10.34

Bundesminister für Inneres Dr. Wolfgang Peschorn: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stehe heute natürlich als Innenminister vor Ihnen, aber auch als Vertreter des Außen­ministers, und ich danke dafür, zu diesem sehr wichtigen Thema nun das Wort ergrei­fen zu können. Es ist ein wichtiges Thema, weil es für die Integrität der Europäischen Union von Bedeutung ist und eine zentrale Säule für die Zukunft der europäischen Ge­meinschaft darstellt.

Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Europäischen Union braucht es unserer Ansicht nach einen effektiven Außengrenzschutz, aber auch ein geordnetes Asylwesen und eine geordnete Migrationspolitik.

Klar ist, dass wir die Herausforderungen einer globalisierten Migrationspolitik in Europa nur gemeinsam lösen können, und auf eine gemeinsame Vorgangsweise haben wir uns in Europa bereits geeinigt, nämlich im Juni 2018. Damals ist vereinbart worden, dass wir für eine umfassende Migrationspolitik insbesondere eine effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen benötigen, dass externe Maßnahmen wie Drittstaatenkoopera­tion notwendig sind und dass auch interne Maßnahmen in der Europäischen Union gesetzt werden müssen, die eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik sicherstellen. Nur mit diesem integrierten Ansatz können wir eine gemeinsame Migrationspolitik in Europa sicherstellen und auch die Migrationsströme, über die wir reden, in den Griff bekommen.

Wie weit sind wir mit der Umsetzung dieser in Europa beschlossenen Maßnahmen? – Zunächst einmal ist hervorzuheben, dass die Reform von Frontex vorangeht, Öster­reich hat da entscheidend zum erfolgreichen Abschluss im April 2019 beigetragen. Durch die neue Verordnung, die beschlossen wurde und die Ende 2019 in Kraft treten soll, wird das Ziel verfolgt, dass Frontex die Mitgliedstaaten zukünftig noch besser un­terstützen kann, und zwar insbesondere beim Grenzschutz, in allen Phasen der Rück­führung sowie bei den Drittstaatenkooperationen.

Zentrales Element dabei ist, dass es eine ständige Reserve von 10 000 Einsatzkräften, also Personen, geben soll. Auch Drittstaaten, die nicht direkt an die Europäische Union angrenzen, kann Frontex nach dieser Reform nun beim Grenzschutz unterstützen. Diesbezüglich ist es notwendig, dass noch ergänzende Abkommen abgeschlossen werden. Das ist in Planung und hoffentlich alsbald auch in Umsetzung.

Damit ist aber noch nicht alles getan, es sind noch weitere Maßnahmen zur Stärkung des EU-Außengrenzschutzes in Umsetzung. So wurde beispielsweise die Rechts­grundlage für ein neues Ein- und Ausreisesystem für Drittstaatenangehörige geschaf­fen und ein Europäisches Reiseinformations- und Reisegenehmigungssystem imple­mentiert. Durch diese Maßnahmen soll eine verbesserte Kontrolle der Ein- und Ausrei­se von Drittstaatenangehörigen in die Europäische Union und aus der Europäischen Union sichergestellt werden.

Zudem werden EU-Datenbanken zu Migration, Grenzkontrolle und Kriminalitätsbe­kämpfung verknüpft, um eine bestmögliche Interoperabilität gewährleisten zu können. Damit wird die Absicht verfolgt, Informationslücken zu schließen und letztendlich auch sicherzustellen, dass Daten, über die man verfügt, in rechtskonformer Art und Weise verknüpft werden können, damit die Systeme letztendlich effizienter werden und damit auch der Mitteleinsatz gewährleistet ist.

Neben einem effektiven Außengrenzschutz bedarf es aber auch einer Reform des ge­meinsamen europäischen Asyl- und Migrationssystems. Die Verhandlungen zum zu­künftigen gemeinsamen Asylsystem laufen schon seit einiger Zeit und sind zuletzt, wie wir alle miterlebt haben, ins Stocken geraten. Die Mitgliedstaaten sind sich vor allem uneins, wenn es um die Frage der Zuständigkeit für Asylverfahren geht, und das ist die entscheidende Frage.

Aus österreichischer Perspektive sind folgende Eckpunkte klar und hervorzuheben: Wir brauchen ein System, das von allen Mitgliedstaaten mitgetragen wird. Wir brauchen Regeln, die akzeptiert und von allen Mitgliedstaaten auch eingehalten werden. In diese Richtung müssen wir in der Europäischen Union gemeinsame Gespräche führen und diese hoffentlich auch erfolgreich abschließen.

Wichtige Elemente einer effektiven europäischen Asyl- und Migrationspolitik sind aus meiner Sicht zudem die Reduktion von sogenannten Pullfaktoren, die Vermeidung von Sekundärmigration und eine konsequente Rückführungspolitik.

Die derzeit in der Union diskutierten Vorschläge zu einer gleichsam automatischen Verteilung von Asylsuchenden bergen hingegen Risiken. In diesem Sinne trägt ein au­tomatischer Verteilungsmechanismus nicht zu einer nachhaltigen Lösung, um die ich mich ganz besonders bemühen werde, bei. Es würden nämlich zusätzliche Pullfaktoren geschaffen und die Geschäftsmodelle der Schlepper, die meistens hochgradig kriminell vorgehen, gefördert werden. Nicht alle aus Seenot Geretteten sind schutzbedürftig im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention – natürlich schutzbedürftig im Sinne der Ret­tung des Lebens. Jeder Einzelfall muss genau und bereits an der Außengrenze geprüft werden. Dazu braucht es eben eine effiziente Verfahrensführung, klare Rechte und Pflichten für Asylwerber sowie effektive Konsequenzen bei Schlepperei und Asylmiss­brauch.

