Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend „Aufzeigen von Missständen in der österreichischen Bildungspolitik“ (576/J)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nun zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 576/J.

Da inzwischen allen Abgeordneten die Dringliche Anfrage zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Begründung

Das Parteibuch ist nach wie vor das wichtigste Buch in österreichischen Schulen. Echte Reformen werden durch den parteipolitischen Zugriff auf unser Bildungssystem verhindert. Seit 100 Jahren werden die gleichen ideologischen Grabenkämpfe geführt. Eigentlich wäre es aber Aufgabe der Politik, sich auf gemeinsame, evidenzbasierte und langfristige Ziele (bis 2030) zu verständigen, die auch über Legislaturperioden hinweg verbindlich sind. Genau genommen ist der Bundesminister für Bildung‚ Wissenschaft und Forschung dafür zuständig, den partei- und machtpolitischen Zugriff auf das Bil­dungssystem zukünftig hintanzuhalten und evidenz-basierte gemeinsame Ziele zu de­finieren. Es ist längst überfällig, dass diese Ziele in einem gesamtgesellschaftlichen Dialogprozess mit allen wichtigen Stakeholdern erarbeitet werden. Doch nach wie vor kommt es auf Kosten aller Generationen immer wieder zu einer verstärkten Vermi­schung von Parteipolitik und Bildungspolitik.

Aber nun zu den jüngsten Vorkommnissen: Vor kurzem wurde bekannt, dass die Om­budsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bundesministerium für Bildung, Wis­senschaft und Forschung von diesem freigestellt wurde, da sie neben dem unabhängi­gen Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle das Buch "Machtkampf im Ministerium" veröf­fentlicht hat. In diesem prangert Frau Wiesinger Missstände im Ministerium und an Schulen an. Sie beschreibt zahlreiche Treffen und Gespräche mit Schulleiter_innen und Pädagogen_innen und kommt zum Schluss, dass Parteipolitik über den - für ein gutes Zusammenleben unserer Gesellschaft - dringend notwendigen Bildungsreformen steht. Sie spricht von Kabinettsmitarbeiter_innen und den verschiedenen Bildungsdi­rektionen, die sich in ihrer Arbeit anscheinend konkurrieren und konterkarieren. Sie zeigt auf, wie das parteipolitische System jegliche Reform verhindert und wie Integra­tionsmaßnahmen auf der Stelle treten.

Die bildungs- und gesellschaftspolitischen Probleme, die von der Ombudsfrau aufge­zeigt werden, sind nicht neu. Sie werden aber in einer Dimension beschrieben, die haarsträubend ist. Das Buch untermauert den Eindruck, dass es in Österreich nicht primär um das Wohl und die Ausbildung unserer Kinder geht, sondern einzig um Macht, Einflussnahme, Postenschacher und Message Control im Sinne der eigenen Ideologie.

Das Buch macht noch einmal deutlich: Parteipolitik muss endlich raus aus der Schule! Parteipolitik hat in der Bildungspolitik nichts verloren. Was Österreich braucht, ist eine echte Bildungsrevolution ohne ideologische Scheuklappen, denn ohne diese verspielen wir die Zukunft unserer Kinder.

Bildung ist der Schlüssel zur Entfaltung eines freien und selbstbestimmten Lebens. Ei­nes Lebens, in dem unsere Kinder Chancen selbständig erfassen und nutzen können. Und trotzdem ist es so, dass wir in Österreich seit Jahrzehnten über Systeme und Strukturen, aber nicht über unsere Kinder und ihr Können diskutieren. Wir lassen zu, dass unsere Kinder in Schubladen gesteckt werden, bevor sie ihre Talente zeigen konnten. Das ist grundfalsch. Und wir akzeptieren das nicht mehr: Weil wir überzeugt sind, dass in jeder und jedem Großes steckt.

