15.02

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Vielen Dank, Herr Präsident! Ich darf mich auch bei Herrn Präsidenten Hofer bedanken, dass das so prompt funktioniert hat und der Bundeskanzler sofort erschienen ist. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren! Ein Redebeitrag, den dieses Haus am Vormittag erfahren hat, hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Es war August Wöginger, der gemeint hat, die Menschen sind „dankbar“. (Ruf bei der ÖVP: Jawohl!) Ich habe das Gefühl, das ist zumindest ein großer Trugschluss.

Wir haben dieses starke parlamentarische Mittel, eine Anfrage an den Bundeskanzler, sehr bewusst gewählt, weil landauf, landab in allen Bundesländern, in allen Bezirken, in allen Städten, in allen Dörfern die Menschen nicht dankbar sind, sondern ängstlich und wütend, weil nichts an Hilfe ankommt. Die Hilfspakete funktionieren nicht. Die Maßnah­menpakete funktionieren vielleicht vor den Kameras, wenn man Pressekonferenzen ab­hält, aber dort, wo das Geld benötigt wird, dort kommt es nicht an.

Die Regierung hat versprochen: „Koste es, was es wolle!“ – Und was ist passiert? – In Österreich sind so viele Menschen arbeitslos wie noch nie zuvor in der österreichischen Geschichte, in der Geschichte der Zweiten Republik. Zwei Drittel der Kleinunternehme­rinnen und Kleinunternehmer sagen: Diese Hilfen genügen nicht. Die Kunst- und Kul­turszene fühlt sich im Stich gelassen. Menschen, die krank sind, kommen nicht in die Krankenhäuser. Menschen, die sich von ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Ehemann, ihrer Ehefrau verabschieden wollen, durften das nicht. Viele von ihnen haben sich darauf verlassen, dass die Regierung ihr Versprechen: „Wir lassen niemanden im Stich“, ein­hält, und die sind jetzt enttäuscht, mehr als enttäuscht.

Unbürokratische Hilfe war angekündigt: 6 000 Euro für drei Monate. Wir erinnern uns, das war eines der ersten Dinge, die angekündigt wurden. Sie, Herr Bundeskanzler, haben das gesagt: 6 000 Euro für die ersten drei Monate, bis zu 2 000 Euro Maximum pro Monat für jede einzelne Person und jedes einzelne EPU. Nichts davon ist ange­kommen. Nichts haben die Menschen, die sich bemühen, ihre Geschäfte wieder aufzu­sperren. Nichts haben die Menschen, die ihre Gasthäuser wieder aufgesperrt haben. Nichts haben die, die in der Arbeitslosigkeit sind, die glauben, vielleicht gäbe es doch ein bisschen mehr. Nichts haben die, die in Kurzarbeit sind und zu wenig Geld verdienen.

Hunderttausende Unternehmen fielen beim Härtefallfonds in der ersten Welle um eine Förderung um und wurden auch in der zweiten Welle nicht gefördert. Von den Anfang März versprochenen 2 Milliarden Euro wurden höchstens 150 Millionen Euro ausge­zahlt. Das sind nicht einmal 8 Prozent! Das sind nicht einmal 8 Prozent von dem, was die Menschen zum Überleben brauchen, geschätzte Damen und Herren.

Viele Einzelunternehmer bekamen Abschlagszahlungen in geringer Höhe. Das ist nicht nur eine Mär, die von der Opposition verbreitet wird; es wird von der Universität Wien bestätigt. Vor allem wird bestätigt und wird klar, dass die abwickelnde Stelle, die Wirt­schaftskammer – aus welchen Gründen immer die ausgesucht wurde –, vollkommen überfordert ist. Sie ist inzwischen der Bremser zwischen den Auszahlungen und den Empfängern geworden, und die Bürokratie, die hier eingefordert wurde, die Bürokratie, die von den Unternehmen erledigt werden muss, hindert diese, ihren Überlebenskampf vernünftig zu führen, geschätzte Damen und Herren.

Ich habe dieses Wochenende mit einem Brucker Konditor gesprochen. Er hat gesagt, er ist mit seinem Steuerberater eine Woche bei diesem Antrag für die Wirtschaftskammer gesessen und am Ende haben sie ihn zurückgeschmissen, weil versehentlich das Ge­burtsdatum falsch angegeben war. Ja was ist denn das für eine Servicequalität, ge­schätzte Damen und Herren? So bringt man die Unternehmen und Unternehmer in un­serem Land um! (Beifall bei der SPÖ.)

