15.44

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Der Herr Bundeskanzler ist leider schon wieder weg. Sehr geehrter Herr Vize­kanzler! Sehr geehrte Ministerinnen und sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kol­leginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist auch für mich sehr wichtig und ich möchte das auch an dieser Stelle noch einmal betonen: Die Hand­lungsfähigkeit des Parlaments ist etwas ganz Wichtiges in einer Demokratie. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Leichtfried.)

Ich glaube, dass wir niemandem da draußen – jenen, die gerade Dienst versehen müs­sen, weil sie systemrelevant sind, völlig ungeachtet der Frage, ob sie einem Risiko ausgesetzt sind – erklären könnten, dass wir uns vor der Verantwortung, die wir in die­ser Republik haben, nämlich Gesetzgebung zu sein, drücken. Deshalb bin ich froh, dass wir dieses Zeichen heute auch setzen.

Es ist natürlich schon sehr viel zu der Dramatik der Situation – Herausforderung finde ich fast ein bisschen zu beschönigend – gesagt worden. Es ist eine dramatische Situa­tion, in der wir uns als gesamtes Land befinden. Ich möchte auch noch einmal ganz klar für meine Fraktion sagen, dass wir die drastischen Beschlüsse, die drastischen Maßnahmen, die jetzt gesetzt wurden, weil Gesundheit an erster Stelle steht, selbst­verständlich im Rahmen dieses nationalen Schulterschlusses mittragen. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Ich möchte das noch einmal ganz klar sagen: Bitte bleiben Sie zu Hause! (Vizekanzler Kogler – nickend –: Genau!) Das ist ganz wichtig, um Risikogruppen, um ältere Men­schen, um Menschen mit Vorerkrankungen zu schützen und um vor allem dafür Sorge zu tragen – das kann man offensichtlich nicht oft genug wiederholen –, dass die Kurve nicht so steil steigt, dass wir an die Kapazitätsgrenzen unseres Gesundheitssystems stoßen und darüber hinausgehen. Ich habe Sorge, dass wir das tun. Wir hoffen alle, dass es nicht passiert und wir somit nicht unnötig Menschenleben aufs Spiel setzen, die nämlich gerettet werden können, wenn entsprechende intensivmedizinische Be­treuung und auch Beatmung – es ist manchmal ganz simpel – zur Verfügung steht. (Vi­zekanzler Kogler: Ganz genau!)

Gesundheit hat Vorrang, aber gleich danach geht es um alles. Das hat auch Sepp Schellhorn diese Woche in einem Gastkommentar gesagt. Es geht um Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmer – und wir haben die dramatische Zahl gehört –, die schon ihren Job verloren haben. Es geht um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die um ihren Job fürchten. Es geht um Eltern, die Sorge haben, dass es in der Selbstorganisation nicht nur außergewöhnlich schwierig ist, den Kindern den Lernstoff beizubringen, son­dern dass die Kinder in diesem Jahr vielleicht auch ein ganzes Jahr verlieren, weil sie es nicht aufholen können. Es geht darum, dass Betriebe, die schließen müssen, teil­weise vor den Scherben ihres bisherigen Betriebswesens stehen. Und es geht tatsäch­lich darum, dass Unternehmerinnen und Unternehmer nackte Angst um ihre Existenz haben. Es geht um alles!

Von einem Tag auf den anderen stand alles in Österreich still – nicht alles, Systemrele­vantes nicht, aber vieles in Österreich. Von einem Tag auf den anderen musste alles stillstehen. Es ist schon auch eine politische Entscheidung gewesen, die wir mittragen.

