11.22

Bundeskanzler Sebastian Kurz: Herr Präsident! Geschätzte Kollegen auf der Regie­rungsbank! Herr Vizekanzler! Vor allem aber sehr geehrte Damen und Herren Abge­ordnete! Ich muss zugeben, ich verspüre ein Gefühl der Freude und der Erleichterung, wenn ich der Debatte hier im Parlament zuhören darf. Ich verspüre deshalb ein Gefühl der Freude und der Erleichterung (Zwischenruf des Abg. Kickl), weil die Debatte, so, wie sie stattfindet, wieder sehr viel von Normalität hat. Sie zeigt auch, dass wir in Österreich uns andere Sorgen machen können, als man sich in anderen Ländern machen muss. Wenn ich höre: Wann sperrt die Schule auf? Wann welche Klasse? Wie genau ist das dort mit den Hygienemaßnahmen?, und ein irrsinniger Druck vorhanden ist, jetzt schnell Antworten zu bekommen, dann erfüllt mich das mit Freude, denn in unserem Nachbarland Italien werden die Schulen dieses Semester gar nicht mehr geöffnet.

Mich erfüllt es auch mit Freude, wenn ich höre, über welche Themen hier gesprochen werden kann, denn das zeigt uns, dass wir in den letzten Wochen einiges richtig gemacht haben dürften, dass es eben ein Faktum ist, dass wir die Krise besser gemeistert haben als andere Staaten und dass wir uns daher jetzt schon die Frage stellen können: Wie fahren wir das Land wieder hoch? – im Gegensatz zu anderen Ländern, die sich diese Frage nicht stellen können. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wenn ich jetzt die Frage höre: War das alles wirklich notwendig, so viele sind ja gar nicht gestorben?!, dann bitte ich Sie schon (Abg. Meinl-Reisinger: Wer stellt diese Frage? Wer stellt diese Frage? – Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Heinisch-Hosek), den Grundregeln der Mathematik zu folgen. Allen, bei denen das nicht funktioniert, mache ich den Vorschlag, in andere Länder in Europa zu schauen – nach Italien zu schauen, nach Frankreich zu schauen, nach Spanien zu schauen –, dann sieht man nämlich sehr schnell, wie die Situation wäre, wenn wir als Österreich nicht gehandelt hätten.

In diesem Zusammenhang ein großes Danke an alle Österreicherinnen und Öster­reicher, die so diszipliniert, aber auch so weise waren, diese Maßnahmen mit unge­heu­rer Härte zu befolgen, sich selbst einzuschränken, vieles durchzumachen, sich in Ver­zicht zu üben, die aber damit für sich selbst und andere etwas Gutes getan haben und heute gemeinsam dafür die Verantwortung tragen, dass wir besser dastehen als an­dere. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Bevor ich heute Früh ins Parlament gekommen bin, habe ich schon einige Telefonate mit anderen Regierungschefs geführt, die interessanterweise ganz andere Fragen ge­stellt haben. Sie haben gefragt: Wie habt ihr das so gut geschafft? Was können wir von euch lernen? Könnt ihr uns sagen, wie ihr in der nächsten Zeit weiter vorgeht? – Es ist interessant, zu sehen, dass nicht nur bei den Maßnahmen der Schließung viele Länder unseren Weg kopiert haben (Zwischenruf des Abg. Loacker), sondern auch jetzt beim Wiederhochfahren andere Länder, wie zum Beispiel Deutschland, schrittweise unseren Plan übernehmen.

Insofern zeigt sich aus meiner Sicht – das zum Ersten –: Die Maßnahmen, die wir ge­setzt haben, waren richtig, und ich bin dankbar dafür, dass wir als Regierung sie nicht allein gesetzt haben, sondern dass wir – auch wenn das manche hier herinnen viel­leicht schon vergessen haben – hier über die Parteigrenzen hinweg geschlossen vor­gegangen sind.

Auch wenn Sie Ihr eigenes Handeln heute vielleicht anders sehen, bin ich Ihnen dank­bar, dass Sie diesen Weg bisher mitgetragen haben, dass wir die Maßnahmen gemein­sam beschlossen haben. Aus meiner Sicht haben alle Parteien hier gleichmäßig daran ihr Verdienst, weil diesen Weg alle gemeinsam gegangen sind. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Zum Zweiten möchte ich Ihnen dafür Danke sagen, dass Sie alle als Abgeordnete quer über die Fraktionen hinweg mitgeholfen haben, die Bevölkerung zu ermutigen, zu Hause zu bleiben, soziale Kontakte zu reduzieren, Masken zu tragen und anderes. Sie alle haben dadurch einen Beitrag dazu geleistet, dass in Österreich weniger Menschen gestorben sind als in anderen Ländern – auch dafür ein großes Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich möchte Ihnen noch ein drittes Mal danken: Da wir über die Parteigrenzen hinweg diesen konsequenten Weg gegangen sind und da wir es über die Parteigrenzen hinweg geschafft haben, dass wir heute nur noch 50 Neuinfizierte haben, in den letzten Tagen stets unter 100, können wir Österreich jetzt wirtschaftlich und gesellschaftlich schneller wieder hochfahren, als andere Länder das tun können. Auch dafür danke ich Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir hatten vor einigen Wochen, Ende März, ein exponentielles Wachstum mit 1 000 Neu­infizierten pro Tag, Tendenz steigend. Jetzt, einige Wochen später, stehen wir auf einem Level von rund 50 Neuinfizierten pro Tag, in den letzten Tagen war es stets ein Wert unter 100. Das ist ein internationaler Spitzenwert (Zwischenrufe bei der FPÖ), dieser Rückgang ist europaweit so gut wie einzigartig, und insofern bin ich froh, dass wir jetzt in der Lage sind, das Land behutsam, aber doch wieder hochzufahren. Wir tun das so schnell wie möglich (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), aber wir tun es nicht unverantwortlich. Wir wollen ein Maximum an Freiheit, aber ja, ich sage Ihnen ehrlich: Es wird weiterhin Einschränkungen brauchen.

