16.38

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (JETZT): Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerinnen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist schon mutig von Ihnen, Kollegin Belakowitsch, heute mit Ihren versam­melten FPÖ-KollegInnen das Thema der Armutsbekämpfung aufs Tapet zu bringen.

Warum ist es mutig? – Sie haben sich hierhergestellt und die eigene Ministerin gebe­ten, Zahlen zu präsentieren, die auf der einen Seite – was die Verringerung der Ar­mutszahlen betrifft – eine positive Entwicklung darstellen, aber auf der anderen Seite genau Ihre Handlungen im Jahr 2018, in Ihrer Regierungszeit abbilden. Das betrifft gra­vierende Verschlechterungen für spezielle Personengruppen: Das sind auf der einen Seite ältere Menschen, besonders über 65-Jährige, und auf der anderen Seite eine be­sonders gefährdete Gruppe, nämlich Kinder und Jugendliche.

Sich zu trauen, diese Zahlen heute zu präsentieren, erachte ich für mehr als mutig, denn das zeigt so etwas von offensichtlich, was sich durch Ihre Regierungsarbeit im letzten Jahr genau für diese Gruppen verschlechtert hat und was verursacht worden ist. (Beifall bei JETZT.)

Ich möchte dies noch genauer ausführen, damit das auch dementsprechend transpa­rent wird: Sie sprechen in Ihrer Anfrage von einer neuen Gerechtigkeit, von einer neuen sozialen Gerechtigkeit. Ich möchte dies anhand von Ereignissen zeigen, die im vergangenen Jahr stattgefunden haben. Sie gehen an die ganze Geschichte heran und sagen, Sie wollen auf der einen Seite der Bevölkerung helfen, die arbeitsfähig ist, die Arbeitswillen zeigt, und auf der anderen Seite jene motivieren, die aktuell nicht dazu bereit sind, endlich einmal einen Job zu finden und in den Arbeitsprozess einzusteigen. (Abg. Belakowitsch: Ist das schlecht?)

Auf der anderen Seite, das muss ich hier dezidiert anführen, erwähnen Sie alle mög­lichen Gruppen quer durch alle Bevölkerungsschichten, aber eine ganz besondere Gruppe vergessen Sie; die erwähnen Sie zwar immer, aber Sie vergessen Sie bei je­der einzelnen politischen Maßnahme. (Abg. Neubauer: Arbeitslose Politiker!) Das sind – ich erkläre es Ihnen auch gerne ausführlich – die AlleinerzieherInnen und ihre Kinder in diesem Land.

Im Wahlkampf 2017 waren es die FPÖ, die ÖVP und alle anderen Parteien, die den Alleinerziehenden versprochen haben, dass sie einspringen werden, dass der Staat einspringen wird, wenn ein Unterhaltsproblem vorliegt, wenn sie vor einer Situation stehen, in der sie eine Unterhaltssicherung brauchen. Und genau diese fehlende Un­terhaltssicherung ist ja mitunter einer der gravierendsten Gründe, warum es zu einer derartig hohen Armutsgefährdung genau dieser Gruppe, Alleinerziehender und ihrer Kinder, kommt.

Sie versprechen es, aber bisher wurde der Antrag auf Unterhaltssicherung, dieser zen­trale Antrag, Ihr Wahlversprechen und auch das Wahlversprechen der ÖVP, in jeder Sitzung des Familienausschusses, in der er behandelt wurde – Frau Ministerin Bogner-Strauß ist meine Zeugin –, von Mal zu Mal vertagt. Sie schieben es einfach immer weiter hinaus. In der letzten Plenarsitzung haben Sie einen eigenen Antrag einge­bracht, weil es ja mittlerweile schon so unangenehm ist, dass von der Opposition im­mer wieder gefordert wird, dieses Versprechen einzuhalten. Dieser Antrag lautet: Na, schieben wir es bis 2020 hinaus, eine Lösung zu finden! – 2017 versprochen, 2020 nimmt man sich jetzt einmal als erstes Zieldatum vor! Was passiert in diesen drei Jahren? Wie schaut die Situation für diese Gruppe, die Sie immer erwähnen, für die aber am Ende des Tages einfach nichts rausschaut, aus? Was ist mit den Alleinerzie­henden und ihren Kindern in diesem Land? (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es geht noch weiter: Ich habe gesagt, ich werde gerne ausführen, warum Alleinerzie­hende bei den politischen Lösungen, die Sie anbieten, immer und immer wieder durch­fallen. Es geht weiter mit der Sozialhilfe. Kollege Wöginger hat stolz ausgeführt: Wir er­höhen die Beträge und die verpflichtenden Zuschläge für Behinderte und für Alleiner­ziehende! – Ja, nichts ist passiert. Es stimmt einfach nicht! (Abg. Belakowitsch: Sicher stimmt es!) Ja, es gibt verpflichtende Zuschläge für Menschen mit Behinderung, aber betreffend Alleinerziehende ist plötzlich das Wort verpflichtend weggekommen. (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) Ich kann mir nicht erklären, wo es hingerutscht ist.

