16.03

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Me­ine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Menschen, die, gleichgültig, wo geboren, in diesem wunderbaren Land leben! In den letzten 14 Tagen hat sich die Situation in Österreich – nicht nur hier, in ganz Europa eigentlich – sehr dramatisch entwickelt. Aus einer regionalen Epidemie in China wurde eine globale Pandemie mit allem, was leider dazugehört. Europa steht dabei im Epizentrum dieser Pandemie, mit gravierenden, teilweise dramatischen Steigerungszahlen, was die Erkrankungsfälle betrifft, teilweise auch, was die Todesfälle betrifft.

Am schlimmsten hat es Italien erwischt, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Es ist noch zu früh, das im Detail zu eruieren, aber wenn Sie sich mit mir die Zahlen ein biss­chen ansehen und vielleicht manchmal auch die Bilder sehen, die Bilder der Zerstö­rung, der Verzweiflung, der Überforderung eines eigentlich sehr guten Gesundheitssys­tems, wie es dies in der Lombardei gab und gibt, so ist es fast nicht greifbar und fass­bar, was da geschieht. Es gibt 400 bis 500 Tote pro Tag  allein Coronatote. Es gibt eine Struktur von Intensivbetten, die bis zum letzten Platz, de facto bis zum letzten Zentimeter ausgelastet und überlastet ist; das heißt, es gibt daneben keinen Platz mehr für zusätzliche Patienten. Ein Verkehrsunfall in der Lombardei, ein Schlaganfall in der Lombardei, ein Herzinfarkt in der Lombardei – solche Patienten sind de facto nicht mehr zu behandeln, weil es zu einer völligen Überforderung und Überlastung dieser Spitalsstruktur gekommen ist.

Wir müssen wissen, dass hinter diesen Zahlen – Zahlen sind trocken – Schicksale ste­hen, dahinter sind Menschen, die aus dem Leben gerissen werden, daneben verzwei­felte Angehörige, Freunde, Freundinnen und noch viele, viele andere, die man in der Statistik nicht einmal sieht.

Das, was wir mit aller Kraft versuchen, ist, dass wir eine derartige Situation der Über­lastung, der Überforderung unseres Spitalssystems in Österreich vermeiden – deswe­gen diese sehr, sehr, sehr einschneidenden, vehementen Maßnahmen, die wir ge­meinsam hier setzen. Ich bin wirklich dankbar dafür, dass wir in dieser Situation, einer absoluten Krisensituation, Einigkeit in unserem Land haben – Einigkeit zwischen den Parteien, Einigkeit in der Regierung, Einigkeit mit den Bundesländern, Einigkeit mit un­serem Bundespräsidenten; das heißt, wir ziehen an einem Strang. Das ist de facto die einzige Chance, die wir haben, deswegen danke auch dafür, dass es hier zu einer sehr schnellen Bearbeitung und Beschlussfassung dessen kommt, was wir legistisch brau­chen, um die notwendigen Schritte miteinander zu tun.

Wir hatten vor zehn Tagen die Situation, dass es eine tägliche Steigerungsrate von sage und schreibe 40 Prozent bei den Neuerkrankungen gab. Stellen Sie sich mit mir nur einmal ganz kurz vor, wohin diese Kurve in welch kurzen Etappen geführt hätte, wenn sie so fortgesetzt worden wäre – dramatisch! Ich sage Ihnen, der Zeitpunkt, zu dem dieses Spitalssystem diese Entwicklung nicht mehr verkraftet hätte, wäre relativ nahe gewesen. 40 Prozent Zuwachs von Erkrankungsfällen pro Tag, das wäre zu viel gewesen.

Die gute Nachricht ist: Die Maßnahmen beginnen, zu wirken. Wir haben heute die Si­tuation, dass wir bei 2 400 Erkrankungen stehen. Es sind 77 Erkrankte in Spitalsbe­handlung plus 14 in intensivmedizinischer Behandlung. Was jetzt kommt, ist eigentlich auch ein positiver Aspekt, nämlich dass von diesen 2 400 Personen 2 317 zu Hause in Behandlung sind, weil sie einen sehr, sehr milden Erkrankungsverlauf haben. Das ist gut. Das ist ein positives Signal. Das ist ein Hoffnungsfaktor, der in Österreich gegeben ist. Das sind weit über 90 Prozent, die in dieser Akutsituation keiner Spitalsbehandlung bedürfen.

So schaut die Entwicklung in Österreich aus (eine Grafik mit der Überschrift „Lageup­date, 20.03.2020, 08:00“ in die Höhe haltend): Die Kurve ist nach wie vor zu steil. Sie geht nach wie vor zu steil nach oben, auch wenn wir diese Dauer von zweieinhalb Ta­gen Verdoppelungszeit jetzt auf viereinhalb Tage erstreckt haben. Das ist ein Beginn einer Trendwende, aber wir sind noch weit vom Ziel entfernt. Wir müssen zulegen, wir müssen diesen Weg, der richtig ist, sehr, sehr, sehr konsequent fortsetzen, damit wir unser Ziel auch tatsächlich erreichen.