Warum ich das sage? – Der Handel steht in weiten Teilen still, die Gastronomie steht still, der Tourismus steht still. Das sind die, die direkt betroffen sind. Es gibt dann noch eine Reihe von indirekt betroffenen Unternehmen, von indirekt betroffenen Betrieben. Das zieht immer weitere Kreise! Wir haben das am Sonntag gesagt, ich sage es auch an dieser Stelle noch einmal: In so einer Zeit der großen Unsicherheit braucht es Klar­heit! Das heißt, ich verstehe, wenn es die Forderung – arbeitnehmerseitig wie übrigens auch betriebsseitig – nach Klarheit gibt, was die Bauindustrie angeht, was die Bau­branche angeht, wie das auf den Baustellen zu handhaben ist und so weiter und so fort. Klarheit ist ganz wichtig. Diese Kreise der indirekt Betroffenen werden sich aber immer weiter ziehen. Wir hören auch schon, dass Teile der Industrie beginnen, zumin­dest die Produktion für ein, zwei Wochen stillzulegen.

Daher muss man an dieser Stelle klar sagen: Es ist die gesamte Volkswirtschaft betroffen! Es ist nicht nur die österreichische Volkswirtschaft betroffen, es ist die ge­samte europäische Volkswirtschaft betroffen, es ist eigentlich die gesamte weltweite Wirtschaft und Volkswirtschaft betroffen. Man muss schon einmal sehen, welche Dra­matik das hat und haben kann.

Ich möchte an dieser Stelle etwas ganz klar sagen, weil ich die unterschiedlichen Sicht­weisen – je nachdem, welche Interessengruppierung man vertritt, Arbeitnehmer, Ar­beitgeber – natürlich verstehe, keine Frage, aber: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Es sitzen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im selben Boot wie die Arbeitgeber, die nämlich in den meisten Fällen, und das muss ich wirklich sagen, auch gar keine Lust haben, jetzt ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freizustellen oder auf Kurz­arbeit umzustellen, weil sie ihren Betrieb einfach aufrechterhalten wollen, weil sie wirt­schaften wollen. Wir sitzen alle im selben Boot; das ist mir ganz wichtig, hier zu sagen.

Die Maßnahmen sind auch drastisch, was die Einschränkung unserer Freiheit angeht – es wurde auch schon erwähnt –, und gerade auch wir als NEOS, als Fraktion, achten sehr darauf, was diese Maßnahmen zur Einschränkung der persönlichen Freiheit be­deuten. Ich glaube, Herr Vizekanzler, Sie haben gesagt, es soll nicht oder es wird nicht so weit kommen, dass hinter jedem ein Polizist herrennt, um zu kontrollieren, was er macht. (Vizekanzler Kogler nickt.) Ich bin der Meinung, es darf auch nicht so weit kommen, dass wir in einem Land leben, in dem hinter jedem ein Polizist herrennt, um zu kontrollieren, was er oder sie macht. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Das muss ein Ablaufdatum haben! Das sage ich auch deshalb ganz klar, weil es ganz wichtig ist, dass man sich nicht daran gewöhnt, dass es selbstverständlich ist, seine Freiheiten derart einschränken zu lassen, dass es sich nicht in den Köpfen verankert und wir nicht in ein paar Monaten auf einmal aufwachen und sagen: Die offene Ge­sellschaft, die uns so viel an Freiheit gebracht hat, ist auf einmal verloren!, weil sich das so tief drinnen verankert hat, dass wir jederzeit bereit sind, diese Freiheiten einzu­schränken, sobald auch nur die geringste – jetzt ist es keine geringe, das möchte ich wirklich betonen – Sorge um die Gesundheit besteht. (Zwischenbemerkung von Vize­kanzler Kogler.)

