler hat dort die Vorschläge der Bundesregierung, wie ein neuer EU-Vertrag vielleicht aussehen könnte, eingebracht und dabei drei Prinzipien festgelegt: Ordnung für Europa – das heißt: die Regeln, die es gibt, sollten wir einhal­ten –; Hausverstand – das heißt: die Regeln, die wir nicht mehr brauchen, die wir nicht mehr anwenden, sollten wir abschaffen –; und wir sollten den Anspruch an dieses Eu­ropa und an uns selbst haben, dass der Wohlstand langfristig gesichert ist und dass Europa ein Global Player bleibt. All das wollen wir bei der künftigen strategischen Agenda implementieren, damit es auch zum Teil des Zukunftsdebattenprozesses wird. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Diese Vorschläge sind ja – auch wenn das derzeit immer wieder gesagt wird – eigent­lich nicht neu, denn Österreich hat sich von Beginn an an dieser Diskussion beteiligt und auch während der Ratspräsidentschaft, die wir im zweiten Halbjahr des letzten Jahres innehatten, intensiv an Vorschlägen mitgearbeitet. Ich darf an dieser Stelle als Beispiel die Subsidiaritätskonferenz nennen, die in Vorarlberg stattgefunden hat. Wir haben Szenario 4 des Weißbuches in der Bundesregierung als Zielrichtung beschlos­sen und gesagt: „Weniger, aber effizienter“. Das heißt, die Union soll sich in den Be­langen zurücknehmen, die Nationalstaaten besser regeln könnten, und dafür in jenen Bereichen, in denen es ein gemeinsames Europa braucht, stärker agieren können. Die Ergebnisse der Konferenz von Bregenz sind auch allgemein zur Kenntnis genommen worden.

Das heißt aber auch, dass wir in den nächsten Jahren in Europa die Anzahl an Geset­zen reduzieren wollen. Wir sagen: Warum nicht tausend Gesetze weniger? – Das fordert einer der Spitzenkandidaten der europäischen Parteien, und ich kann mich erin­nern, dass viele gesagt haben, das gehe doch nicht, das sei zu viel, und gefragt haben, wie denn das funktionieren solle. Das hat mich sehr an die Situation erinnert, als wir in dieser Bundesregierung zu arbeiten begonnen haben und gesagt haben, wir wollen auch in Österreich deregulieren, wir wollen auch in Österreich Gesetze abschaffen, die nicht mehr gebraucht werden. Da haben auch viele gesagt, dass das doch alles nicht gehe, dass es schwierig sei. Was haben wir getan? – Wir haben im letzten Jahr zwei­einhalbtausend Rechtsvorschriften abgeschafft. (Die Abgeordneten Meinl-Reisinger und Schellhorn: Tote Gesetze!) – So setzt man Dinge um, die man ankündigt, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ. – Abg. Schellhorn: Das stimmt ja nicht!)

Ich habe davor viele getroffen, die gemeint haben, das sei nicht möglich. Ich habe da­nach niemanden getroffen, der gesagt hat: Das war nicht gut, das eine oder andere hätten wir noch gebraucht! – Es ist richtig so, und das wollen wir auch auf europäischer Ebene machen.

Es gibt auch noch drei weitere konkrete Punkte, in denen wir für Änderungen eintreten: Es braucht zum Beispiel klare Sanktionen gegen Staaten, die übertriebene Schulden­politik betreiben. Wir wissen mittlerweile, wozu es führen kann, wenn Staaten in einer gemeinsamen Währungsunion sich ständig neu verschulden. Das ist kein Kavaliers­delikt, da braucht es klare Sanktionen. Man kann nicht ständig mehr ausgeben, als man einnimmt. Da braucht es Konsequenzen, meine sehr geehrten Damen und Her­ren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Genauso kann es nicht sein, dass Staaten eine Politik verfolgen, die lautet: Illegale Migranten werden einfach weitergewunken! – Damit wird eigentlich struktureller Rechts­bruch begangen. Auch das kann nicht sein, da braucht es Konsequenzen.

Auch wenn es Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit gibt, ist das kein Kavaliersdelikt. Im Allgemeinen Rat haben wir momentan zwei Artikel-7-Verfahren, eines gegen Ungarn, eines gegen Polen. Als Vorsitzender dieses Rates während unserer Ratspräsident­schaft lag es auch an uns, das voranzutreiben, und das haben wir auch getan. Wir ha­ben aber auch gemerkt, wie zahnlos es manchmal sein kann und wie wichtig es wäre, auch die unabhängigen Gerichte miteinzubeziehen, wenn es um die Bewertung von Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit geht, damit es dann auch zu klaren Konsequen­zen kommt.

Grundprinzip sollte sein: Regeln, die es gibt, sollen angewendet werden – und wenn man sie nicht anwendet, dann sollen sie abgeschafft werden. Das ist Politik mit Haus­verstand, auch auf europäischer Ebene, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Bei­fall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wir begehen in diesem halben Jahr drei Jubiläen, die für die Geschichte der Europäi­schen Union und damit auch für die Geschichte Österreichs sehr relevant sind: 30 Jah­re Fall des Eisernen Vorhanges, 25 Jahre EU-Volksabstimmung und somit den Beitritt Österreichs zur Union und 15 Jahre Erweiterung in Richtung Osten; 2004 ist Österreich dann endgültig wieder vom Rand in die Mitte des gemeinsamen Kontinents gerückt.

Wir haben natürlich die Frage gestellt, was diese Mitgliedschaft konkret gebracht hat; wir haben eine eigene empirische Untersuchung angesetzt. In allen Bereichen, in de­nen wir nachgefragt haben, kommt heraus, dass Österreich auf allen Ebenen sehr von dieser Mitgliedschaft profitiert hat. Der Wirtschaftsstandort ist so attraktiv wie nie. Die Direktinvestitionen aus den anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union haben sich seit der Mitgliedschaft verzehnfacht. Die Exportnation Österreich ist stark wie nie, die Exporte Österreichs innerhalb der Europäischen Union haben sich vervierfacht und außerhalb der Union verdreifacht. Exporte und Investitionen führen bekanntlich zu Wachstum und sicheren Arbeitsplätzen, deswegen ist das ein guter Weg, den wir auch weiter beschreiten wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Damit diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden kann, darf nicht alles bleiben, wie es ist. Die Welt ist im Wandel, alles entwickelt sich weiter, deswegen müssen wir auch unsere gemeinsame Union weiterentwickeln. Die Vorschläge des Bundeskanzlers sind dazu gedacht, dieses gemeinsame Europa weiterhin stark und erfolgreich für uns alle zu halten. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der FPÖ.)

11.06

Präsidentin Doris Bures: Wir gehen in die Debatte ein, und ich mache darauf auf­merksam, dass alle Rednerinnen und Redner in dieser Debatte eine Redezeit von 5 Minuten haben.

Als Erster zu Wort gelangt das Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. Othmar Ka­ras. – Bitte. (Abg. Jarolim: Ich hoffe, es kommt noch etwas mehr als Hausverstand vom Herrn Kurz! Das ist mir ein bissel wenig, nur der Hausverstand!)