Es gibt keinen Grund zu glauben, dass Schulen besser werden, je mehr gut gemeinte Vorgaben die Schulbehörden machen. Eine echte, wirksame Bildungswende kommt von unten, getragen von den Bildungsexpert_innen aus der Praxis. Unser Ziel: Die Politik konzentriert sich darauf, verlässliche rechtliche und finanzielle Rahmenbedin­gungen sicherzustellen und gibt den Schulleitungen sowie den Pädagog_innen die Freiheit und Verantwortung zur Umsetzung und Gestaltung. Daher braucht es umfas­sende pädagogische, personelle und finanzielle Autonomie und Verankerung der Ele­mentarpädagogik im Bildungsbereich.

Wir brauchen pragmatische Lösungen, in deren Zentrum immer die Selbstermächti­gung des Menschen steht.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende

Dringliche Anfrage

1.         Was werden Sie tun, um den parteipolitischen Zugriff auf unser Schulsystem zu unterbinden?

2.         Im Bildungsreformpaket 2017 wurde in § 5 Abs. 4 des Bildungsdirektionen-Ein­richtungsgesetzes Folgendes verankert: „Die Bewirtschaftung der Lehrpersonal­ressourcen hat sich jedenfalls an der Zahl der Schülerinnen und Schüler, am Bildungsangebot, am sozio-ökonomischen Hintergrund, am Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler sowie an deren im Alltag gebrauchter Sprache und an den regionalen Bedürfnissen zu orientieren. Das zuständige Mitglied der Bundesregierung kann zur Berücksichtigung des sozio-ökonomischen Hinter­grunds der Schülerinnen und Schüler durch Verordnung entsprechende Krite­rien festlegen.“ Wann ist mit dieser Verordnung zu rechnen? Auf welche sozio-ökonomischen Faktoren werden Sie fokussieren und wie viel „frisches“ Budget wird dafür in die Hand genommen?

3.         Wie werden Sie in unserem Schulsystem hinkünftig für mehr Autonomie in a) pädagogischer b) personeller und c) finanzieller Hinsicht sorgen?

4.         Was war die Aufgabenstellung der Ombudsstelle für Wertefragen und Kultur­konflikte?

5.         Aus welchem Grund wurde der Ombudsfrau Susanne Wiesinger die externe Beraterin Heidi Glück an die Seite gestellt?

6.         Was war die Aufgabenstellung der externen Beraterin?

7.         Wurde diese Beratungsleistung ausgeschrieben? Wenn ja, wie erfolgte die Aus­wahl? Wenn nein, warum nicht?

8.         Welche Kosten für die externe Beraterin fielen seit der Einrichtung der Ombuds­stelle für Wertefragen und Kulturkonflikte an? Bitte um Nennung der genauen Beratungsleistung und Anzahl des verrechneten Aufwandes in Euro bzw. der verrechneten Stunden.

9.         Wie viele Treffen gab es zwischen der Ombudsfrau und der externen Beraterin?

10.       Ist es überhaupt üblich, Mitarbeiter_innen externe Berater zur Seite zu stellen? Wenn ja, auf welche Fälle trifft das zu? Wenn nein, warum dann bei einer wei­sungsfreien Ombudsstelle?

11.       Welche Kosten fielen außerdem seit der Einrichtung der Ombudsstelle für Wer­tefragen und Kulturkonflikte an? Bitte um detaillierte Auflistung der einzelnen Kostenstellen.

12.       Mit welcher Begründung wurde Frau Wiesinger von ihrem Dienst als Ombuds­frau freigestellt?

13.       Inwiefern hat Frau Wiesinger ihre vertraglichen (oder gesetzlichen) Pflichten ge­genüber dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung verletzt?

14.       Welche Kosten entstehen dem BMBWF durch die vorzeitige Auflösung des Ver­trages mit Frau Wiesinger?

15.       Wie erfolgte die Kommunikation zwischen der Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte und

a. dem Bundesminister bzw. der Bundesministerin?

b. dem Kabinett des Bundesministers bzw. der Bundesministerin?

16.       Was war die Erwartungshaltung bzgl. des Tätigkeitsberichtes? Wurde eine Vor­gehensweise vereinbart, die bestimmte Themen aussparen sollte? Wenn ja, welche waren das und von wem wurde diese Vorgehensweise vorgeschlagen?