Wir haben schon am Wochenende gesagt, dass es dramatische und außergewöhnli­che Maßnahmen braucht, auch zum Schutz der Wirtschaft und der Unternehmen, um das aufzufangen. Noch einmal: Diese Betriebe, die direkt betroffen waren, mussten zusperren. Es ist ganz wichtig, dass das Vertrauen der Wirtschaft, das Vertrauen der Klein- und Mittelbetriebe, das Vertrauen der Einpersonenunternehmen, das Vertrauen der Freiberufler und Selbstständigen nicht erschüttert wird. Deshalb war es auch so wichtig, am Wochenende zu betonen, dass diese 4 Milliarden Euro nicht reichen und vielleicht sogar ein falsches Signal waren, denn jene, die es betrifft, haben schon am Wochenende kapiert, dass das viel zu wenig ist, dass das viel zu bürokratisch ist und zu lange dauert. Das hat eigentlich zu viel mehr Unsicherheit geführt als Sie – und das glaube ich schon – mit einem schnellen Paket eigentlich intendiert hatten. Jedenfalls waren das die Meldungen, die wir bekommen haben, nämlich dass sich jeder aus­rechnen konnte, dass 4 Milliarden Euro nicht reichen werden, wenn ab Montag alles zu ist.

Wir haben am Wochenende gesagt, dass es den Ansatz whatever it takes braucht. Ich bin daher sehr dankbar, dass auch die Bundesregierung am Mittwoch gesagt hat: „Koste es, was es wolle“ – dies umso mehr, als wir jetzt auch wissen, dass die EZB und Europa bereits klar gesagt haben, whatever it takes, und in diesem Sinne auch Li­quidität zur Verfügung gestellt haben, Haushaltsregeln außer Kraft setzen werden et cetera. Das heißt, da wird gehandelt werden, und es ist die Verpflichtung des Staates, diesen Ansatz whatever it takes auch tatsächlich anzuwenden.

Ich möchte noch einmal betonen: Schulterschluss betreffend Maßnahmen, ja, aber be­treffend den Weg dorthin, darin, wie man die Wirtschaft unterstützt, sind wir einfach un­terschiedlicher Meinung.

Wir hatten ein Epidemiegesetz, das einen klaren Entschädigungsanspruch für die Be­triebe, die geschlossen werden, vorgesehen hätte. Mit letztem Sonntag haben wir die­ses außer Kraft gesetzt und gesagt: Ihr habt keinen Anspruch mehr, ihr könnt jetzt unterstützt werden! Das heißt aber, wir haben damit schon einigen, und auch den Kleinen – für die hätten wir es noch retten wollen –, gesagt: Ab sofort seid ihr Bittstel­ler! Dieser Zugang des gleichberechtigten Anspruchs für jeden ist jetzt zu einem För­derantrag, den jeder stellen kann, solange das Geld halt ausreicht und soweit es halt dann auch bürokratisch behandelt werden kann, verkommen. – Das finde ich nicht gut. (Ruf: Kennen Sie ...? – Zwischenruf des Abg. Schellhorn.)

Ich komme jetzt zum Punkt betreffend die Abwicklung des Härtefonds, die wir sehr kri­tisch sehen, die so wichtig für die Einpersonenunternehmen, für die Selbstständigen, für die Freiberufler, für die Non-Profit-Organisationen ist. Es ist selbstverständlich, wir haben es schon verstanden, dass das über die Wirtschaftskammer genauso abgewi­ckelt werden kann, aber die Wirtschaftskammer ist für diese Berufsgruppen eigentlich nicht zuständig, und das zeigt die Absurdität der Abwicklung über diese.

Wenn es auf der einen Seite möglich gewesen wäre, automatisch, per Gesetz Steuer­stundungen voranzutreiben, um so die Finanzämter – das war ja auch unser Vor­schlag – zu entlasten, damit das nicht bürokratisch ist, und man auf der anderen Seite hört, wie toll die arbeiten und dass die dreimal so viele Mitarbeiter haben, dann ver­stehen wir nicht, warum das jetzt über die Wirtschaftskammer abgewickelt wird (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ) – dies umso mehr, als sie ja erst zu den Daten kommen muss, mit denen sie dann arbeitet; und sie muss sich um Berufsgruppen kümmern, mit denen sie bis dato nichts zu tun hatte.

