12.06
Bundesminister für Finanzen Mag. Gernot Blümel, MBA: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Abgeordnete! Aber auch meine sehr geehrten Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen, und wir leben zweifellos an einer Zeitenwende. Dass es in dieser Situation zum ersten Mal seit 1953 keine klassische Budgetrede gibt, ist da fast schon die banalste Maßnahme und hoffentlich auch eine Ausnahme in der Geschichte der Zweiten Republik.
Im Februar hatten wir noch eine gänzlich andere Situation vor uns: Wir hatten damals in Österreich eine Rekordbeschäftigung. Noch zu Beginn letzter Woche, am 9. März, hat es eine Presseaussendung eines österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes gegeben, in der Folgendes zu lesen war – ich möchte das kurz zitieren –: „Die Ergebnisse“ des Konjunkturtests „zeigten im Jänner und Februar eine leichte Aufhellung der Stimmung in den österreichischen Unternehmen. [...] Auch im“ Konjunkturtest „zeigten sich bislang noch keine Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie.“
Das war letzte Woche, Montag. Heute, circa zehn Tage später, ist die Welt eine andere, auch aus Sicht des Finanzministers. Das Coronavirus hat sich von einer mutmaßlich chinesischen Herausforderung zu einer weltweiten Pandemie entwickelt. Mittlerweile gibt es in Österreich viele Tausend Infizierte und leider auch schon Todesopfer zu beklagen, das gesellschaftliche Leben ist faktisch zum Erliegen gekommen, die Menschen haben Ängste, und ganz Österreich befindet sich quasi im Notbetrieb.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken – bei allen Einsatzkräften, bei den Ärztinnen und Ärzten, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitsbereich, bei allen Behörden, die in den letzten Tagen so intensiv daran gearbeitet haben, das Schlimmste zu verhindern und zu helfen, wo es nur geht, und vor allem auch bei den stillen Heldinnen und Helden des Alltags: bei den Supermarktkassiererinnen, bei den Reinigungskräften, bei den U-Bahn-Fahrern und bei den Zivil- und Präsenzdienern. Ein großes Danke an Sie alle! (Allgemeiner Beifall.)
Noch vor circa zwei Wochen hätte ich eine Budgetrede vorbereitet gehabt, in der ich von einem soliden Überschuss gesprochen hätte. Am Montag letzter Woche, als die soeben zitierte Presseaussendung gekommen ist, waren wir im Finanzministerium gerade dabei, einzelne Halbsätze aus der Budgetrede zu adaptieren, Begriffe an Stellen, die vielleicht anders besser formuliert wären, durch andere zu ersetzen.
Am Dienstag, als die Bundesregierung die Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens verhängt hat, bei denen es darum gegangen ist, dass Veranstaltungen mit einer gewissen Besucherzahl nicht mehr stattfinden dürfen und abgesagt werden, habe ich dann mit einigen Wirtschaftsforschern dieses Landes telefoniert, um eine Einschätzung zu bekommen, was denn das für das Budget und für die Budgetrede, die ich, vom damaligen Zeitpunkt aus gesehen in einer Woche, halten sollte, heißt. Und es war nicht ganz klar, welche Einschätzung da gilt. Manche haben gesagt: 0,2 Prozent Wirtschaftswachstumseinbruch, andere: 0,3? 0,4? 0,5?
Wir haben dann im Finanzministerium etwas gemacht, was so auch noch nicht passiert ist: Wir haben eine Woche vor dem Vorlegen des Budgets die Einnahmenschätzung nochmals adaptiert – von einem doch soliden Überschuss in Richtung minus 600 Millionen Euro im administrativen Budget.
Am Mittwoch habe ich die gesamte Budgetrede genommen und weggeworfen, weil wir gewusst haben: Es wird noch ganz anders kommen.
Eine Ausnahmesituation erfordert zweifellos auch Ausnahmemaßnahmen, und daher gelten für dieses Budget gänzlich andere Maßstäbe als für frühere Budgets. Es ist ein Budget der Krise, ein Budget, welches die bittere Wahrheit der Krise, soweit es geht, in Zahlen wiedergeben muss, welches aber auch sicherstellt, dass wir gemeinsam möglichst alles tun, damit die Menschen ihre Fixkosten decken können und damit möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben. Es soll ein Weg aufgezeigt werden, wie wir als Österreich es gemeinsam schaffen können, gut durch diese Krise hindurchzukommen.
