17.48

Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Werte MinisterInnen! Ich komme aus dem Stubaital, aus einem sehr kleinen Dorf. Meine Eltern waren beide im Lehrberuf. Mein Vater war Lehrer im polytechnischen Lehrgang – so hat das damals noch geheißen –, ganz zum Schluss auch Direktor einer polytechnischen Schule. Meine Mutter war Hauptschullehrerin. Ich selber war auch in der Hauptschule, weil das dort grundsätzlich so üblich war und nur sehr wenige auserwählte Kinder überhaupt aufs Gymnasium in die Stadt geschickt wurden.

Ich war eigentlich eine recht gute Schülerin – zumindest habe ich mich immer gegen Jahresende doch noch zusammengerissen – und hätte trotzdem, obwohl durchwegs in der ersten Leistungsgruppe und trotz lauter Einsern bis auf einen Zweier, fast nicht die Möglichkeit gehabt, in eine Schule zu gehen, in der ich maturieren konnte. Ich hatte noch Glück. Ich habe ganz knapp einen Platz, Platz 35 von 36, in einer HBLA in Inns­bruck erwischt. Viele meiner KlassenkollegInnen aus der Volksschule und aus der Hauptschule haben diese Chance nicht gehabt, deren Bildungsweg ist deutlich abge­schnitten gewesen, obwohl sie von den Leistungen her selbstverständlich gleich gut gewesen wären wie Kinder in der Stadt beziehungsweise Kinder, die auf dem Gym­nasium waren.

Wir haben grundsätzlich ein Problem in unserem Schulsystem, das regelmäßig von der OECD, von BildungswissenschafterInnen bescheinigt wird: In Österreich wird Bildung nach wie vor vererbt. Es ist kein Geheimnis, wofür wir Grüne stehen. Wir stehen dafür, dass jedes Kind, jede Schülerin, jeder Schüler, egal woher er kommt, wo er aufge­wachsen ist, im Dorf, in der Stadt, welche Erstsprache er oder sie spricht, die gleichen Chancen haben soll. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.) Um diese gleichen Chancen zu erreichen, ist es notwendig, so früh wie möglich anzu­setzen. Sie wissen, wir setzen uns ganz stark für den Ausbau der Elementarpädagogik ein, und es ist auch gelungen, im Regierungsprogramm tatsächlich einen deutlichen Ausbau der bereits bestehenden 15a-Vereinbarung – das bedeutet, das Geld kommt schnell – zu erreichen. Wir haben eine Ausbildungsoffensive in diesem Bereich er­reicht. Wir haben auch, was die Ausbildung betrifft, ganz zentrale Punkte verankern können, zum Beispiel DAF/DAZ-Module, das heißt Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache, in allen pädagogischen Ausbildungen, sodass alle Lehrerinnen und Lehrer im Grunde einmal gehört und gelernt haben, wie Deutsch als Zweitsprache oder als Fremdsprache zu unterrichten ist.

Wir haben in diesem Regierungsprogramm das bereits erwähnte 100-Schulen-Pro­gramm verankert; Kollegin Hamann wird noch genauer darauf eingehen. Wir haben Maßnahmen wie zum Beispiel die Evaluierung des sonderpädagogischen Förderbe­darfs vorgesehen, was bedeutet, dass er angepasst werden muss, weil der Deckel nicht passt, und, und, und. Wir haben in diesem Regierungsprogramm ganz viele Maß­nahmen setzen können, die jenen Kindern, die in unserem Schulsystem benachteiligt sind, massiv weiterhelfen und zu besseren Chancen und mehr Chancengerechtigkeit verhelfen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich möchte ein bisschen darauf eingehen, was in der Debatte rund um dieses Buch von Frau Wiesinger thematisiert worden ist, nämlich in Bezug auf die Parteipolitik: Ja, wir wissen, das ist ein Thema. Wir haben im Rahmen der Bildungsreform 2017 – Kolle­gin Sonja Hammerschmid war damals Ministerin und wird sich daran erinnern; sie ist gerade nicht im Saal, sehe ich (Abg. Kollross: Da ist sie! – Abg. Hammerschmid: Da!); ah, da ist sie – zahlreiche Maßnahmen gesetzt, um betreffend die Besetzung von Posten vorwärtszukommen und eben nicht auf diesen parteipolitischen Dingen drauf­zupicken.