Was Sie machen, ist, die Verantwortung auf die Bundesländer zu schieben. Sie ducken sich weg, Sie schieben das einfach weg und sagen, wenn die Bundesländer dazu bereit sind, mehr für Alleinerziehende zu zahlen, dann können sie das machen. (Abg. Gödl: Sie brauchen einen Kurs in Verfassungsrecht! Es gibt eine Bundesverfassung, Frau Kollegin!) Dass Sie als Staat aber ein Minimum an sozialer Unterstützung für Alleinerziehende und ihre Kinder garantieren – nein, da trauen Sie sich dann doch nicht drüber.

Es geht noch weiter, mit dem Familienbonus: Wir haben unter anderem in meinem Hei­matbundesland Oberösterreich die Situation, dass die Kinderbetreuung am Nachmittag kostenpflichtig geworden ist, dass Horte und Krabbelstuben kostenpflichtig geworden sind; all das hat es vorher nicht gegeben. Jetzt kommt es dazu, dass Gruppen plötzlich nicht mehr zustande kommen, es aber Menschen gibt – das sind oft alleinerziehende Personen –, die eigentlich auf eine ganztägige Kinderbetreuung angewiesen wären. Die gibt es aber nicht mehr, weil die entsprechende Gruppenanzahl nicht zustande kommt und eine Förderung durch das Land dann nicht passiert; na dann bietet es die Gemeinde nicht mehr an. (Abg. Gödl: Es gibt auch andere Betreuungsformen! – Zwi­schenruf des Abg. Rossmann.)

Was ist jetzt für diese Person, für diese Alleinerzieherin, am Ende des Tages die Real­ität? – Sie kann ihr Kind nicht in Betreuung geben, sie kann keinem Vollzeitjob nachge­hen, sie muss in Teilzeit gehen. Als Geschenk obendrauf kann sie nicht einmal den vollen Familienbonus beantragen, weil ihr Gehalt nicht hoch genug ist. All das sind Ein­schnitte, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, für eine Gruppe, die besondere Unterstützung brauchen würde. Sie schneiden da immer wieder runter und sagen: Wir tun eh!, aber am Ende des Tages gibt es einfach keine politischen Lösungen für genau diesen Bereich.

Ich möchte noch auf die Zahlen eingehen, die Sie heute schönzureden versucht ha­ben; das habe ich in meinem Eingangsstatement auch anzuschneiden versucht. 1,5 Millionen Menschen – die von Ihnen, Frau Ministerin, erwähnten 17,5 Prozent der Bevölkerung – sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Ja, das ist die Realität, dass sich diese Zahl von 2017 auf 2018 verringert hat. Es sind 7 000 Menschen weniger ar­mutsgefährdet als im Jahr davor. Wissen Sie aber, was gleichzeitig passiert ist? – Gleichzeitig, im gleichen Zeitraum – auch durch Ihre Regierungspolitik im Jahr 2018 –, ist die Zahl der Frauen gestiegen, die mit einem Mehr an Altersarmut konfrontiert ist, auf nämlich 8 000 Frauen. Das sind 8 000 Frauen über 65 Jahre, die nun genau in diese Gruppe fallen und unter Altersarmut und Ausgrenzungsgefährdung leiden. Wei­ters ist bei Personen über 65 Jahren die Zahl der Armutsgefährdeten von 12,9 auf 13,9 Prozent gestiegen.