Es droht das Zusperren. Es sind und drohen Existenzängste, von denen Sie anschei­nend nichts mitbekommen. Wie viele Menschen kennen Sie, die in der Nacht nicht mehr schlafen können, weil sie nicht wissen, wie sie ihr Geschäft, ihre Eigentumswohnung finanzieren, ihre Kredite zurückzahlen? Wie viele kennen Sie von denen? Und wie viele kennen Sie von denen, die nicht mehr wissen, an wen sie sich wenden sollen?

Wir haben heute Vormittag eine Diskussion geführt, in der Kollege Ottenschläger ge­meint hat, dass sich keine Unternehmer und Unternehmerinnen an uns wenden. – Das tun sie sehr wohl, und ich darf Ihnen etwas vorlesen, was mich besonders gerührt hat; ein älteres Ehepaar hat sich an uns gewendet. Sie haben, bis sie in Pension gegangen sind, ein Nebenerwerbsweingut betrieben, und in der Pension – denn wir wissen, wie hoch die Pensionen in diesem Bereich sind – haben sie sich im Jahr 2015 entschlossen, eine Frühstückspension aufzumachen.

Sie sind dann in dieses Coronaschlamassel gekommen und haben geglaubt, niemand wird zurückgelassen und einem jeden wird geholfen werden. Die Dame schreibt wort­wörtlich: Mein Mann und ich dachten auch, dass wir zumindest aus dem Härtefallfonds einen Obolus erhalten würden – abgelehnt, weil wir zwar zwei Steuernummern haben, aber keine zweite Krankenversicherung in der Gewerbekasse. Wieder einmal fallen wir durch den Rost und können nun mit unserer sauer verdienten Pensionsrente den Umbau abbezahlen. Bitte senden Sie einen lieben Gruß an Herrn Vizekanzler Kogler und an den Herrn Bundeskanzler, der behauptet hat: Wir lassen niemanden im Stich. – Zitatende.

Diese Grüße richte ich Ihnen jetzt aus, Herr Bundeskanzler. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

An diesen Menschen, an den vielen, die betroffen sind, hängt ungefähr ein Viertel der österreichischen Arbeitsplätze, und da zeigt sich, dass andere es besser machen.

Ich kann mich gut erinnern, mit welcher Häme manchmal – insbesondere während der Zeit der letzten von Ihnen geführten Regierung – nach Deutschland geschaut wurde. Ich kann mich gut erinnern, wie wir – also nicht wir, sondern Sie – behauptet haben, bei uns läuft alles besser und wird alles besser gemacht. – Jetzt gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Österreich und Deutschland: In Österreich dauert es 48 Stunden, den Antrag auszufüllen, in Deutschland bekommt man nach 48 Stunden die Hilfe. Das ist der Unterschied, und das ist meines Erachtens dort besser gemacht. (Beifall bei der SPÖ.)

Man sieht auch am Beispiel der Kurzarbeit, dass es hakt, und zwar gewaltig hakt. Groß­spurig wurden 10 Milliarden Euro für Kurzarbeit angekündigt. – 10 Milliarden Euro! Von der Wirtschaftsministerin wurde betont, dass das binnen 48 Stunden ausbezahlt wird. Was ist die Realität bis jetzt? – Von den 10 Milliarden Euro wurden 273 Millionen Euro ausbezahlt, geschätzte Damen und Herren. Das bedeutet, dass die Unternehmen nicht genug Geld haben, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bezahlen. Das bedeutet, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht genug Geld haben, um ihre Kredite zu bezahlen. (Abg. Haubner: Keine Ahnung!) Das sind die Auswirkungen dieser Langsam­keit. Für diese Langsamkeit sind Sie voll verantwortlich, das muss man auch einmal ganz klar sagen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haubner: Keine Ahnung!)

Ich bitte Sie, bedenken Sie eines: Tun Sie endlich etwas gegen diesen Bürokratiewahn­sinn in diesen Fragen! Tun Sie endlich etwas dafür, dass die Menschen ihr Geld schnell und wirksam erhalten! Ich habe von einem Gastronomen gelesen, der einen 20-seitigen detaillierten Antrag einreichen musste. Er sagt, wenn wir das alle so machen, werden die Beamten in der Wirtschaftskammer zehn Jahre brauchen, um das alles abzuarbeiten. In Salzburg erzählt ein Geschäftsführer, dass er wegen Kurzarbeit für jeden Einzelnen der 1 300 Mitarbeiter ein 12-seitiges Formular ausfüllen musste, 1 300 mal 12, damit ist auch ein Geschäftsführer lange beschäftigt, geschätzte Damen und Herren. Ist das das kurze, schnelle Helfen, das Sie versprochen haben? Ist das die wirkungsvolle Hilfe, von der Sie in 61 – oder waren es 63? – Pressekonferenzen gesprochen haben? – Nein, das ist Schikane gegenüber all denen, die Hilfe brauchen, und nichts anderes, geschätzte Damen und Herren von der Bundesregierung!

