9.36

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Frauen Bundesministerinnen! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt leider drei aktuelle Zahlen in Österreich, die durch Worte nicht zu toppen sind:

Es ist die Zahl 600 000 – 600 000 Menschen, die aktuell in Österreich arbeitslos sind; die größte Zahl seit 1946.

Es ist die Zahl 1 100 000 – das ist jene Zahl von Menschen, die derzeit für Kurzarbeit gemeldet sind.

Und es ist die Zahl 7 – es sind 7 Prozent, die laut IWF der Abschwung der Wirtschaft in den nächsten Monaten und Jahren betragen wird. Das sind 30 Milliarden Euro, sehr geehrte Damen und Herren, die unserer Wirtschaft fehlen werden, 30 Milliarden!

In dieser Situation befinden wir uns, und viele Arbeitslose dieses Landes wissen nicht, wann sie wieder einen Arbeitsplatz haben werden, viele Betriebe wissen aufgrund der unsicheren Auftragslage nicht, ob sie überhaupt eine wirtschaftliche Zukunft haben. Ja, und auf wen – auf wen? – können sich all diese Menschen in Österreich denn derzeit verlassen? Ist es der freie Markt, auf den sie sich verlassen können? Ist es der freie Markt, der in der Krise jetzt alles für die Menschen und die Unternehmerinnen und die Unternehmer regelt? – Nein, das führt uns diese Krise wirklich vor Augen, dieses große Nein. Es ist nicht der freie Markt! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP. – Abg. Meinl-Reisinger schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.)

Es ist der Staat, der in dieser größten Jahrhundertkrise – Herr Haubner hat das ja auch in seiner Rede hier im Plenum angeführt (Abg. Wöginger: Das ist eine Marxismus­rede! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP) –, der in dieser Krise den Menschen und den Unternehmerinnen und Unternehmern Schutz und Sicherheit gibt, Schutz und Si­cherheit vor dem Fall ins Nichts (Abg. Meinl-Reisinger: Die Sicherheit ...!), in gesund­heitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht, sehr geehrte Damen und Herren! (Bei­fall bei der SPÖ.)

Ich kann mich noch gut erinnern: Vor ein paar Wochen, als seitens der Bundesregie­rung Hilfe angekündigt wurde, war es der Finanzminister, der persönlich gesagt hat: „koste es, was es wolle“. „Koste es, was es wolle“ – diese Einstellung bräuchte es jetzt noch immer; nicht nur am Anfang dieser Krise, sondern auch jetzt, gerade jetzt, wenn es um die Existenz von 100 000 Menschen und mehr geht, denn es werden bald mehr werden, Familien, Unternehmerinnen und Unternehmer.

Ich frage mich, warum dieser Satz, der seitens der Bundesregierung vor ein paar Wo­chen noch so laut über alle Mikrofone gesagt wurde, gerade jetzt nicht mehr gelten soll und warum Sie in den letzten Tagen und Wochen immer wieder unseren Antrag auf Er­höhung des Arbeitslosengeldes abgelehnt haben, sehr geehrte Bundesregierung. Das ist nicht nachvollziehbar! (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist nämlich nicht nur in menschlicher Hinsicht ein Gebot der Stunde, früh zu helfen und gut zu helfen, es ist auch volkswirtschaftlich klug und notwendig, früh zu helfen, um soziale Folgeschäden für die Familien, vor allem für die betroffenen Kinder, zu ver­hindern, die am Ende vielen viel, viel mehr Geld kosten werden. Genauso notwendig ist es aber, hohe und kluge Investitionen in die Wirtschaft und in die Beschäftigung, Zukunftsinvestitionen in den notwendigen Klimaschutz, Investitionen in den öffentlichen Verkehr, in den Wohnbau zu leisten. Damit schaffen wir Arbeitsplätze, damit schaffen wir notwendige Aufträge für unsere heimischen Betriebe.

Die Krise hat auch gezeigt – das dürfen wir jetzt und vor allem dann nach der Krise nicht vergessen –, wie verwundbar wir alle sind, wie verwundbar unsere Wirtschaft und unser Land, unser Kontinent durch die Abhängigkeit von einem globalen Wirtschafts­system sind. Kein Mensch kann verstehen, dass wir monatelang auf Schutzmasken aus China warten müssen und diese nicht in Europa oder in Österreich produziert wer­den können – erst jetzt nach zwei Monaten. Wir müssen uns gut überlegen, was wir in der Produktion künftig wieder nach Österreich holen, nach Europa holen – mehr made in Austria oder made in Europe, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wenn wir dieser Tage der Gründung der Zweiten Republik gedenken, dann müssen wir uns auch daran erinnern, dass die Werte Demokratie und Freiheit heute genauso we­nig selbstverständlich sind wie damals. Es war die deutsche Kanzlerin, die die derzeiti­ge Situation vor ein paar Tagen im Bundestag sehr treffend als „demokratische Zumu­tung“ für uns alle beschrieben hat.

Damit das nicht so bleibt, braucht es Nachvollziehbarkeit und Transparenz bei den zentralen Entscheidungen für die Zukunft, die wir gemeinsam treffen müssen.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Den Schlusssatz bitte!

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (fortsetzend): Kritik und Widerspruch müssen dabei nicht nur erlaubt, sondern aktiv eingefordert werden, sehr geehrte Da­men und Herren. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.42

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Angerer. – Bitte.