12.10

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (JETZT): Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin! Werte Bundesregierung! Kolleginnen und Kollegen! Nur drei ganz kurze Bemerkungen zur neuen Bundesregierung: Erstens eine kleine Richtigstellung zum Kollegen Lopatka, der meinte, diese Regierung sei im Gegensatz zur Vorgängerregierung nicht demokratisch legitimiert (Abg. Lopatka: Von einer Wahl!): Nein! Die Regierung von Altkanzler Kurz war bis zum mit überwältigender Mehrheit gefassten Misstrauensvotum des Parla­ments eine demokratisch legitimierte Regierung, ab diesem Zeitpunkt war die Regie­rung Kurz nicht mehr demokratisch legitimiert. Die jetzige Bundesregierung ist keine Übergangsregierung, sondern eine ganz normale, demokratisch legitimierte Regierung, nichts anderes! (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Zweitens gibt es einen entscheidenden Unterschied der Regierung Bierlein zur Regie­rung Kurz – ich habe mir die einzelnen Positionen angeschaut –: Das ist die erste Bun­desregierung, die ich persönlich in diesem Haus erlebe, in der im Vergleich zur Vor­gängerregierung jede einzelne Position qualitativ besser besetzt ist. (Beifall bei JETZT.) Das ist doch etwas Tolles! Das ist ja ganz erfreulich. Das war sicherlich nicht der Zweck des Misstrauensvotums, aber es ist ein sehr schönes sachliches Ergebnis.

Drittens, eine ganz persönliche Bemerkung: Ich bin im Dezember 1986 zum ersten Mal im österreichischen Nationalrat angelobt worden und habe bis vor kurzer Zeit nur Re­gierungen mit ÖVP-Beteiligung erlebt – nur Regierungen mit der ÖVP! –, und ich mer­ke plötzlich ein Gefühl einer neuen Freiheit. Das ist so ein schönes Lebensgefühl. (Beifall bei JETZT.) Eine Regierung ohne ÖVP, das ist eine Befreiung. Stellen Sie sich vor, ein ÖVPler ruft gewohnheitsmäßig in einem Ministerium an, um sich einen Posten zu bestellen, und niemand hebt ab! Das ist etwas Besonderes. Da hat sich etwas geändert, und diese Änderung sollten wir nützen. Österreich sollte sich daran gewöh­nen, ohne ÖVP geht’s nicht nur, sondern es geht sogar besser! (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Jetzt zu dem, worum es mir geht: Ich stelle Ihnen da ein Bild hin (das Porträt eines Kindes vor sich auf das Rednerpult stellend), das ist ein Bild von Murtaja Qureiris, der etwas angestellt hat. Er hat als Zehnjähriger in Saudi-Arabien auf einer Straße in ein Megafon reingerufen, dass er sich für Menschenrechte einsetzt. Mit 13 Jahren ist er verhaftet worden. Das saudische Regime hat abgewartet, bis er 18 wird, um ihn dann für das, was er als Zehnjähriger getan hat, hinrichten lassen zu können. Das ist so un­fassbar!

Wir sitzen hier in einem Haus, wo so etwas erstens undenkbar ist und wo zweitens vie­le von uns darauf stolz sind, dass Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen, um sich gemeinsam für die Zukunft unseres Planeten und von uns allen einzusetzen. Dort ist einer mit zehn Jahren auf die Straße gegangen, um etwas Selbstverständliches zu sagen: Ich bin für Menschenrechte. – Ein zehnjähriges Kind, das acht Jahre später von staatlichen Kindesmördern umgebracht werden soll!

Das ist der Punkt, zu dem ich einen Entschließungsantrag einbringe, wobei ich an Sie appelliere, diesem als ganz klares Signal, auch zur Rettung dieses jungen Menschen, zuzustimmen. Erinnern Sie sich, wir haben diskutiert: Sollen wir das König-Abdullah-Zentrum gleich zusperren – es hätte viele Gründe dafür gegeben – oder sollen wir noch warten? Einige von Ihnen, insbesondere aus der ÖVP, aber nicht nur aus der ÖVP, haben gesagt: Wir warten ein letztes Mal, wir signalisieren: Ändert eure Politik! – Das Signal ist aber offensichtlich nicht angekommen.

Mein Entschließungsantrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Peter Pilz, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die Freilassung von Murtaja Qureiris und die Schließung des Abdullah-Zentrums“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, wird ersucht,

1. alle ihr politisch und diplomatisch zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Ermordung des Jugendlichen Murtaja Qureiris zu verhindern und seine Freilassung zu erwirken, und für den Fall, dass diese Verhandlungen scheitern sollten, sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien abzubrechen und das in Österreich zu­geteilte saudi-arabische diplomatische Personal auszuweisen,

2. vom Übereinkommen zur Errichtung des Internationalen König Abdullah bin Abdu­laziz Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog (kurz ‚Errichtungsüberein­kommen‘) zurückzutreten (Art XVIII Errichtungsübereinkommen), sowie