Wie schaut es mit der Hilfe für die Menschen aus, die in der Coronakrise arbeitslos geworden sind? Haben sie Hilfe erhalten, damit sie mit 55 Prozent dessen, was sie vor­her bekommen haben, auskommen können? – Nein. Haben sie Hilfe erhalten dafür, dass sie schnell wieder in neue Jobs kommen? – Nein.

Alles, was Sie bis jetzt getan haben, ist, zu verhindern, dass das Arbeitslosengeld von 55 auf 70 Prozent aufgestockt wird. Das wäre doch das Mindeste, das man schnell tun kann, um diesen Menschen zu helfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dasselbe gilt für den Kunst- und Kulturbereich. Ein wesentlicher Bestandteil des öffent­lichen Lebens in Österreich wurde im Stich gelassen, ihm wurde nicht geholfen.

Dasselbe gilt für die Risikogruppen, für die wir uns verzweifelt bemüht und darum ge­kämpft haben, dass auch Angehörige von Menschen, die zur Risikogruppe gehören, besser geschützt werden. Auch das wollten Sie nicht.

Ich habe langsam das Gefühl, Ihnen geht es nicht darum, vielen Menschen zu helfen. Ihnen geht es wie immer darum, denen zu helfen, denen Sie sich politisch verpflichtet haben. Und das, geschätzte Damen und Herren, ist in dieser Zeit das Falscheste, was man machen kann.

Was dann noch dazukommt, ist, dass Sie nicht nur nicht helfen, sondern dass sich die Menschen inzwischen aufgrund dessen, was Sie an Maßnahmen ergreifen, einfach nicht mehr auskennen. Sie wissen nicht mehr, was zu tun ist, was sicher ist und was weniger sicher ist. Sie wissen nicht mehr, wie man sich verhalten muss, und werden dann ge­straft, weil sie sich unter Umständen falsch verhalten.

Wer aber kann sich denn noch auskennen, wenn beispielsweise im Freien 1 Meter Ab­stand beim Spazierengehen einzuhalten ist und im Gasthaus kann man zu viert zu­sammenkuscheln? Was für einen medizinischen, gesundheitspolitischen Sinn macht das? Was ist die Überlegung dahinter? Oder: Wie kann es sein, dass wir zur Schweiz die Grenzen öffnen, aber zu Slowenien nicht, wobei jeder weiß, dass Slowenien pro 100 000 Einwohner weniger Betroffene hat? Was ist der medizinische Sinn dahinter? (Abg. Schmidhofer: Da kannst du rüberfahren nach Italien!) – Das kann man von der Schweiz aus auch, die grenzt nämlich auch an Italien – für alle, die das nicht wissen.

Das Problem bei diesen Maßnahmen ist aber – und die Juristen unter Ihnen werden mir zustimmen –, dass Menschen, die von diesen Normen betroffen und ihnen unterworfen sind, die diese Normen nicht mehr verstehen und durch sie verwirrt werden, auch das Bewusstsein für die Rechtmäßigkeit dieser Normen fehlt.

Um dem I noch ein Tüpfelchen aufzusetzen, passiert dann Folgendes – und das, Herr Bundeskanzler, war, glaube ich, schon ein großer Fehler von Ihnen, über den Sie vielleicht noch etwas sagen könnten –: Es hat eine kurze Zeit gegeben, in der die Grenze zu Slowenien offen war. Ich selbst bin aus der Steiermark und denke, es ist bei den Kärntner Freundinnen und Freunden ähnlich: Das haben einige ausgenützt, um schnell günstig Zigaretten kaufen zu fahren. Jetzt kann man darüber, ob das gescheit ist, un­terschiedlicher Meinung sein, das kann man diskutieren. Was aber dann passiert ist, als sie zurückgekommen sind, war interessant. Sämtliche dieser Zigarettenkäuferinnen und -käufer, die wahrscheinlich dort mit niemandem gesprochen haben, die Schutzmas­ken getragen haben, die niemanden getroffen haben, haben samt und sonders 14 Tage in Quarantäne gehen müssen. Für Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie zweimal die ös­terreichische Staatsgrenze von Deutschland her überschritten haben, gilt das alles an­scheinend nicht, und das ist ungerecht. Entweder gelten Gesetze und Regeln für uns alle, entweder sind Politikerinnen und Politiker auch Vorbild, um das einzuhalten, oder wir können mit diesen Maßnahmen aufhören und uns das alles ersparen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

15.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundeskanzler. – Bitte, Herr Bundeskanzler.