17.       Wie kommt Ihres Erachtens Frau Wiesinger als weisungsfreie Ombudsfrau zu dem Schluss, dass ihre erwarteten Ergebnisse nur "die Positionen der ÖVP un­termauern" sollten?

18.       Wer aus dem Kabinett hatte Kontakt mit Frau Wiesinger?

19.       Was meint Ihres Erachtens Generalsekretär Martin Netzer in der ZiB vom 19.1.2020 mit der Aussage "Bildungspolitik ist immer auch Parteipolitik"?

20.       Aus den Ausführungen von Frau Wiesinger kann eine breite Zustimmung bei den von ihr besuchten Personen und Institutionen zu einem Ethikunterricht für alle zusätzlich zum Religionsunterricht herausgelesen werden. Wie stehen Sie dazu, dass offenbar nicht nur zahlreiche Bildungs- und Integrationsexpert_in­nen, sondern auch Praktiker_innen die Einführung eines solchen Faches unter­stützen und als gesellschaftlich relevant sehen?

21.       Welche Maßnahmen sind seitens des Ministeriums konkret geplant, um folgen­den im Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle identifizierten Missständen entge­genzuwirken?

a. fehlende soziale Durchmischung an Brennpunktschulen

b. fehlende Sanktionsmöglichkeiten bei fehlender Kooperation der Schüler_in­nen und/oder ihrer Obsorgeberechtigten

c. fehlende Dolmetscher_innen an Schulen

d. fehlendes Personal (Lehrer_innen, Schulsozialarbeiter_innen, Schulpsycho­log_innen, Schulärzt_innen)

e. fehlende administrative Bürokräfte zur Unterstützung der Pädagog_innen und Schulleiter_innen

f. fehlendes Mitspracherecht der Schulleiter_innen bei der Auswahl von Re­ligionslehrer_innen

g. fehlende Autonomie bei der Entwicklung und Implementierung von politi­schen Maßnahmen, u.a. bei der Deutschförderung

h. fehlende Autonomie über den Einsatz von Ressourcen

i. fehlende Burn-Out-Prävention

j. fehlender Leitfaden im Umgang mit Werte- und Kulturkonflikten, der den rechtlichen Rahmen erläutert, Anlaufstellen auflistet und Anregungen für ein schrittweises Vorgehen beinhaltet

k. nicht ausreichend Praxis in der Ausbildung von Pädagog_innen

l. fehlende Möglichkeiten, schwierige Situationen schnell und unbürokratisch an der Schule zu lösen (Wertekonflikte, Gewaltvorfälle)

m. schlechtes Image des Lehrer_innenberufs

n. fehlende anonyme schulinterne Befragungen zu heiklen Themen wie Rassis­mus und Diskriminierung

o. schlechte Vorbereitung auf Konfliktsituationen und den Alltag an Brennpunkt­schulen in der Lehrer_innenausbildung

p. fehlende "Brückenbauer_innen", Pädagog_innen mit Migrationshintergrund

q. fehlende Primär-, Sekundär- und Tertiärgewaltprävention an Schulen (Tätig­keitsbericht S. 47/48)

r. fehlende Kommunikation beim Wechsel von Schulen bzw. dem Übergang vom Kindergarten in die Volksschule

s. fehlende Handlungsmöglichkeiten bei Verdacht auf Zwangsheirat/FGM/Ge­walt in der Familie

t. nicht ausreichende politische Bildung von Schüler_innen

u. negativ behafteter Integrationsbegriff

v. fehlende Zusammenarbeit zwischen Schulen und außerschulischer Jugend- und Kinderarbeit, Vereinen und Netzwerken der Nachbarschaft

w. fehlende verpflichtende Elternbildung bei Verdacht auf Extremismus o.ä.

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs 2 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und der Erstanfragestellerin Gelegen­heit zur mündlichen Begründung zu geben.

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf Frau Abgeordneter Klubobfrau Meinl-Reisinger als erster Fragestellerin zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Minuten nicht überschreiten darf, das Wort erteilen. – Bitte.