12.30

Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallen­berg, LL.M.: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeord­nete, tatsächliche Abgeordnete! Was Ihr Redebeitrag mit Außen- und Europapolitik oder mit dem Bericht, der hier auf der Tagesordnung steht, zu tun hat, hat sich mir nicht wirk­lich erschlossen – ganz offen gestanden. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Leichtfried: Das ist aber auch nicht Ihre ...!)

Vielmehr, glaube ich, wäre es notwendig, dass wir wirklich über Außenpolitik reden. Das letzte Mal, als wir hier im Plenum eine außenpolitische Aussprache hatten, im Juli, habe ich angedeutet, dass Außenpolitik trotz der alles beherrschenden Pandemie nicht stehen bleibt und wir vielleicht sogar einen heißen außenpolitischen Herbst vor uns haben.

Leider Gottes hat sich das bewahrheitet, es sind hier mehrere Krisen schon angedeutet worden, die Liste der internationalen Krisenherde und Herausforderungen ist eigentlich tatsächlich länger geworden: die Notlage und die gescheiterte Regierungsbildung in Libanon – das wurde von der Frau Abgeordneten schon erwähnt –, die gefährliche Zu­spitzung mit der Türkei im östlichen Mittelmeer, die gefälschten Wahlen und das demo­kratie- und zivilgesellschaftliche Drama in Belarus, dessen Zeugen wir gerade sind, und zuletzt das gewaltsame Aufflammen des eingefrorenen Konflikts um Bergkarabach.

Doch bevor ich in medias res gehe – die Diskussion um den Außen- und Europapoliti­schen Bericht gibt ja die Chance für eine Rundschau –, möchte ich doch ein Thema ansprechen, das uns immer noch – oder ich würde sagen, leider wieder vermehrt – be­schäftigt, nämlich das Thema der Reisewarnungen.

Viele von uns hatten die Hoffnung, dass wir im Herbst weiter sein werden und dass sich die Situation die Reisewarnungen betreffend anders darstellen würde. Die Realität – und das wissen wir alle – sieht leider anders aus. Unser gemeinsames Ziel ist aber ganz klar: Es geht darum, diese schwierige Balance zwischen dem notwendigen Gesundheits­schutz auf der einen Seite und dem so wesentlichen Schutz der Personen‑, Waren- und Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU auf der anderen Seite zu finden.

Dazu gibt es laufend einen sehr engen und guten Austausch mit den EU-Mitgliedstaaten, allen voran natürlich mit unseren unmittelbaren Nachbarn, und es gibt auch durchwegs positive Entwicklungen, wie zuletzt die Aufhebung der Reisewarnung vonseiten Slowe­niens und Rumäniens.

Meine Damen und Herren, Österreich tritt ja ganz klar und nachdrücklich für eine bessere Koordinierung innerhalb Europas ein, und die gestern angenommene Coronaampel der EU ist grundsätzlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; nur hätten wir uns mehr erwartet, nicht nur eine schlichte und nicht wirklich treffsichere Landkarte zum Infek­tionsgeschehen in Europa, sondern einheitliche Standards für Reisebeschränkungen, Quarantänedauer und Coronatestungen. Da ist sicher noch nicht das letzte Wort gespro­chen, und die Gespräche auf EU-Ebene werden weitergehen müssen.

Vorerst, und das ist mir wichtig, müssen wir aber der Realität ins Auge sehen: Die Reali­tät ist, dass die Covid-19-Pandemie uns in Europa weiterhin fest im Griff hat; und damit bleiben auch Reisewarnungen, ob wir nun wollen oder nicht, Teil dieser europäischen Realität – als temporäre Maßnahme, um der weiteren Ausbreitung des Virus und einem unkontrollierten Anstieg der Infektionszahlen entgegenzuwirken. Der beste Weg, eigent­lich der einzige Weg, dieses Thema nachhaltig aus der Welt zu schaffen, ist es, die Co­vid-19-Zahlen in Europa und Österreich nachhaltig in den Griff zu kriegen, denn schließ­lich haben wir alle hier in diesem Raum ein gemeinsames Ziel, nämlich mit aller Kraft einen zweiten Lockdown zu vermeiden und den Weg aus der Krise zu finden.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, von all den außenpolitischen Krisenher­den, die ich am Anfang erwähnt habe, ist der Konflikt um Bergkarabach sicher derjenige, der das größte Eskalationspotenzial hat. Er beweist, wie schnell ein scheinbar eingefro­rener Konflikt wieder aufflammen und heiß werden kann.

