11.52

Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Dr. Günther Sidl (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Die Bilder aus dem Flüchtlingslager Moria haben die meisten von uns tief berührt, und zwar waren es nicht nur die schockierenden Bilder des Brandes, sondern es wurde uns dramatisch vor Augen geführt, wie wir als Europa Menschen auf der Flucht dort leben lassen.

Man muss es ganz offen ansprechen: Wir haben es als eine der reichsten Regionen dieser Welt nicht einmal geschafft, dass wir diesen Menschen ordentliche Toiletten hin­stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.) Das ist ein Ar­mutszeugnis für unser Europa, ein Armutszeugnis aber vor allem für die Verantwortli­chen in den Mitgliedstaaten, die das zugelassen haben, und es ist jetzt ein Armutszeug­nis für unsere Bundesregierung, wenn man sich gegen die Aufnahme von Kindern stellt und sich sogar dagegen ausspricht, wenn andere, wie etwa die Bundeshauptstadt Wien, helfen wollen.

Ich war im brisanten Jahr 2015 Integrationssprecher meiner Fraktion im Niederösterrei­chischen Landtag, und ich war in sehr vielen Gemeinden und Städten bei Diskussions­veranstaltungen, bei denen es um die Aufnahme von Flüchtlingen gegangen ist. Ich kenne diese Diskussionen, ich kenne die Emotionen. (Abg. Kickl: Dann sind Sie nach Brüssel geflüchtet!) Bei einer dieser Veranstaltungen hat ein Mitglied einer Rettungsor­ganisation – hören Sie gut zu, Herr Kickl! – gesagt: Wenn man jemanden im Straßengra­ben liegen sieht, fragt man nicht zuerst, woher er kommt, sondern man hilft. (Beifall bei der SPÖ.) Man hilft, und das ist auch jetzt die einzige Handlungsoption, die mit unseren Grundwerten vereinbar ist. (Zwischenruf des Abg. Kickl.)

Darüber hinaus brauchen wir aber endlich auch eine europäische Antwort auf die Frage, wie wir mit Menschen auf der Flucht umgehen, ein gemeinsames Bestreben, ab dem ersten Tag Integration zu fördern, und wir müssen uns auch endlich überlegen, wie wir es schaffen können, Menschen Sicherheit und vor allem Perspektiven in ihren Ländern zu geben.

Das ist eine Herausforderung, die nur eine Union meistern kann, in der alle an einem Strang ziehen, doch was wir gerade erleben, ist der Rückfall in eine Kleinstaaterei, in ein Gegeneinander der Mitgliedstaaten. All das schwächt Europa massiv. Ganz vorne mit dabei ist da leider die gesamte österreichische Bundesregierung – ich sage bewusst: die gesamte Bundesregierung. Da kann man sich nicht auf den Kanzler oder auf den Koali­tionspartner ausreden, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Dabei ist das Spiel, das da getrieben wird, hochgefährlich, denn die Europäische Union ist immer dann schwach, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht auf einen Kurs einigen können oder gar nicht einigen wollen. Es ist zynisch, nach einer europäischen Antwort zu rufen, die man gleichzeitig durch die Hintertür ständig torpediert.

Wer in Österreich die Idee eines vereinigten Europas ernst nimmt und nicht an dessen Zerstörung mitarbeiten will, der muss seinen Teil einer gemeinsamen Verantwortung tra­gen, denn wir brauchen gerade jetzt ein starkes Europa (Beifall bei der SPÖ): ein starkes Europa, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronapan­demie zu bewältigen, ein starkes Europa für eine europäische Gesundheitsunion mit funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystemen, ein starkes Europa für nachhaltige Lösungen, um die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern, und ein starkes Europa für die Verteidigung unserer demokratischen Grundrechte, auch in Europa, mei­ne sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete. Und schließlich brauchen wir jetzt ein starkes Europa, das Verantwortung übernimmt und Lösungen bei der ganz wesentli­chen Frage der geordneten Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen auf unserem Kontinent schafft.

Die EU-Kommission wird heute ihr neues Paket zur Migrations- und Asylpolitik in der EU vorstellen. Das EU-Parlament hat dazu seine Haltung bereits 2016 klargestellt: Wir wol­len ein gemeinsames Asylsystem, basierend auf Verteilung und Solidarität.

Weil heute schon angesprochen worden ist, Fakten zu bringen: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Verehrte Bundesregierung! Genau das ist Ihr Job. Herr Bundeskanzler, das war auch Ihr Job als Außenminister!

Noch etwas: Niemand ist darüber hinaus gehindert, in der größten Not zu helfen und den Schwächsten in Moria, den Kindern und Minderjährigen, schon jetzt Schutz zu gewäh­ren. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

11.56

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Michael Schnedlitz. – Bitte.