11.39

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (JETZT): Frau Präsidentin! Geschätzter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Sie haben vorhin das Schweizer Asylsystem als Beispiel dafür genommen (in Richtung Bundesminister Kickl), wie es gut funktioniert. Sie haben es auch als Beispiel angeführt, an das Sie unser System annähern wollen. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Kickl.)

Ich habe mir erlaubt, mir das kurz anzuschauen. Seit April 2019 gilt ein neues Asylgesetz, und das sieht einen Rechtsschutz vor, der eine Rechtsberatung und eine Rechtsvertretung beinhaltet. Die Akteure, die genannt werden, sind sehr wohl Vertreter von NGOs, denn ich habe zum Beispiel die Caritas als eine der aufgezählten Orga­nisationen gesehen, die Rechtsberatung und Rechtsvertretung durchführen. Vielleicht planen Sie das ja noch, in die neue BBU auch die Caritas und andere NGOs ein­zuladen, um da als Rechtsvertreter und Rechtsberater mitzuwirken. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Herr Innenminister! Ich habe Ihnen vor einiger Zeit einmal einen Verfassungskodex geschenkt, und ich hoffe, dass Sie ihn auch gelesen und studiert haben. Gestern haben wir eine sehr interessante Debatte über die europäischen Werte, die euro­päischen Freiheitswerte geführt. Abgeordneter Taschner hat ein glühendes Plädoyer für die Freiheitsrechte Europas gehalten. Die Freiheitsrechte sind der Kern unseres europäischen Rechtsverständnisses, denn sie regeln das Verhältnis des Staates zum Einzelnen. Es geht vor allem um die Freiheit vom Staat. Staatliches Handeln darf nur auf Grundlage von Gesetzen erfolgen, in Rechte Einzelner darf nur aus einem fairen Verfahren resultierend eingegriffen werden.

Jedes faire Verfahren benötigt einen unabhängigen Richter und setzt Waffengleichheit voraus. (Abg. Wittmann: Herr Minister, hören Sie bitte zu! – Abg. Leichtfried – in Richtung Bundesminister Kickl, der mit Abg. Herbert und einem Mitarbeiter spricht –: Herr Minister, könnten Sie vielleicht zuhören und die Privatgespräche einstellen!) Waffengleichheit können wir nur gewährleisten, wenn die Rechtsberatung und die Rechtsvertretung unabhängig sind und ausschließlich im Interesse des Anzeigers beziehungsweise des Betroffenen erfolgen.

Mit diesem Gesetz, Herr Innenminister, hebeln Sie genau diese Grundprinzipien aus, denn die Rechtsvertretung und auch die Rechtsberatung sind nach diesem Gesetz weder vollkommen unabhängig noch erfolgt die Rechtsvertretung ausschließlich im Interesse des Antragstellers beziehungsweise des Anzeigers. Wenn Sie ins Gesetz hineinschreiben lassen, dass die Rechtsberater unabhängig sind, so ist das meines Erachtens nach genauem Durcharbeiten der Regierungsvorlage lediglich ein Lippen­bekenntnis, denn de facto sind die Rechtsberater nicht unabhängig, da sie organisa­torisch Ihnen unterstellt sind. Es gibt das Dienstrecht, es gibt den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung, und die gesamte Geschäftsführung und der Aufsichtsrat stehen, wie wir ebenfalls gehört haben, de facto unter Ihrem Einfluss.

Meine Damen und Herren! Laut den Erläuterungen soll die Rechtsberatung durch die Bundesagentur einen gleichwertigen Ersatz für die Verfahrenshilfe durch Rechts­anwältinnen und Rechtsanwälte darstellen. Wesensgehalt des Anwaltsberufes sind anwaltliche Treue- und Interessenswahrungspflichten. Anwälte dienen ausschließ­lich dem Interesse ihrer KlientInnen. Wenn die Rechtsberatung und insbesondere die Rechtsvertretung durch diese Bundesagentur also einen gleichwertigen Ersatz bieten sollen, dann sind Unabhängigkeit, Vertraulichkeit und Parteilichkeit unabdingbare Vor­aussetzungen. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Um das richtigzustellen, bringe ich einen Abänderungsantrag ein. Ich glaube und hoffe, dass Sie das alle sehr ähnlich sehen.