Das ist nichts, über das ich, wenn ich mich hierherstelle, sagen kann: Ich bin stolz auf unsere Regierungspolitik und darauf, wie positiv wir das alles entwickelt haben! – Nein! (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) – Das sind keine Zahlen von mir, Kollegin Bela­kowitsch, das sind Zahlen von Eurostat. Die kann ich Ihnen gerne zur Verfügung stel­len, aber ich würde mir wünschen, dass sie im Ministerium aufliegen, damit man sich genau mit dieser Problematik, was nämlich Personen über 65 betrifft, auch auseinan­dersetzt und nicht einfach hergeht, das zusammenstreicht, was in der Vergangenheit sehr gut funktioniert hat, und sagt: Na, wir haben eh kein Problem! Wir sind eh so su­per unterwegs!

Es sind immer die Randgruppen, die bei Ihnen am Ende des Tages durchfallen und nicht in dem Ausmaß unterstützt werden, das für diese Gruppen nötig wäre. Manche Branchen sind besonders betroffen. 8 Prozent – und das sind wiederum keine Zahlen von mir, sondern vom IHS, aus einer Studie aus dem letzten Jahr – der Bevölkerung, die einem Job nachgehen, die erwerbstätig sind, sind trotzdem armuts- und ausgren­zungsgefährdet. Warum? – Weil sie zur Gruppe der Working Poor zählen; das heißt, sie gehen arbeiten und haben einfach zu wenig Geld zum Leben.

Diese Gruppe ist besonders in den Bereichen Gastronomie, Handel, Gesundheits- und Sozialwesen tätig. So, und was haben Sie konkret in diesen Bereichen gemacht? – Sie sind hergegangen und haben einfach gesagt: Da gibt es natürlich Problemlagen, da gibt es schlechte Bezahlung! Natürlich gibt es da immer wieder Brennpunkte, die wir auch vorfinden, aber regionalisieren wir einmal grundsätzlich die Mangelberufsliste! Holen wir uns genau in diesen Bereichen, die eh schon schlecht bezahlt sind, noch ausländische Arbeitskräfte, die bereit sind, für einen Billiglohn zu arbeiten, anstatt die Arbeitsbedingungen im eigenen Land anzugehen! (Beifall bei JETZT und bei Abgeord­neten der SPÖ.)

Solange Sie nicht bereit sind, die Bedingungen für genau diese Berufsgruppen zu än­dern, wird sich bei diesen 8 Prozent Working Poor – im Gesundheitsbereich, im Sozial­bereich, in der Gastronomie und im Handel – in unserem Land auch nichts verbessern.

Sie stellen sich her und wollen uns ernsthaft erzählen, dass Sie so im Bereich Armuts­bekämpfung tätig sind, geben aber gleichzeitig in einer Presseaussendung die neuen Zahlen der EU-Silc-Studie bekannt und sagen, dass die Europa-2020-Ziele betreffend Strategie zur Armutsbekämpfung verfehlt wurden. Das ist ja ein Eingeständnis sonder­gleichen! Mich würde einfach interessieren, was die Maßnahmen sind, um dieses Eu­ropa-2020-Ziel, Hunderttausende Menschen aus der Armut herauszuholen, erreichen zu können? – Daran mangelt es einfach, das fehlt mir ganz konkret.

Ich habe im zuständigen Ausschuss schon mehrmals einen diesbezüglichen Antrag eingebracht. Wir haben einen Nationalen Aktionsplan Donauschifffahrt, wir haben ei­nen Nationalen Aktionsplan Bewegung et cetera. Wir haben so viele Nationale Aktions­pläne, aber was wir nicht haben, ist ein Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Kinderarmut in diesem Land.

Deshalb bringe ich heute folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA, Kolleginnen und Kollegen be­treffend „Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Kinderarmut in Österreich“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend einen nationalen Aktionsplan zu erarbeiten, welcher konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut vorsieht.“

*****

Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung!

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Den Schlusssatz bitte!