Die internationalen Bemühungen müssen sich nun darauf konzentrieren, die Streitpar­teien weg von der Logik der Gewalt hin zur Logik des Dialogs zu bringen. Ich bin auch sehr dankbar für den Entschließungsantrag, der hier zur Debatte steht, und glaube, dass er sehr zeitgerecht ist. Falls es – es wurde schon erwähnt – von den Parteien gewünscht ist, steht Österreich wie schon in der Vergangenheit selbstverständlich als Verhand­lungsort zur Verfügung. Das Zusammentreffen der Außenminister in Moskau und erste Gespräche zwischen Aserbaidschan und Vertretern der OSZE sind Signale, die mich vorsichtig optimistisch stimmen, dass ein Flächenbrand in der Region vielleicht doch noch verhindert werden kann. Wir wissen, der erreichte humanitäre Waffenstillstand hängt an einem seidenen Faden, aber er ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Ganz offen muss ich aber sagen: Besonders kritisch sehen wir dabei die Rolle der Türkei. Während alle anderen internationalen und regionalen Akteure inklusive Russland, das möchte ich besonders betonen, sich als Feuerwehr betätigen, gießt Ankara weiterhin Öl ins Feuer – sowohl in Worten als auch in Taten.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch ganz kurz auf einen anderen Punkt betreffend die Türkei eingehen: Dass Ankara nun wieder ein Forschungsschiff ins öst­liche Mittelmeer geschickt hat, ist eindeutig eine neuerliche Provokation, und zwar nicht nur gegenüber Zypern und Griechenland, sondern gegenüber der gesamten Europäi­schen Union. Sollte Ankara diese Maßnahme nicht zurücknehmen, dann sollte die Euro­päische Union Sanktionen verhängen, so wie dies bereits beim EU-Gipfel Anfang Okto­ber angekündigt wurde. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir wissen alle, dass eine Lösung von Konflikten um Seegrenzen am Ende des Tages nur am Verhandlungstisch erreicht werden kann. Griechenland und Zypern haben sich dazu bereit erklärt, die EU aber kann diese offensichtliche Dialogverweigerung Ankaras und diese wiederholten Provokationen nicht einfach hinnehmen, sondern man sollte da wirklich Konsequenzen setzen und eine klare gemeinsame Sprache sprechen. Wir wer­den von österreichischer Seite diese Entwicklung auf jeden Fall weiterhin genau beob­achten und ich werde schon kommende Woche meine im September kurzfristig verscho­bene Reise nach Athen und Nikosia nachholen.

Sehr geehrte Damen und Herren, als besonders kritisch erweist sich derzeit auch die Lage in Belarus. Die Machtstruktur rund um Aljaksandr Lukaschenka versucht mit allen, auch gewaltsamen Mitteln einen nationalen Dialog und Neuwahlen zu verhindern. Es ist daher nur folgerichtig, dass die EU-Außenminister letzten Montag nach der Verabschie­dung des ersten Sanktionspakets mit 40 Personen ein weiteres Sanktionspaket auf den Weg gebracht haben, das diesmal auch Aljaksandr Lukaschenka erfassen wird.

Eines ist für mich dabei aber auch ganz klar: Wir dürfen als Europäische Union gegen­über Belarus nicht nur die Sprache der Sanktionen sprechen. Wir müssen vielmehr aktiv auf die Zivilgesellschaft, auf die Menschen dort zugehen, sie brauchen unsere Unterstüt­zung. Ich habe das letzte Woche in einem Gespräch mit der Oppositionsführerin Swjat­lana Zichanouskaja auch unterstrichen.

