11.40

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallen­berg, LL.M., betraut mit der Leitung der zum Wirkungsbereich des Bundeskanz­leramtes gehörenden Angelegenheiten für EU, Kunst, Kultur und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrtes Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Gelegenheit, dass ich heute zu Ihnen zum Thema „Die großen Herausforderungen der neuen Europäischen Kommission“ sprechen darf. Seit 1. Dezember haben wir nun tatsächlich eine neue Kommission mit Ursula von der Ley­en an der Spitze, und morgen tagt zum ersten Mal der Europäische Rat unter dem neuen Ratspräsidenten Charles Michel. Das heißt, nun können wir endlich mit der Ar­beit beginnen – und Arbeit gibt es tatsächlich genug.

Ursula von der Leyen und ihr Team haben wiederholt öffentlich erklärt, keine Zeit verlieren zu wollen und vom ersten Tag an eine neue Dynamik erzeugen zu wollen. Das ist positiv, denn Europa braucht neue Dynamik und Europa braucht neuen Schwung. Die Erwartungen sind groß, und die Liste der Herausforderungen ist wahrlich lang. Schon in den ersten 100 Tagen will die Kommission wesentliche neue Vorschlä­ge präsentieren. Beginnen – wir haben es auch gerade gehört – wird sie damit heute und noch dazu zu einem der zentralen Zukunftsthemen unserer Zeit: dem Klimawan­del.

Die Kommission legt heute als erstes großes Vorhaben ihren Vorschlag für den Green New Deal vor. Das soll eines der Leuchtturmprojekte der ersten 100 Tage dieser Kom­mission werden und ist zu Recht auch das dominierende Thema bei der kommenden Tagung des Europäischen Rates. Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen sich klar hinter das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 stellen. Österreich unterstützt dieses Ziel voll und ganz. Klar ist aber auch, dass wir diese Zielsetzung nicht allein erreichen können. Nur im Verbund mit unseren Partnern in der EU sind wirkungsvolle und nach­haltige Maßnahmen im Klimabereich möglich. Die schwierige Diskussion, die wir letz­ten Juni im Europäischen Rat hatten, hat uns aber auch allen gezeigt, dass die Maß­nahmen, die im Klimabereich gesetzt werden müssen, so gestaltet sein müssen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten nicht einschränken.

Meine Damen und Herren, das Ziel der Klimaneutralität 2050 wird nur mit und nicht gegen die Wirtschaft erzielt werden können. Neben den Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes wird auch entscheidend sein, dass Europa zum Vorreiter in Klima­technologie und Klimainnovation wird. Der Übergang zur Klimaneutralität sollte dabei nicht nur als Herausforderung gesehen werden. Wie der kommende Europäische Rat ausdrücklich festhält, birgt er auch großes Potenzial – Potenzial für Wachstum, für neue Geschäftsmodelle, für neue Jobs und für technologischen Fortschritt. Diese Chance sollte genützt werden.

Österreich wird sich aktiv in die Arbeiten auf europäischer Ebene einbringen. Ein Schwerpunkt dabei wird natürlich auch die Förderung erneuerbarer Energien sein. Gerade in diesem Bereich aber stehen wir vor einer besonderen Herausforderung, denn es ist kein Geheimnis, dass viele Mitgliedstaaten auf dem Weg zur Klimaneutra­lität ganz ausdrücklich auf Nuklearenergie setzen. Unsere Haltung dazu ist ganz klar: Atomkraft ist und bleibt für uns keine sichere oder nachhaltige Form der Energiege­winnung. Das ist eine ganz klare rot-weiß-rote Haltung und Linie, die ich erst gestern wieder in Brüssel deponieren konnte. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von FPÖ und Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, die nächste Herausforderung betrifft die Weiterent­wicklung der Europäischen Union selbst. Die Europäische Kommission wird noch im Dezember das Konzept für eine Konferenz zur Zukunft der EU vorlegen. Diese Kon­ferenz soll nächstes Jahr beginnen und bis 2022 laufen. Wir sind uns, glaube ich, alle einig: Die EU darf nicht versteinern, sondern muss in der Lage sein, sich weiterzuent­wickeln. Vieles geht dabei auch ohne Vertragsänderungen, ganz klar, aber es ist sicher richtig, diese nicht gleich von vornherein auszuschließen. Bürgernähe, Effizienz, Ent­scheidungsfähigkeit, Demokratie, das sind die Schlagwörter, die zu nennen sind. Wir können und sollten zum Beispiel bei den Europawahlen nicht für Spitzenkandidaten werben, um dann am Ende völlig andere Personen auszuwählen.

Die Konferenz zur Zukunft der EU bietet eine Chance, Verbesserungen vorzunehmen, und wir sollten diese Chance nützen. Erfolgreich wird dieser Prozess aber nur sein, wenn einerseits im Vorhinein ganz klare Rahmenbedingungen festgelegt werden und andererseits dieser Prozess auch inklusiv ist und auf Augenhöhe gestaltet wird. Die Bürgerinnen und Bürger, die Zivilgesellschaften, die nationale Parlamente müssen von Anfang an Teil dieses Prozesses sein, nicht nur die EU-Institutionen.

Das nächste große Zukunftsvorhaben der Kommission betrifft die Erweiterung – ein Thema, das uns besonders am Herzen liegt. Wie Sie wissen, ist es im Oktober leider Gottes nicht gelungen, einen positiven Beschluss zur Eröffnung der Beitrittsverhand­lungen mit Nordmazedonien und Albanien zu erzielen. Das ist aus unserer Sicht ein schwerer strategischer Fehler. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS sowie der Abg. Yılmaz.)