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA (fortsetzend): Frau Ministerin Har­tinger-Klein, wenn Sie das ernst meinen, dass wir 372 000 Kinder und Jugendliche aus der Armut herausholen, stimmen Sie zu und geben Sie Frau Ministerin Bogner-Strauß auch einen diesbezüglichen Auftrag! – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und bei Abge­ordneten der SPÖ.)

16.48

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Daniela Holzinger-Vogtenhuber, BA, Kolleginnen und Kollegen be­treffend „Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Kinderarmut in Österreich“ einge­bracht im Zuge der Debatte zur dringlichen Anfrage in der 74. Sitzung

Jedes fünfte Kind in Österreich ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – das sind 372.000 Kinder und Jugendliche. Die Armut erhöht ihr Risiko, die Schule vorzeitig zu verlassen und nur einen niedrigen Bildungsgrad zu erlangen. Sie erhöht die Wahr­scheinlichkeit von psychischen Erkrankungen. Armut im Kindesalter beeinträchtigt Le­bensperspektiven und Entwicklungschancen und führt zu Altersarmut. Deutschen Stu­dien zufolge leben arme und weniger gebildete Menschen um bis zu zwölf Jahre kürzer als ökonomisch besser gestellte – je früher sie von Armut betroffen sind, umso stärker die negativen Auswirkungen.

Armut macht auch einsam. Von Armut betroffene Kinder sind massiv in ihren sozialen Kontaktmöglichkeiten eingeschränkt und können nur in stark begrenztem Ausmaß am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Dies kann eine Radikalisierung und Anfälligkeit für fundamentalistische Strömungen begünstigen. Ein OECD-Bericht1 zeigt, dass die Kin­der von Alleinerziehern in Österreich vergleichsweise hohe Verluste beim Haushalts­einkommen hinnehmen mussten, zwischen 2007 und 2014 betrugen diese knapp 14 Prozent. Das ist die drittschlechteste Entwicklung der 22 verglichenen Länder. Als Kinder in Armut gelten laut OECD alle, deren Haushaltseinkommen unter der Hälfte des landesweiten Medians liegt. Der Studienautor Olivier Thévenon nennt in einem Standard-Gespräch2 auch spezifische Empfehlungen, wie etwa den leistbaren und ganztägigen Ausbau der Kinderbetreuung, sowie, dass Arbeitsanreize für beide Eltern gleich stark im Steuer- und Sozialsystem verankert werden. Weiters seien in Österreich manche Sozialtransfers nicht treffsicher, so könnte allein mit einer Steuerung der Wohnbeihilfe die Kinderarmutsrate um 3 Prozentpunkte gesenkt werden.

Auch aufgrund fehlender Unterhaltszahlungen ist die finanzielle Situation für viele Ein-Eltern-Haushalte zum Teil dramatisch, hier würde eine noch immer fehlende Unter­haltssicherung für Abhilfe sorgen. Gerade Kinder in Ein-Eltern-Haushalten sind beson­ders stark betroffen: bei diesen sind es laut EU-SILC 2017 ganze 38% der 0-15-jäh­rigen Kinder, die von Armut und sozialer Ausgrenzung massiv gefährdet sind.3

Das Sozialsystem federt bislang viele Ungleichheiten ab und verhindert dadurch eine noch prekärere Situation für viele Familien. Ohne staatliche Interventionen wären rund 3,5 Millionen ÖsterreicherInnen von Armut betroffen. Mehr als die Hälfte aller Familien mit mehr als zwei Kindern wäre armutsgefährdet. Der Zugang zu flächendeckenden, kostenfreien Kinderbetreuungsangeboten stellt hier einen besonders protektiven Faktor hinsichtlich der Erwerbstätigkeit der Eltern dar, insbesondere von Frauen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend einen nationalen Aktionsplan zu erarbeiten, welcher konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut vorsieht.“

1 http://www.oecd.org/els/familv/Poor-children-in-rich-countries-Policy-brief-2018.pdf.

2 https://derstandard.at/2000089479635/Oesterreichs-Alleinerzieher-bei-Kinderarmut-unter-Schlusslichtern.

3 https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/8/6/7/CH3434/CMS1526286650148/tabellenband eusilc 2017 20180426.pdf

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Petra Wagner. – Bitte.