Entscheidend ist in dieser Situation nicht – das sage ich aus voller Überzeugung –, welche Zahl am Ende des Jahres im Rechnungsabschluss steht, sondern entscheidend wird einzig sein, wie viele Menschenleben wir gerettet haben, wie viele Arbeitsplätze wir gesichert haben und wie viele Unternehmen wir vor der Insolvenz bewahrt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist meine feste Überzeugung. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)
Wir können jetzt noch nicht absehen, welche Zahlen am Ende des Tages dort stehen werden, aber wir wollen tun, was notwendig ist – da darf ich mich auch bei Ihnen allen bedanken, denn wir haben bereits am Wochenende damit begonnen. Wir haben am Wochenende einen Soforthilfefonds über 4 Milliarden Euro aufgesetzt und ihn hier im Hohen Haus beschlossen. Ich danke allen im Parlament vertretenen Fraktionen für die Flexibilität und Mitarbeit und dafür, dass das so schnell möglich war. Es ist darum gegangen, das notwendige Geld für den Gesundheitsbereich und für die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen schnell zur Verfügung zu stellen, damit auch die Angst genommen wird, dass Fixkosten nicht mehr gedeckt werden können. Wir haben bereits die ersten Auszahlungen aus diesem Fonds vorgenommen: circa 130 Millionen Euro für den Ankauf von Atemmasken, Schutzanzügen et cetera.
Wir haben darüber hinaus diesen Fonds mit einer Überschreitungsermächtigung bereits im Budget abgebildet, und er findet sich auch schon im gesamtstaatlichen Defizit wieder. Das gesamtstaatliche Defizit nach Maastricht wird inklusive dieses Fonds 1 Prozent betragen. Was das administrative Defizit betrifft, ist die Überschreitungsermächtigung, so wie es haushaltsrechtlich gehört, noch nicht drinnen.
Das war aber nur ein erster Schritt. Wir haben diese Woche ein weiteres Paket präsentiert: einen Schutzschirm für die österreichische Volkswirtschaft, für die Arbeitsplätze in Österreich in der Höhe von insgesamt 38 Milliarden Euro. Zusätzlich zu den 4 Milliarden Euro werden circa 15 Milliarden Euro Hilfs- und Kompensationsfonds hinzukommen, vor allem für jene Unternehmen, die besonders von den Maßnahmen, die die Bundesregierung gesetzt hat, um die Ausbreitung des Virus zu reduzieren, betroffen sind.
Wir haben circa 10 Milliarden Euro für Steuerstundungen vorgesehen. Wir haben – da darf ich Ihnen aktuelle Zahlen nennen – seit Montag in den Finanzämtern 21 163 Anträge auf Vorauszahlungsherabsetzung oder Steuerstundung erhalten. Davon sind bis gestern Abend bereits 18 860 erledigt worden, also knapp 90 Prozent. Ich darf mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzministerium für dieses schnelle und unbürokratische Vorgehen bedanken – vielen Dank! (Allgemeiner Beifall. – Zwischenruf des Abg. Matznetter.)
Weitere circa 9 Milliarden Euro sind für Garantien und Haftungen vorgesehen, um auch in den Unternehmen die Liquidität sicherzustellen. Das wird sich natürlich auf das Budget auswirken, das kann man gar nicht verhehlen.
Ich habe immer gesagt, ein ausgeglichener Haushalt ist wichtig, aber ja, die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher, die Arbeitsplätze in diesem Land und der Standort sind wichtiger. Die Spielräume, die wir uns in den letzten Jahren durch eine solide Budgetpolitik erarbeitet haben, versetzen uns jetzt in die Lage, rasch und unbürokratisch helfen zu können, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dieses Budget ist eine Momentaufnahme in Zeiten einer großen Krise, zweifellos der größten Krise, die meine Generation in Österreich je erlebt hat. Niemand weiß wirklich, wie lange sie dauern wird, und niemand weiß, wie weitreichend die Folgen sein werden. Was wir aber wissen, ist, dass wir alles tun werden, um die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher zu erhalten, die Arbeitsplätze zu sichern und den Standort durch die Krise durchzutragen – koste es, was es wolle. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ, FPÖ und NEOS.)
12.15
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobmann August Wöginger. – Bitte.