3. das entsprechende Abkommen über den Sitz des Internationalen König Abdullah bin Abdulaziz Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (kurz ‚Amtssitzabkom­men‘) zu kündigen (Art 23 Amtssitzabkommen).“

*****

Ein Nationalrat, der etwas auf sich hält, der etwas auf Menschenrechte hält und der insbesondere Kinder vor einer derart grausamen Verfolgung auf der ganzen Welt schützen will, sollte diesem Antrag zustimmen. Ich glaube, das ist ein wichtiges ge­meinsames Zeichen, das wir am heutigen Tag möglichst einstimmig nicht nur nach Saudi-Arabien senden sollten. – Danke sehr. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.16

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

des Abgeordneten Dr. Peter Pilz, Freundinnen und Freunde

betreffend die Freilassung von Murtaja Qureiris und die Schließung des Abdullah-Zentrums

eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 1 betreffend „Erklä­rungen der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers gemäß § 19 Absatz 2 der Ge­schäftsordnung des Nationalrates anlässlich des Amtsantrittes der neuen Bundesregie­rung“ in der 80. Sitzung des Nationalrates, XXVI. GP, am 12. Juni 2019

Begründung

Wie am 7. Juni 2019 bekannt wurde, soll der mittlerweile 18-jährige Murtaja Qureiris in Saudi-Arabien hingerichtet werden, weil er sich als Kind für etwas einsetzte, auf das wir hierzulande stolz sind: Er hat für Menschenrechte demonstriert. Murtaja Qureiris engagierte sich bereits als 10-Jähriger und nahm an friedlichen Demonstrationen teil. Auf den von CNN veröffentlichten Videos ist eine Gruppe von Jungen auf ihren Fahrrä­dern zu sehen, die gut gelaunt auf der Straße demonstrieren.1 Später hat er durch ein Megaphon gerufen: „Die Leute brauchen Menschenrechte!“2

Drei Jahre später wurde Murtaja Qureiris festgenommen. Heute sitzt er bereits seit fünf Jahren im Gefängnis. Nach seiner Festnahme 2014 kam er zunächst in Einzelhaft. MenschenrechtsaktivistInnen gehen davon aus, dass er damals der jüngste Mensch war, der in Saudi-Arabien im Gefängnis saß. Laut Amnesty International wurde ihm für ein Geständnis die Freilassung versprochen.3

Die saudische Staatsanwaltschaft wirft Murtaja Qureiris vor, an Anti-Regierungsprotes­ten teilgenommen zu haben und einer „terroristischen Vereinigung“ anzugehören. Da­für ziehe die Anklage die Höchststrafe in Betracht. Daher droht dem Teenager, dessen einziges „Verbrechen“ es war, sich für Menschenrechte in seiner Heimat einzusetzen, nun die Todesstrafe durch Köpfen und anschließendem Kreuzigen des verstümmelten Körpers.

Nach dem Fall Khashoggi zeigt das saudische Regime erneut, wie es mit seinen Kri­tikern umgeht und dass es auch vor der Ermordung von Kindern bzw. Teenagern nicht zurückschreckt. Wer Kritiker verhaften, foltern und ermorden lässt, wer 13-jährige Kin­der einsperrt und anschließend köpfen lässt, kann nicht zur gleichen Zeit Partner eines „Dialogs“ über Menschenrechte und Religionsfreiheit sein. Deshalb wird die Bundesre­gierung erneut aufgefordert, das Internationale König Abdullah bin Abdulaziz Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog zu schließen.

Das Regime in Riad versteht nur eine klare und deutliche Sprache: Ohne Respekt vor dem Leben und der Würde von Menschen gibt es keinen Dialog. Diese Grenze muss auch die österreichische Politik in aller Deutlichkeit ziehen. Jetzt.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigenden Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, wird ersucht,

1. alle ihr politisch und diplomatisch zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Ermordung des Jugendlichen Murtaja Qureiris zu verhindern und seine Freilassung zu erwirken, und für den Fall, dass diese Verhandlungen scheitern sollten, sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien abzubrechen und das in Österreich zu­geteilte saudi-arabische diplomatische Personal auszuweisen,

2. vom Übereinkommen zur Errichtung des Internationalen König Abdullah bin Abdula­ziz Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog (kurz „Errichtungsüberein­kommen“) zurückzutreten (Art XVIII Errichtungsübereinkommen), sowie

3. das entsprechende Abkommen über den Sitz des Internationalen König Abdullah bin Abdulaziz Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (kurz „Amtssitzabkom­men“) zu kündigen (Art 23 Amtssitzabkommen).“

1 https://www.spiegel.de/politik/ausland/murtaja-qureiris-teenager-in-saudi-arabien-droht-die-todesstrafe-a-1271507.html.

2 https://kurier.at/chronik/welt/als-13-jaehriger-verhaftet-saudi-arabien-will-teenager-koepfen/400518040.

3 https://www.spiegel.de/politik/ausland/murtaja-qureiris-teenager-in-saudi-arabien-droht-die-todesstrafe-a-1271507.html.

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Präsidentin Doris Bures: Dieser Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nun hat sich Herr Bundesminister Dkfm. Eduard Müller zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.