Wir haben damals hineinverhandelt, dass es betreffend Schulleiterinnen und Schullei­tern zu einer Entparteipolitisierung kommt, nämlich über die Beschickung der Begut­achtungskommission durch den Fachausschuss beziehungsweise über ein Hearing der Kandidaten und Kandidatinnen für die Schulleitung an den betroffenen Schulen, über die Einsicht der Schulgemeinschaftsausschüsse, der Dienststellenausschüsse, der Schulforen in die Bewerbungsunterlagen geeigneter Bewerber und Bewerberinnen, so­dass bei der Bestellung von Schulleiterinnen und Schulleitern Transparenz hergestellt wird.

Alle reden jetzt über die Ombudsstelle für Wertefragen, die Susanne Wiesinger inne­hatte. Wir Grüne haben aber damals, also schon zuvor, eine allgemeine Ombudsstelle ins Bildungsministerium hineinverhandelt, die jetzt – leider ein Jahr später als im Ge­setz vorgesehen – mit Beginn dieses Schuljahres eingerichtet wurde. Ich hoffe, dass diese Stelle in Problem- und Beschwerdefällen auch genützt wird, sodass wir Hilfestel­lung anbieten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen können.

Wir haben damals, 2017, auch eine Ausweitung der Rechte des Ständigen Beirats der Bildungsdirektionen hineinverhandelt, die Möglichkeit einer Akteneinsicht und der Be­einflussung der Tagesordnung. Das klingt jetzt relativ lapidar, aber das ist eine deutli­che Verbesserung gegenüber der vorherigen Situation, weil es eben verunmöglicht, dass so leicht Einfluss genommen werden kann.

Die Bildungsreform, die wir 2017 verhandelt haben – da waren Sie, Herr Faßmann, noch nicht dabei, das war noch mit Ihrer Vorgängerin –, ist erst jetzt in Umsetzung, und wir erhoffen uns schon sehr, dass es dadurch zu deutlichen Verbesserungen kommt.

Ganz grundsätzlich zum Buch von Frau Wiesinger: Ja, sie spricht Dinge an, die rele­vant sind, die wir seit vielen Jahren diskutieren. Es ist allerdings auch ein bisschen be­fremdlich, in welchem Ton sie das tut und wie apokalyptisch ihre Schilderungen sind. Wenn man dieses Buch liest, dann hat man das Gefühl, der Untergang des österrei­chischen Bildungssystems stehe unmittelbar bevor – sie formuliert es auch so. (Abg. Schellhorn: Ist schon!) Davon sind wir jedoch definitiv ganz weit entfernt und davon kommen wir auch mit dem Regierungsprogramm, das wir vorgelegt haben, deutlich weg. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Es ist auch problematisch, wie dieses Buch diskutiert wird und wie die Probleme in diesem Buch geschildert werden, diskutiert werden, nämlich dass da immer recht anekdotische Evidenz angeführt wird, irgendwelche Zahlen, wo man nicht genau weiß, was die Quelle ist, keine wissenschaftliche Einordnung et cetera. Wir haben in diesem Regierungsprogramm an sehr vielen Stellen auch auf wissenschaftliche Expertise Be­zug genommen, wir haben an vielen Stellen notwendige Evaluierungen vorgesehen. An dieser Stelle möchte ich auch sagen, dass eine Evaluierung nicht grundsätzlich et­was ist, womit man aufschiebt, sondern es ist notwendig, Evaluierungen zu machen, um datenbasiert, empiriebasiert Politik machen zu können. Das werden wir in vielen Bereichen machen, und wir werden damit genau das Gegenteil von dem machen, was Frau Wiesinger in ihrem Buch gemacht hat, nämlich wissenschaftsbasiert und zahlen­geleitet Politik machen.

Ich stimme der von mir sehr geschätzten Bildungswissenschaftlerin Barbara Herzog-Punzenberger zu, die in der heutigen Ausgabe des „Standard“ zu Recht dafür plädiert, zurück zur sachpolitischen Debatte und weg von diesen Anekdoten zu kommen, hin zu der Bezugnahme auf die Wissenschaft; deshalb haben wir an vielen Stellen die Wis­senschaft und auch Evaluierungen verankert. Sie schreibt: „Dass mit dem Regierungs­programm hier einige Weichen gestellt wurden, die mit geeigneten Inhalten und Pro­zessen versehen, in die richtige Richtung führen könnten, nährt meine Hoffnung, dass eine Rückbesinnung auf wissenschaftliche Expertise auf der Tagesordnung steht.“ – Das ist und bleibt auch mein Anliegen, unser Anliegen, das wir gemeinsam umsetzen werden. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Abg. Wurm: Sehr seicht! Das war jetzt sehr seicht!)

17.56

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Brandstät­ter. – Bitte.