Ich bin sehr, sehr froh, dass der Plan, den wir als Regierung ausgearbeitet haben, auf Basis der heutigen Informationen und nach heutigem Stand – es kann sich in einer Zeit wie dieser, in der wir leben, alles sehr schnell ändern – hält. Wir können mit 1. Mai den Handel und einen Großteil der Dienstleistungen wieder hochfahren. (Abg. Belakowitsch: Am 1. Mai? Echt jetzt?!) Wir können mit 15. Mai die Gastronomie, den Parteienverkehr im öffentlichen Bereich, Gotteshäuser und schrittweise auch die Schulen wieder hoch­fahren.

Wir arbeiten auf europäischer Ebene auch mit unseren Partnern an der Frage, wie es mit dem Grenzregime weitergeht (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch) und wie wir auch die Reisefreiheit schrittweise wieder zurückgewinnen können. Es wird Sie vielleicht nicht überraschen, dass zunächst einmal die besonders erfolgreichen Länder ihre Grenzen zueinander wieder öffnen können. Also für jeden, dem die Reisefreiheit ein Anliegen ist, ist es auch gut, in einem Land zu leben, in dem die Infektionsrate sehr, sehr niedrig ist. Ich hoffe sehr, dass es uns bald gelingt, da Schritte nach vorne zu machen, insbesondere mit Deutschland, weil wir eine lange gemeinsame Grenze mit Deutschland haben und durch diese Grenze viele Familien getrennt worden sind, viele Menschen nicht uneingeschränkt an ihren Arbeitsplatz kommen – das ist für diese Menschen, die im Grenzgebiet leben, sehr, sehr schwierig. (Abg. Kickl: ... nix mehr!)

Wir sind natürlich noch nicht am Ziel, ganz im Gegenteil. Wir müssen in den nächsten Monaten, bis es eine Impfung oder ein Medikament gibt, mit dem Virus leben lernen. (Abg. Belakowitsch: Wird Jahre dauern!) Wir müssen lernen, ein Maximum an Freiheit zu haben, aber gleichzeitig so vorsichtig zu sein, dass es nicht wieder zu einem unkon­trollierten Anstieg der Infektionen kommt. Wenn es sogar in einem der diszipliniertesten Länder der Welt, nämlich in Singapur, passieren kann, dass es eine zweite Welle gibt, dass die Zahlen auf einmal wieder schnell steigen, dann zeigt das, wie vorsichtig wir sein müssen.

Ich bitte daher alle Menschen – auch, wenn wir das Land schrittweise wieder hoch­fahren –, weiterhin Abstand zu halten, wo es möglich ist, Mund-Nasen-Schutz zu tra­gen, wo es Sinn macht, und auf die Hygienevorschriften zu achten. Ich arbeite darüber hinaus daran, dass wir als Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern alles tun, um unseren Beitrag zu leisten, damit ein Wiederhochfahren bestmöglich gelingen kann: im Gesundheitsministerium und in den Bundesländern durch die Steigerung der Testkapazitäten und auch durch eine Containmentstrategie.

Wir als Österreich sind in einer Vorreiterrolle. Wir haben es schneller als andere ge­schafft, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das gibt uns die Möglichkeit, auch andere Länder zu unterstützen. Ich bin froh, dass wir Coronaintensivpatienten aus anderen Staaten aufgenommen haben, und wir haben diese Einladung noch einmal für Länder, die Unterstützung brauchen, ausgesprochen. Wir haben uns darüber hinaus mit den Ländern des Westbalkans verständigt, dass wir sie mit medizinischer Aus­rüstung unterstützen werden, weil es auch eine Aufgabe der Republik Österreich ist, in so einer Zeit mit anderen Ländern solidarisch zu sein – insbesondere mit jenen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie wirtschaftlich schlechter dastehen, aber auch mit denjenigen, die schlechter durch die Krise gekommen sind.

Für Österreich ist unser Ziel klar: Das Coronavirus in Schach halten und gleichzeitig so schnell wie möglich die Wirtschaft und die Gesellschaft wieder hochfahren – so schnell wie möglich, aber niemals unverantwortlich. – Vielen Dank. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP sowie Beifall bei den Grünen.)

11.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen und erteile dem Herrn Vizekanzler das Wort. – Bitte sehr.