Die Nichtentscheidung stellt den Ruf der Europäischen Union als ernstzunehmenden Partner in der Region infrage und könnte dazu führen, dass sie Schritt für Schritt ihren Einfluss in der Region verliert. Das können wir nicht zulassen. Unsere Haltung dazu ist ganz klar: Ohne die Länder des Westbalkans ist das europäische Projekt schlicht und ergreifend unvollständig. Da geht es um unsere unmittelbaren Sicherheitsinteressen, aber auch um die Glaubwürdigkeit der EU als Akteur, der in der Lage ist, Sicherheit und Stabilität zu exportieren, statt Unsicherheit und Instabilität zu importieren.

Es gilt jetzt, rasch wieder ein positives Momentum zu erzielen. In diesem Sinne wird die Kommission im Januar einen Vorschlag für eine Reform des Beitrittsprozesses vorlegen. Damit reagiert sie auf eine Forderung Frankreichs, das den Beschluss im Ok­tober blockiert hatte und eben solch einen Vorschlag gefordert hatte.

Österreich wird sich bei diesem Prozess aktiv beteiligen und aktiv einbringen, aber es ist aus unserer Sicht ganz wesentlich, dass dieser Prozess, dieser Reformprozess, nicht als Verzögerungstaktik missbraucht wird. Das haben wir auch in einem Brief an die Kommission klargelegt; einem Brief, der mittlerweile immerhin von 14 anderen Mit­gliedstaaten unterstützt wird. Wir haben uns bereit erklärt, konstruktiv und sachlich in eine Diskussion über Verbesserungen des Erweiterungsprozesses einzutreten – Ver­besserungen sind immer möglich –, aber dies nur im Verständnis, dass das mit einem grünen Licht zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Alba­nien einhergeht. Es geht jetzt darum, sicherzustellen, dass die EU am Ende auch Wort hält und dass die jüngsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang nur ein Schlag­loch und nicht ein Stoppschild auf dem Weg des Westbalkans Richtung EU sind.

Die Diskussion rund um die Erweiterungspolitik steht aber auch symbolhaft für ein anderes Thema, das immer wieder als Vorwurf in Richtung Europäische Union formu­liert wird: Die EU sei international kein Player, sondern lediglich ein Payer. Europa ist zwar der größte Handelsblock der Welt, der größte Binnenmarkt der Welt und der größte Geber von humanitärer Hilfe der Welt, es gelingt uns aber tatsächlich oft nicht, das auch in außenpolitisches Kapital umzumünzen.

Die Europäische Kommission hat sich vorgenommen, das zu ändern, und das ist natürlich zu begrüßen. Wir müssen die vorhandenen Möglichkeiten und Instrumente noch viel besser nützen. Eine erste Diskussion am Anfang dieser Woche mit dem neu­en Hohen Vertreter Josep Borrell mit den EU-Außenministern war schon sehr vielver­sprechend. Das sind natürlich insgesamt nur kleine Schritte, erste Schritte, aber das Ziel ist klar: Europa soll besser in der Lage sein, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen und seine Interessen und Werte international effizient zu vertreten.

Sehr geehrte Damen und Herren, zu den großen Herausforderungen der neuen Kom­mission zählt natürlich auch die Sicherung des Wohlstandes und der Wettbewerbsfä­higkeit der Europäischen Union. Im Frühjahr will die Kommission dazu neue Strategien für die Bereiche Digitalisierung, Industrie und Wirtschaftsstandort vorlegen. Das ist auch dringend notwendig: Europa braucht neue Impulse, um im globalen Wettbewerb seine Position als Wirtschaftsraum und Handelsmacht wahren zu können. Laut einer rezenten Studie kommen heute nur mehr 15 Prozent der wertvollsten Unternehmen der Welt aus Europa; 2009 waren es noch 27 Prozent. Das heißt, innerhalb von zehn Jahren hat sich unser Anteil fast halbiert.

Es geht um die langfristige Sicherstellung unseres Wohlstandes, unserer Arbeitsplätze, unserer Sozialsysteme, kurz: um das europäische Lebensmodell. Damit Europa auch in Zukunft Weltspitze ist, muss man Innovation stärken, in Forschung investieren und Überregulierung beseitigen, und dabei dürfen wir auch nicht davor zurückschrecken, unsere Wettbewerbsregeln neu zu denken.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Liste der Herausforderungen ließe sich natürlich noch fast unendlich ausdehnen: Migration und Sicherheit, die Beziehungen zu USA, China, Russland, sehr wichtig ist aber auch die Wahrung unserer Werte auch im In­nenverhältnis der Europäischen Union. – Bei all diesen Themen ist aber ganz wesent­lich: Diese großen Herausforderungen kann niemand in Europa allein lösen!

Das trifft auch auf uns zu. Für ein kleineres Land wie Österreich, das inmitten des Kon­tinents liegt und das vom Export abhängig ist, ist die europäische Integration schlicht und ergreifend alternativlos. Gerade deshalb darf uns die Entwicklung auf europäischer Ebene auch nicht gleichgültig sein und gerade deshalb muss und wird sich Österreich auch in Zukunft einbringen und einen aktiven und positiven Beitrag leisten.

Die EU hat schon in der Vergangenheit oft genug bewiesen, dass sie den Mut und die Gestaltungsbereitschaft hat, wenn es darauf ankommt. Ich bin zuversichtlich, dass uns das auch in Zukunft gelingen wird. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

11.50

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Köstin­ger. – Bitte.