9.55

Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Österreicherinnen und Österreicher! „Europa in bewegten Zeiten“ – ich habe mir die Frage gestellt: Wann war Europa eigentlich nicht in bewegten Zeiten? Lassen wir die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren: Da gab es den Fall des Eisernen Vorhan­ges, den Jugoslawienkrieg, die separatistischen Bewegungen in Spanien, in Nord­irland. Es waren die Zeiten eigentlich immer bewegt, der Kontinent in Bewegung.

Der Austritt der Briten hat uns aber jetzt alle hart getroffen, vielleicht gerade deshalb, weil es uns vor Augen führt, wie fragil unsere Europäische Union, unsere junge Union in Wahrheit noch ist. Mit Großbritannien verlieren wir auch eines von zwei Ländern mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das ist in vielerlei Hinsicht ein Problem, da so Frankreich eine noch zentralere Rolle zukommt.

Wir stehen heute vor völlig neuen Herausforderungen, gerade in Südosteuropa: dem Druck Erdoğans, dem nicht ausreichenden Außengrenzschutz der Union und dem ra­sant steigenden wirtschaftlichen Einfluss von Playern wie China, wie Russland, wie Saudi-Arabien.

Wenn wir in die Mythologie zurückschauen, so hat es diese Verbindungsachse in den Orient seit jeher gegeben. Die phönizische Prinzessin Europa wurde aus Kleinasien auf dem Rücken von Zeus, der die Gestalt eines weißen Stiers angenommen hatte, nach Griechenland entführt, nach Kreta. Das gilt eigentlich mythologisch als das erste Zeugnis der Verbindung zwischen Europa und dem Orient. Der Mythos erzählt, aber der Logos begründet.

Am Westbalkan herrscht mittlerweile eine Situation, in der wir praktisch nur noch Zuschauer sind und sich sukzessive Länder wie Saudi-Arabien, wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, China, Russland, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika den Einfluss aufteilen. Große Infrastrukturprojekte wie Flughafenbauten, Autobahnen sind in Hand dieser Länder. Montenegro zum Beispiel hat eine Brutto­inlandsproduktverschuldung von über 7 Prozent bei der Volksrepublik China. Diese Mächte, diese Länder stehen quasi direkt in unseren Vorzimmern. Ihnen gehört bereits die Zufahrt zu unserem Haus, vielleicht auch schon der Vorgarten, ja und vielleicht bald unser Wohnzimmer; von den Daten möchte ich gar nicht sprechen.

Genau deshalb, Herr Kollege Kickl, haben wir den Auftrag, gemeinsam zu handeln und nicht weiterhin zuzusehen.

Wenn wir heute sehen, in welch schwieriger Situation Südosteuropa angekommen ist, dann kann die einzig logische Konsequenz für uns heißen: Wir selbst müssen Europa erweitern! Der Arzt und Autor Peter Bamm hat vor über 60 Jahren bereits Folgendes attestiert: „Offenbar muss Europa immer erst in den Zustand äußerster Gefahr geraten, ehe es sich entschließt, das zu tun, was notwendig ist, um am Leben zu bleiben.“

Meine logische Affirmation lautet daher: Wir müssen, um in Zukunft Stabilität zu gewährleisten, eine sinnvolle Erweiterung der Europäischen Union begrüßen. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir brauchen den Zusammenschluss mit dem Westbalkan aus folgenden drei Grün­den: um Frieden und Stabilität zu sichern und so als Europa weiterhin unabhängig und souverän zu bleiben; als klaren Zusammenschluss eines gemeinsamen Kulturkreises; und damit unsere Wirtschaft ausreichend Arbeitskräfte und neue Arbeitsmärkte zur Verfügung hat.

Dass jetzt Emmanuel Macron, Frau Kollegin, im Alleingang eine Absage an Nord­mazedonien erteilt hat und die Beitrittsverhandlungen (Abg. Meinl-Reisinger: Ich habe das bekannterweise verurteilt, Sie brauchen es nur nachzulesen!) – für mich geht es da um die Beitrittsverhandlungen – erneut auf unbestimmte Zeit verschoben werden, sagt mehr etwas über uns als Union aus und weniger über diese Länder vor Ort. Das hat meiner Meinung nach eine verheerende Signalwirkung. (Abg. Meinl-Reisinger: Das kritisiere ich ja genauso! Das können Sie nachlesen in einem Statement von mir!) Die Menschen in Nordmazedonien haben sich an Abmachungen gehalten, haben ihre Ziele alle erfüllt – und die Europäische Union hält sich an ihre Abmachungen nicht.

Herr Macron hat seine eigenen tagespolitischen Themen in Frankreich, seine derzeiti­gen Befindlichkeiten, eventuell das Erstarken des Rassemblement National mit Marine Le Pen, vor das gemeinsame Europa gestellt, und das halte ich für sehr, sehr kurz­sichtig. Wenn das alle 27 Staaten machen würden, dann wäre die EU bald dem Unter­gang geweiht!

Ich wünsche mir in Europa mehr Weitblick, mehr Zuversicht und mehr Handlungs­fähig­keit. Es geht jetzt einmal nur um den Startschuss für Verhandlungen. Das heißt nicht, dass Nordmazedonien sofort dabei ist. Jedes Land hat bei jedem Verhandlungskapitel ein Vetorecht. Es geht darum, dass wir die Verhandlungen aufnehmen.

Welche sind die wichtigsten Instrumente für eine Transformation in Ländern? – Das ist Zuversicht, das ist Hoffnung, und das sind Perspektiven. Es ist allein in unserem Eigeninteresse, da zu handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen! Deswegen wünsche ich mir einen Schulterschluss, dass jeder seine Kontakte zu den anderen Parlamenten auch nutzt und mit anderen Abgeordneten spricht. In Zeiten, die in Europa – in der Vergangenheit und in der Gegenwart – immer bewegt waren, müssen wir auch jetzt aktiv gestalten!

Helmut Kohl hat einmal gesagt: „Ein Europa à la carte, bei dem jeder der Partner nur das aussucht, was ihm an diesem Europa besonders zusagt, kann ebenso wenig unser Ziel sein wie ein Europa, das sich am langsamsten Schiff im Geleitzug ausrichten muss.“

Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir brauchen mehr Europa, und das erfordert mehr Mut und mehr Zusammenhalt von uns allen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

10.01

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Holzleitner. – Bitte.