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadić, Kolleginnen und Kollegen

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage wird wie folgt geändert:

1. In Art. 1 wird in § 2 Abs. 1 Ziffer 2 nach der Wortfolge „Durchführung der Rechtsberatung“ die Wortfolge „und Rechtsvertretung“ eingefügt.

2. In Art. 1 lautet § 13 Abs. 1 nach dem ersten Satz: „Sie haben die Beratungstätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen. Die Vertretungstätigkeit ist jedenfalls im ausschließlichen Interesse der zu vertretenden Person durchzuführen. In der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sind die Rechtsberater zur Verschwiegenheit verpflichtet.“

3. In Art. 2 Ziffer 11 wird in § 52 Abs. 2 nach der Wortfolge „im Verfahren, ein­schließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.“ die Wortfolge „Die Vertre­tungstätigkeit ist jedenfalls im ausschließlichen Interesse der zu vertretenden Person durchzuführen.“ eingefügt.

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Auf einen weiteren Punkt möchte ich auch noch kurz eingehen. Es geht um die Rechtsberatung im Zulassungsverfahren. Der Antragsteller hat einen entsprechenden Rechtsanspruch auch im Zulassungsverfahren, und das hat den Grund, dass dieses Zulassungsverfahren sehr komplex ist. Ich verstehe daher nicht, warum in der Regie­rungsvorlage ein Rechtsanspruch auf Rechtsberatung mit 72 Stunden begrenzt ist. Das könnte dazu führen, dass durch Verlegen des Zeitpunkts der ersten Einvernahme diese 72 Stunden verstreichen und dadurch das Recht des Antragstellers auf Rechts­vertretung ausgehebelt wird.

Um auch das richtigzustellen, stelle ich daher den zweiten Antrag:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadić, Kolleginnen und Kollegen

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage wird wie folgt geändert:

In Art. 3 Ziffer 1 (Änderung des Asylgesetzes 2005) lautet § 29 Abs. 4 Satz 1:

„Bei Mitteilungen nach Abs. 3 Z 3 bis 6 hat das Bundesamt den Asylwerber an einen Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) zu verweisen.“

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Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

11.46

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadic, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (621 d.B.) über die Regie­rungsvorlage (594 d.B.) betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Ge­sellschaft mit beschränkter Haftung erlassen (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G) und das BFA-Verfahrensgesetz, das Asylgesetz 2005 und das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 geändert werden (TO-Punkt 1)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage (594 d.B.) wird wie folgt geändert:

1.         In Art. 1 wird in § 2 Abs. 1 Ziffer 2 nach der Wortfolge „Durchführung der Rechtsberatung“ die Wortfolge „und Rechtsvertretung“ eingefügt.

2.         In Art. 1 lautet § 13 Abs. 1 nach dem ersten Satz: „Sie haben die Bera­tungstätigkeit objektiv und nach bestem Wissen durchzuführen. Die Vertretungs­tätigkeit ist jedenfalls im ausschließlichen Interesse der zu vertretenden Person durch­zuführen. In der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sind die Rechtsberater zur Verschwie­genheit verpflichtet.“

3.         In Art. 2 Ziffer 11 wird in § 52 Abs. 2 nach der Wortfolge „im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.“ die Wortfolge „Die Vertre­tungstätigkeit ist jedenfalls im ausschließlichen Interesse der zu vertretenden Person durchzuführen.“ eingefügt.

Begründung

Während aus der Regierungsvorlage klar hervorgeht, dass die geplante Bundes­agentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen mit der Rechtsberatung von Fremden und AsylwerberInnen betraut werden soll, wird deren Rechtsvertretung nicht explizit als Aufgabe der Bundesagentur angeführt. Allerdings enthält der Artikel 1, § 2 BBU-G (Aufgaben der Bundesagentur) der Regierungsvorlage einen Verweis auf §§ 49 und 52 BFA-VG, die neben der Beratungstätigkeit auch die Vertretung vorsehen.

§ 49 Abs. 2 BFA-VG sieht vor, dass RechtsberaterInnen als gesetzliche VertreterInnen für Minderjährige auftreten sollen. § 52 Abs. 2 BFA-VG sieht vor, dass Asyl­wer­berInnen oder Fremde RechtsberaterInnen ersuchen können, sie in der mündlichen Verhandlung zu vertreten. Im Fall des Schubhaftbescheids bezieht sich die Beratung und Vertretung auch auf die Festnahme und Anhaltung.