Ich halte es daher für ganz entscheidend, dass wir uns auf europäischer Ebene nicht nur auf Sanktionen geeinigt haben, sondern auch darauf, dass wir die EU-Mittel für Belarus umschichten, sodass diese Gelder nicht mehr dem System zugutekommen, sondern der Jugend, der Zivilgesellschaft und unabhängigen Medien (Beifall bei der ÖVP, bei Abge­ordneten der Grünen sowie des Abg. Brandstätter), und dass wir EU-Programme wie etwa Erasmus plus und Horizon Europe für Menschen aus Belarus stärker geöffnet ha­ben. Wir müssen, und das ist sehr wichtig, als Österreich und als EU wirklich darauf achten, dass die Bevölkerung von Belarus nicht hinter einem neuen Eisernen Vorhang verschwindet.

Hohes Haus! Am Montag haben sich die EU-Außenminister auch intensiv mit einer ande­ren Herausforderung befasst, die unmittelbar vor unserer Haustür liegt: das Chemiewaf­fenattentat auf den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Die Untersuchungen durch die internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen sprechen da eine eindeutige Sprache. Russland hat es dennoch leider verabsäumt, die Chance zu nützen, zur Aufklärung dieses Attentats beizutragen. Bei einer solch eklatanten Verlet­zung des Verbots des Einsatzes von chemischen Waffen können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Brandstätter.)

Die Europäische Union hat sich daher grundsätzlich darauf geeinigt, gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen vorzubereiten, die mit dem russischen Nowitschok-Programm im Zusammenhang stehen. Das heißt für mich aber nicht – und das will ich besonders un­terstreichen –, dass wir die Tür für Gespräche mit Moskau zuschlagen, ganz im Gegen­teil, wir müssen vielmehr gegenüber Russland auf Augenhöhe arbeiten und weiterhin eine doppelgleisige Strategie fahren: Kante, wo nötig, Dialog, wo möglich. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Lassen Sie mich abschließend noch ganz kurz auf ein Thema eingehen, das im Schatten der außenpolitischen Herausforderungen, die im europäischen Umfeld momentan wirk­lich sehr massiv auftreten, ein bisschen in den Hintergrund gerückt ist, nämlich die Ver­handlungen über die künftige Anbindung Großbritanniens an die Europäische Union, vulgo Brexitverhandlungen!

Wir sind jetzt wirklich in der letzten kritischen Schlussphase dieser Verhandlungen ange­kommen. An sich hatte Premierminister Boris Johnson eine Frist bis morgen, 15. Okto­ber, gesetzt. Das erweist sich jetzt als völlig unrealistisch, aber es ist klar, dass die Zeit tatsächlich knapp wird. Das Abkommen müsste bis spätestens Anfang November ste­hen, damit es noch rechtzeitig vor Jahresbeginn in Kraft gesetzt werden kann. Wir alle wissen, dass einige Kernfragen, darunter insbesondere die Sicherstellung fairer Wettbe­werbsbedingungen, immer noch offen sind und eines Durchbruchs harren.

Wenngleich Österreich und die EU auf alle Szenarien gut vorbereitet sind, hoffen wir dennoch, dass in den kommenden Wochen ein Kompromiss gefunden werden kann, denn natürlich ist es im Interesse aller, einen Deal zu erreichen.

Ich werde dazu nächste Woche unter anderem auch Gespräche mit meinem britischen Amtskollegen Dominic Raab in London führen, denn eines ist klar: Wir möchten Groß­britannien weiter als wichtigen und starken Partner in Europa wissen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Ernst-Dziedzic und Rössler.)

12.40

Präsidentin Doris Bures: Zur Geschäftsbehandlung hat sich Herr Klubobmann Wögin­ger zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Klubobmann.

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