Die Wirtschaftskammer macht tolle Dinge, sie ist eine Serviceeinrichtung, aber sie ist keine Förderstelle. Sie entspricht auch nicht dem, was wir als Parlament brauchen, um entsprechend Kontrolle ausüben zu können. Es ist nicht transparent, man kann dort nicht in dem Ausmaß hineinschauen, wie man das könnte, wenn das über die Finanz­ämter abgewickelt werden würde.

Die große Sorge – das gebe ich Ihnen einfach mit – ist, dass man von diesem gleich­berechtigten Zugang, dass jeder Betrieb sagt: Ich bekomme eine Entschädigung!, hin zu einer Situation kommt, die in Wahrheit ein Bürokratiemonster ist. Was Sie hier ge­schaffen haben oder schaffen werden, ist ein Four-to-Five-Stop-Shop (Abg. Schell­horn: Sechs!): Es ist das AMS, es ist das AWS, es ist die ÖHT, es ist die Kontrollbank, es ist jetzt auch die Wirtschaftskammer und es sind die Finanzämter – das sind ja noch mehr –, an die man sich wendet; nicht jeder Unternehmer überallhin, aber das sind im Prinzip die Anlaufstellen. (Zwischenruf des Abg. Haubner. – Abg. Schellhorn: ... Frau Schramböck!)

Genauso wie man im Gesundheitsbereich aus gutem Grund, um das Vertrauen si­cherzustellen und zu sagen: wir handeln!, gesagt hat, dass es zwei Telefonnummern gibt – eine, wenn man den Verdacht hat, dass man krank ist, und eine für allgemeine Informationen –, wäre es, um Vertrauen zu schaffen, wichtig gewesen, genau diese Li­nie betreffend Unterstützungen auch für die Betriebe zu fahren. (Neuerlicher Zwischen­ruf des Abg. Haubner.  Abg. Leichtfried: Das ist aber schon unübersichtlich!) Zwei Telefonnummern – von mir aus das Finanzamt und noch eine Förderstelle oder das AMS –, und das war’s dann; das wäre möglich und wichtig gewesen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich möchte es noch einmal sagen: Wer jetzt einem Betrieb hilft, der hilft rasch und un­bürokratisch, baut keine Bürokratiemonster und hilft vor allem auch den Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmern, deshalb sind wir mit diesem Weg nicht einverstanden.

Wir NEOS werden selbstverständlich in dritter Lesung zustimmen, weil dieser Schul­terschluss wichtig ist und diese Maßnahmen und auch diese Summen natürlich wichtig sind, aber bitte glauben Sie mir: Den Weg finden wir nicht gut genug. Wir halten das tatsächlich für zu bürokratisch.

Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen: Ich glaube, es ist ganz wesentlich, sich jetzt darüber Gedanken zu machen, was danach passiert. Wie und wann schaffen wir es, aus diesem Lockdown wieder herauszukommen, ohne die Gesundheit der Menschen in Österreich oder auch europaweit aufs Spiel zu setzen? Ein Ökonom hat gesagt: Das ist jetzt kein Schock, der eine Branche betrifft, das ist kein Schock, der nur einen re­gionalen Bereich betrifft, sondern das ist ein symmetrischer Schock für die gesamte Wirtschaft. Das ist ähnlich wie bei einem Herzinfarkt, die Frage ist, ob es 3 Sekunden oder 3 Minuten dauert; und dann wird es wirklich schlimm. (Zwischenbemerkung von Vizekanzler Kogler.)

Das heißt: Bitte mit dem Schulterschluss dann auch entsprechend dafür Sorge tragen, dass man die Schritte, um da wieder herauszukommen, gut vorbereitet, denn es geht um die Gesundheit, aber danach geht es um alles! – Danke sehr. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Lercher.)

15.57

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste hat sich Frau Bundesministerin Margarete Schramböck zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.