Da RechtsberaterInnen der Bundesagentur somit auch Vertretungsaufgaben wahr­nehmen, sollte die Vertretungstätigkeit in diesem Sinne auch explizit in die Regie­rungsvorlage (Artikel 1, § 2 BBU-G) aufgenommen werden. Zudem sollte das zu beschließende Gesetz klar zwischen dem Gebot einer vollständigen und „objektiven“ Beratung und einer parteiischen Vertretung im ausschließlichen Interesse der Ver­tretenen differenzieren.

Laut Erläuterungen soll die Rechtsberatung durch die Bundesagentur einen gleich­wertigen Ersatz für die Verfahrenshilfe durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte darstellen. Wesensgehalt des anwaltlichen Berufes sind die anwaltlichen Treue- und Interessenswahrungspflichten, die den Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin dazu verpflichten, im ausschließlichen Interesse der Klienten zu handeln. Wenn somit die Rechtsberatung und insbesondere die Rechtsvertretung durch die Bundesagentur einen gleichwertigen Ersatz für die anwaltliche Vertretung darstellen soll, dann ist neben Aspekten wie Qualifikation, Unabhängigkeit und Vertraulichkeit, die Partei­lich­keit eine unabdingbare Voraussetzung. Um einen gleichwertigen Ersatz zu bieten, ist diese Voraussetzung in den Gesetzestext mit aufzunehmen.

Während die im Asylverfahren entscheidenden Behörden (BFA, BVwG, VwGH und VfGH) zur Objektivität gemäß Art. 5 und 13 EMRK sowie Art. 6 und 47 EU-Grundrechtecharta verpflichtet sind, ergibt sich aus ebendenselben Bestimmungen, dass die Rechtsberatung und Rechtsvertretung von Fremden und AsylwerberInnen im ausschließlichen Interesse der zu beratenden und/oder zu vertretenden Person zu erfolgen hat. Insbesondere hinsichtlich der Beratung und Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen, müssen die Beratungs- und Vertretungsaufgaben im Interesse des Kindeswohls wahrgenommen werden (Art. 25 EU-Verfahrensrichtlinie).

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Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadic, Kolleginnen und Kollegen

zum Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (621 d.B.) über die Regierungsvorlage (594 d.B.) betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung erlassen (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G) und das BFA-Verfahrensgesetz, das Asylgesetz 2005 und das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 geändert werden (TO-Punkt 1)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage (594 d.B.) wird wie folgt geändert:

In Art. 3 Ziffer 1 (Änderung des Asylgesetzes 2005) lautet § 29 Abs. 4 Satz 1:

„Bei Mitteilungen nach Abs. 3 Z 3 bis 6 hat das Bundesamt den Asylwerber an einen Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) zu verweisen.“

Begründung

Nach geltender Rechtslage ist die Rechtsberatung im Zulassungsverfahren verpflich­tend vorgesehen. Der Antragssteller bzw. die Antragstellerin haben dementsprechend einen Rechtsanspruch auf Rechtsberatung im Zulassungsverfahren. Dieser Rechts­anspruch auf Rechtsberatung im Zulassungsverfahren ist der hohen Komplexität dieses Verfahrensabschnittes und der Rechtsmaterie geschuldet. Die Rechtsberatung ist notwendig, um die Verfahrenshandlung zu verstehen und die Parteien­stellung­nahme mit dem notwendigen Sachverstand zu formulieren.

Die gegenständliche Regierungsvorlage sieht nun vor, dass ein Rechtsanspruch auf Rechtsberatung im Zulassungsverfahren nur bestehen soll, wenn die Einvernahme innerhalb eines Zeitraums von 72 Stunden erfolgt. Findet die Einvernahme nach diesem Zeitraum statt, dann soll die Rechtsberatung nicht mehr verpflichtend sein. Eine solche Bestimmung läuft letztendlich darauf hinaus, dass die Behörde durch Festlegung des Einvernahmetermins den Rechtsanspruch des Antragstellers bzw. der Antragstellerin umgehen kann. Eine solche wesentliche Verschlechterung der Verfah­rensrechte von AsylwerberInnen ist in keiner Weise sachlich gerechtfertigt und daher verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Deshalb schlägt der vorliegende Abände­rungsantrag vor, diese zeitliche Einschränkung zu streichen.

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Präsidentin Doris Bures: Beide Abänderungsanträge sind ordnungsgemäß einge­bracht und stehen daher mit in Verhandlung und zur Abstimmung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr.in Susanne Fürst. – Bitte.