Jetzt komme ich zu einer guten Kurve und zu einer guten Grafik, die ich euch und Ih­nen mitgebracht habe (eine weitere Grafik, die eine ansteigende blaue Kurve sowie gelbe Säulen zeigt, in die Höhe haltend): Man sieht hier die Entwicklung der absoluten Zahlen – das ist die blaue Kurve –, und das (auf die gelben Säulen zeigend) ist die Trendentwicklung, was die täglichen Zuwachsraten betrifft. Man sieht hier auf den ers­ten Blick, denke ich, mittlerweile sind wir bei knapp unter 20 Prozent täglichem Zu­wachs; das heißt, der Trend stimmt. Wenn wir diesen Kurs jetzt konsequent weiterge­hen, dann werden wir, so hoffe ich sehr, in den nächsten Tagen schrittweise in Rich­tung 10 Prozent und unter 10 Prozent kommen.

Unser Ziel muss sein, dass wir es bis Ostern schaffen, in den einstelligen Bereich zu kommen, denn dann wird unser Spitalssystem mit Sicherheit in der Lage sein, diese Entwicklung zu überstehen und dafür zu sorgen, dass die Patientinnen und Patienten in Österreich, die es brauchen, in allen Bereichen auch tatsächlich behandelt werden können.

Das ist eigentlich meine Lieblingsgrafik (eine Tafel mit einem Säulendiagramm und der Überschrift „Durchschnittliche tägliche Zunahme über jeweils 4 Tage“ in die Höhe hal­tend), das hat nichts damit zu tun, dass die blauen Säulen immer kleiner werden (Hei­terkeit bei der ÖVP), sondern das hat damit zu tun, dass die Erkrankungszahlen sin­ken. Sie sehen hier die „Durchschnittliche tägliche Zunahme über jeweils 4 Tage“ – das ist ein signifikanter Wert –, und wir sehen hier, wie sich diese Zahl nach unten bewegt. Das ist erfreulich und das ist sehr, sehr positiv. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das darf uns aber nicht dazu verführen, dass wir jetzt sagen: Okay, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg, das war’s jetzt! – Wür­den wir das tun, hätten wir sofort einen Backlash, hätten wir sofort wieder eine massive Entwicklung nach oben. Genau das wollen und müssen wir vermeiden, und dazu brau­chen wir jeden Einzelnen und jede Einzelne. Ich weiß, das sagen wir gebetsmühlenar­tig, aber wir müssen diese 4, 5 Prozent, die jetzt noch nicht mitmachen, die uns alles kaputt machen können, konsequent mitnehmen – da gebe ich allen recht, die das in ihren Reden auch formuliert haben –, damit sie uns unterstützen und damit sie dieses Projekt für die Sicherheit Österreichs auch tatsächlich mittragen. – Das sind die Maß­nahmen.

Der zweite große Teil ist die Frage des Schutzes der Spitäler. Das Schutzkonzept für die Spitäler ist ein äußerst wichtiges, denn nach meiner Prophezeiung werden wir die Probleme, wenn wir sie kriegen, nicht zuallererst im Bereich der Bettenkapazitäten kriegen, wir werden sie nicht zuallererst im Bereich der Geräte kriegen, sondern unser Thema ist das Spitalspersonal, denn dieses ist akut gefährdet. Jeder einzelne Fall, bei dem es zu Erkrankungen kommt, kann dazu führen, dass wir ganze Abteilungen schlie­ßen müssen und dass damit das System weniger Kraft und weniger Kapazität hat, die wir in den nächsten Wochen so dringend brauchen.

Es gibt eigentlich nur eine einzige Lösung – und es hat mich gefreut, dass das von Klubobmann Kickl bis zur Frau Klubobfrau alle eigentlich unisono formuliert haben –: Zusammenhalt in diesem Land. In dieser Stunde braucht es Zusammenhalt – das ist das, was uns stark macht, das ist das, was uns durch diese Krise bringt, und das ist das, was wir tatsächlich brauchen. Jeder Einzelne und jede Einzelne in diesem Land ist ein Teil der Lösung, kann ein Teil der Lösung sein und muss ein Teil der Lösung sein!

Ja, das ist die Situation. Wir werden selbstverständlich nach der Krise eine Evaluierung machen. Da komme ich jetzt auf Klubobmann Kickl zu sprechen: Ja, selbstverständ­lich, in jeder Akutsituation – gleichgültig, ob es eine Firma ist, ob es eine Partei ist, ob es die Republik ist –, bei einer Akutanspannung werden auch Fehler gemacht. Auch in diesem Fall werden Fehler passieren und sind auch schon Fehler passiert. Meine Bitte, mein Appell ist allerdings in dieser Situation: Machen wir eine breite, schonungslose, transparente Evaluierung dieses Prozesses nach der Krise! Ich bin der Erste, der da dabei ist, weil wir aus Fehlern, die wir aufzeigen, die wir nicht unter den Teppich keh­ren, auch lernen. Das ist das Entscheidende: Wir müssen noch stärker werden!

Das bedeutet zum Beispiel, dass wir bei der Medikamentenversorgung, dass wir bei der Versorgung mit Schutzkleidung selbstständig werden müssen. Ich halte es für eine Verfehlung der Globalisierung, wenn wir in diesen zentralen Sicherheitsfragen nicht steuern und nicht lenken. Das muss eine wesentliche Konsequenz aus dieser Krise sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS)

16.13

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Michaela Stein­acker. – Bitte.