11.08

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Frau Präsidentin! Werte Regierungsmit­glieder! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Mayer, das ist eine Aktuelle Euro­pastunde der NEOS und nicht der SPÖ. (Abg. Meinl-Reisinger: ... Doppelnamen!) Sie verwechseln die Kolleginnen Meinl-Reisinger und Rendi-Wagner. Ich weiß schon, sie sind beide Frauen mit Doppelnamen, aber wenn Sie aus Brüssel herkommen, um uns die österreichische Position zu erklären (Abg. Kickl: Na Sie haben Sorgen!), dann sollten Sie sich in der österreichischen Politik zumindest so weit auskennen, dass Sie die Op­positionsspitzen kennen, bevor Sie uns etwas erzählen. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Innenkommissarin Johansson wird heute einen Asyl- und Migrationspakt vorstellen. Sie hat gesagt: „Moria ist nicht normal, aber Migration ist normal.“ – Ich wünschte, sie hätte recht mit diesem Satz, aber Moria ist in der Europäischen Union seit Jahren, seit vielen Jahren normal. Es ist auch bekannt, was dort abgegangen ist, und zwar nicht erst seit den Flammen, nicht erst seit den Feuern. Wir haben das im Europaparlament in den letzten Jahren oft diskutiert.

Es war ein Skandal, es ist ein Skandal, und es gibt mehrere Schuldige. Man muss auch sagen, dass dort in einem Lager für 3 000 Menschen 13 000 gesessen sind. Es ist nicht am schnellen Wachstum des Lagers gelegen; das war auch Absicht der griechischen Regierung, die damit die anderen europäischen Regierungen unter Druck setzen wollte. In diesem Spiel zwischen diesen Regierungen ist diese Not entstanden, und über Jahre ist nichts dagegen getan worden. (Abg. Kickl: Und was machen Sie jetzt?) Es wird jetzt notwendig sein, das zu ändern. Es gibt jetzt hoffentlich den nötigen Druck.

Es ist uns deswegen bei der Soforthilfe, die wir als Koalition beschlossen haben, wichtig, dass das kein Wiederaufbau desselben Lagers sein kann. Wir schicken jetzt Hilfe runter, um Obdachlosen zu helfen, um das schnell zu machen, um die Leute aus dieser ärgsten Not zu holen, aber es kann keinen Wiederaufbau des Lagers Moria geben, dafür kann es keine europäische Zustimmung geben. (Beifall bei den Grünen.)

Ich möchte einen Aspekt aus dem Paket, das wir beschlossen haben, besonders her­vorstreichen, damit er nicht ganz untergeht: Wir haben den Auslandskatastrophenfonds auf 50 Millionen Euro erhöht. Dieser belief sich ursprünglich auf 5 Millionen Euro und auf 15 Millionen Euro, als wir Grüne mit den Regierungsverhandlungen begonnen haben. Das hilft auf der ganzen Welt. Wir sollten die Augen auch vor der Not im Jemen, vor der Not im Libanon, vor der Not in Syrien nicht verschließen. Auch dort werden wir ein Mehrfaches von dem helfen, was Österreich in den letzten Jahren gemacht hat, aber: Das kann man nicht gegeneinander aufrechnen. Man kann nicht sagen: Wir helfen jetzt im Jemen oder im Libanon und verschließen die Augen vor Moria. Man kann Kinder, man kann Schicksale nicht gegeneinander aufrechnen, und das werden wir nicht tun.

Wir haben einen Dissens in dieser Koalition darüber, wie wir mit Moria, mit den Kindern umgehen. Wir als Grüne sind eindeutig dafür, Menschen von dort zu retten, und ich will mich jetzt gar nicht auf eine Zahl festlegen und auch nicht nur auf Kinder. (Beifall bei den Grünen.)

Ich mag Metaphern in der Politik nicht wahnsinnig gern, aber es gibt eine, die mich in dieser Diskussion sehr berührt hat. An einem Strand, abends, werden Millionen Seester­ne angespült, eine Familie geht da spazieren. Das kleine Kind, die Tochter, läuft zu ei­nem Seestern, trägt ihn ins Wasser, und der Vater sagt: Aber es nützt doch nichts, es sind Millionen und das ist nur der eine! – Das Kind sagt: Aber dem schon.

Ich stelle mir bei diesem Argument: Wir können nicht alle nehmen, und es nützt nichts, 100 zu nehmen!, vor, einem dieser Kinder in die Augen zu schauen und zu sagen: Ich helfe dir nicht, denn ich kann nicht allen helfen! – Das macht doch kein Mensch (Abg. Kickl: Das macht ja Ihre Fraktion jetzt laufend!), wenn er davorsteht! Das geht einfach nicht! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) Wenn wir nur 100 retten können, dann retten wir eben nur 100.

Ich möchte auch ganz deutlich sagen, was aus meiner Sicht nicht geht, nämlich so zu tun, als wäre das nur eine rein sachliche Debatte, in der zwei gleichwertige Positionen nebeneinanderstehen, die man sachlich abwägen kann. Das kann man bei der Gestal­tung eines 1-2-3-Tickets machen, das kann man bei der Gestaltung einer Plastiksteuer machen, bei der Frage Vermögensteuer ja oder nein. Ob man aber Kinder rettet oder nicht rettet, ist eine Grundsatzfrage, und da sind nicht beide Positionen moralisch gleich­wertig, charakterlich gleichwertig oder in irgendeiner anderen Form politisch gleichwer­tig. Auf diese Diskussion kann man in dieser Form nicht einsteigen. (Beifall bei den Grünen.)

Es ist eine Wert- und eine Grundsatzfrage. Wir finden vielleicht einen Ausweg auf der europäischen Ebene; es wird heute um 12 Uhr ein neuer Pakt präsentiert. Es wird eine gemeinsame europäische Lösung angestrebt werden. Ich bin mir heute schon sehr sicher, dass diese nicht grün sein wird, nicht zu 100 Prozent im grünen Programm ent­halten sein wird, aber wir werden dafür kämpfen, dass es eine pragmatische Lösung gibt, die etwas ändert und etwas besser macht. Dafür sind wir da und dafür stehen wird da, dafür kämpfen wir jetzt in dieser Situation. Es muss am Schluss bei diesem Migra­tionspakt etwas besser sein, es muss legale Wege nach Europa geben, es muss Hilfe vor Ort geben, es muss Hilfe hier geben und es muss sich die Not der allerärgsten Situa­tionen dort bessern.

„Moria ist nicht normal, aber Migration ist normal“: Dort sollten wir in zwei, drei Jahren stehen, ohne dass Menschen darunter leiden. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

11.13

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Claudia Gamon. – Bitte.