Österreich sollte sich daher für ein verpflichtendes Grenzverfahren aussprechen. Das Grenzverfahren sollte an den Außengrenzen stattfinden. Asylwerber sollten demgemäß an der EU-Außengrenze so lange verweilen, bis über ihren Asylstatus – rasch! – ent­schieden wurde. Natürlich brauchen die Staaten an den Außengrenzen die volle Un­terstützung der Europäischen Union, um diese Aufgabe auch leisten zu können. Ös­terreich ist bereit, diese Unterstützung mit Know-how und Experten zu leisten, und hat das bereits in der Vergangenheit bewiesen.

Die Drittstaatenkooperation ist natürlich auch ein wichtiger Bestandteil dieser Gesamt­maßnahmen. Migration und Grenzschutz sollten daher ein wesentlicher Bestandteil der Zusammenarbeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten mit den Partnern außerhalb Europas sein. Es muss uns gelingen, wirtschaftliche und politische Migra­tionsursachen nachhaltig zu bekämpfen.

Wie ist nun die Situation an den Migrationsrouten? – Da spreche ich primär als Innen­minister: Auf der westlichen Mittelmeerroute ist die Situation weitgehend stabil. Auf der sogenannten zentralen Mittelmeerroute gibt es seit Mai 2019 eine kontinuierliche Stei­gerung der Zahl der Ankünfte, allerdings auf niedrigem Niveau. Auf der östlichen Mittel­meerroute stellt sich die Situation jedoch gänzlich anders dar. Die volatile Situation in der Türkei sowie die Instabilität im Iran, in Syrien und in Afghanistan führen zu einem erhöhten Migrationsdruck in Griechenland. Dort gibt es steigende Ankunftszahlen.

Die Situation auf der Route zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Westbalkan ist daher durchaus als äußerst angespannt zu bezeichnen. Schätzungen zufolge halten sich in Griechenland derzeit rund 100 000 Asylsuchende beziehungsweise Migranten auf. Allein in Bosnien gab es heuer rund 20 000 Aufgriffe. Österreich engagiert sich da­her seit Monaten noch stärker am Westbalkan, weil die Situation am Westbalkan für uns natürlich besonders beobachtungswürdig und wichtig ist.

Aufgrund der Schlüsselfunktion der Westbalkanstaaten setzt sich Österreich aktiv für die Unterstützung dieser Länder ein. Ziel dabei sind die Heranführung an die EU-Si­cherheitsstandards sowie die Stärkung der Kapazitäten in den Bereichen Migrations­management, Rückführung und Grenzkontrollen. Es muss ein gemeinsames Anliegen aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union sein, die Kontrolle über die Migrations­ströme vor Ort zu haben. Ziel muss es sein, den Migrationsdruck in dieser Region nachhaltig zu verringern, um künftigen Krisen vorzubeugen.

Dementsprechend findet ein intensiver Austausch mit unseren Partnern des Westbal­kans statt. Ich selbst habe in meiner Funktion als Innenminister bereits die Botschafter aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Nordmazedonien bei mir zu Besuch gehabt und auch mit dem slowenischen Innenminister ein intensives persönliches Gespräch in Slowenien geführt. Derzeit findet in Wien, in meinem Haus, auch ein hochrangig be­setztes Treffen griechischer Vertreter statt, in dessen Rahmen auch diese Frage aus­führlich thematisiert wird. (Abg. Kickl: Ui, mit den Griechen! Ui!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss möchte ich noch auf ein aus meiner Sicht für das Zusammenleben in Europa wichtiges Thema eingehen: Das ist die Frage der Geltung des Schengenraums, unserer Freizügigkeit und Reisefreiheit in Eu­ropa. Gerade da zeigt sich, dass unsere Regeln, die wir uns in Europa gegeben haben, derzeit nicht funktionieren. Die Mitgliedstaaten vertrauen sich wechselseitig nicht mehr und schaffen daher durch Grenzkontrollen neue Grenzen.

Es zeigt sich gerade da exemplarisch: Nur wenn wir es in der Europäischen Union schaffen, wieder zu gemeinsamen Regeln zu finden, die, wie ich eingangs gesagt ha­be, von allen Mitgliedstaaten akzeptiert werden und die damit wieder eine Grundlage für das Vertrauen aller Mitgliedstaaten untereinander sein können, werden wir es schaffen, wieder ohne Grenzkontrollen von einem Mitgliedstaat Europas zum anderen reisen zu können. Wir brauchen daher Regeln, die funktionieren, wir brauchen Regeln, die alle akzeptieren. In diese Richtung müssen wir aus meiner Sicht in Europa arbei­ten, und ich wünsche uns, dass wir diese Arbeit nicht nur alsbald beginnen, sondern sie auch beenden, und das erfolgreich. – Danke. (Beifall bei ÖVP, NEOS und JETZT sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

10.46

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Lopatka. Ab nun gilt die 5-Minuten-Regel. – Bitte.