9.21

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es in den letzten Wochen und Monaten immer wieder diskutiert: Die Herausforderungen für dieses Budget sind besonders groß, weil die sozialen, die wirtschaftlichen Folgen dieser Coronakrise mehr als verheerend sind. Österreich leidet unter der größten Wirtschafts­krise seit 1946. Das Wifo prognostiziert ein Minus von 7,5 Prozent – das sind 30 Milliar­den Euro, die Österreich in den nächsten Jahren fehlen werden.

Im September, Sie haben es schon genannt, waren über 400 000 Menschen arbeitslos – auch die höchste Zahl seit 1946. Dem gegenüber steht eine kleine Zahl an offenen Stellen und Jobs, nämlich knapp mehr als 60 000. Größer könnte diese Differenz fast nicht sein, glaubt man. 300 000 Menschen in Kurzarbeit: Auch das ist, Herr Wöginger, noch immer eine große Summe, vor allem angesichts der Prognosen der Wirtschafts­forscher, die uns auch für nächstes Jahr eine weiterhin große Arbeitslosigkeit voraus­sagen.

Das Bedrohliche ist, dass jetzt die großen Flaggschiffe der heimischen Industrie zu wackeln beginnen. Die heimische Industrie ist ein großer Arbeitgeber in unserem Land, und wenn diese Flaggschiffe ins Wanken geraten, dann droht das zu passieren, was wir jetzt fast täglich in den Zeitungen lesen, nämlich dass Standorte schließen und massivst Stellen gekürzt werden. Die Liste der Betriebe, die Probleme haben und Arbeitsplätze einsparen, wird täglich länger.

Die Frage ist, ob diese Entwicklungen wirklich neu sind. Sind sie überraschend? – Nein, sie sind nicht ganz überraschend, weil Wirtschaftsforscher dieses Landes diese Entwick­lung, diese zweite Pleitewelle im Herbst und im Winter bereits seit Wochen und Monaten vorausgesagt haben. Auch wir hier im Parlament haben mehrmals vor dieser zweiten Pleitewelle gewarnt.

Die Wirtschaftsforschung prognostiziert für diesen Winter eine Rekordarbeitslosigkeit, eine Rekordarbeitslosigkeit von mehr als einer halben Million Menschen, die in Öster­reich ohne Jobs sind. Die haben es nicht leicht, weil sich die Wirtschaftskrise nicht von heute auf morgen auflöst. Es wird für diese Menschen in den nächsten Monaten und Jahren ganz, ganz schwierig sein, wieder einen Job zu bekommen. Daher braucht unser Land ganz dringend – das ist längst überfällig – eine aktive, eine starke, eine voraus­schauende Arbeitsmarktpolitik, eine Arbeitsmarktpolitik mit Weitblick und mit Plan. (Bei­fall bei der SPÖ.)

Pressekonferenzen, Ankündigungen, Versprechungen und einfach auch nur Milliar­den Euro alleine machen noch keine kluge, zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik und schaffen auch keine Arbeitsplätze in der Zukunft.

Ich sage es Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie hätten jetzt, spätestens jetzt, eine große Chance, nämlich die große Chance, ein Budget vorzulegen, das die in Zahlen gegossene Kampfansage gegen diese riesige Arbeitslosigkeit in Österreich ist. Was muss ein Budget in dieser Krise nämlich jedenfalls können? – Es muss jedenfalls Arbeitsplätze und Unternehmen retten, ganz klar, es muss Einkommen, vor allem kleine und mittlere Einkommen, sichern, um die Kaufkraft, das Benzin der Wirtschaft, zu stärken, und ein Budget in Zeiten der historisch größten Wirtschaftskrise braucht natür­lich das historisch größte Konjunktur- und Investitionspaket, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ.)

Doch das türkis-grüne Budget, das Sie gestern vorgelegt haben (Abg. Hanger: Sie haben das Budget noch nicht gelesen, oder?), zeigt etwas anderes und ist vielmehr in weiten Teilen ein Manifest gebrochener Versprechen. Ein Versprechen, das der Kanzler erst vor zwei Wochen abgegeben hat – spät, aber doch, muss ich sagen, sieben Monate Coronakrise, Arbeitslosigkeit schon jenseits der 500 000, auch schon zu Beginn der Krise –: Der Kanzler meint, jetzt ist es Zeit, Arbeit zur Chefsache zu machen. – Okay, das nehmen wir zur Kenntnis, allein, die Frage ist, ob dieses Versprechen ein leeres Versprechen ist.

Wenn man genauer hinschaut, dann sieht man, dass das Arbeitsmarktbudget, das Sie in Ihrem Budget vorlegen, wenn man es pro Kopf betrachtet, kleiner ist als das Budget 2017. 2017 war kein Rekordjahr hinsichtlich einer Krise, einer Wirtschaftskrise und auch kein Rekordjahr hinsichtlich Arbeitslosigkeit, trotzdem war das AMS-Budget pro Kopf betrachtet höher als in Ihrem Budget heute. Das kann nicht die Antwort auf eine Rekordarbeitslosigkeit sein, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn man sich die Gruppe unter den Arbeitslosen anschaut, die es jetzt besonders schwer hat und in den nächsten Jahren noch schwerer haben wird, einen Job zu finden, nämlich die Gruppe der älteren Langzeitarbeitslosen, dann fragt man sich: Was haben Sie dazu zu sagen? Was sagen Sie diesen Menschen? Welche Mittel stellen Sie hierfür zur Verfügung? Ich konnte dafür in Ihrem Budget keine zusätzlichen Mittel finden. Was Ihre Steuersenkung betrifft: Ihr Regierungsprogramm ist schon einige Monate alt, und da steht eine sogenannte zweite Etappe der Steuerreform für 2021, 2022 drinnen, doch in Ihrem Budget findet sich diese Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen nicht mehr wieder.

Gerade jetzt wäre es so wichtig, Einkommen zu sichern, zu stabilisieren und die Kauf­kraft zu stärken, um damit die Wirtschaft anzukurbeln, aber diese versprochene Steuer­senkung ist einfach abgesagt – gerade jetzt unverständlich. (Abg. Wöginger: Die ist schon umgesetzt!)

Drittes Versprechen: Vor vier Monaten, im Juni dieses Jahres, gab es eine Regierungs­klausur. (Abg. Wöginger: Das war wichtig!) Einer der großen Outcomes, die Sie präsentiert haben, war die Klimaschutzmilliarde – zusätzliche Mittel in enormem Ausmaß für das Klima. Weder ich noch Wirtschaftsforscher können aber diese zusätzlichen Mittel, können diese nachhaltigen Pläne für die nächsten Jahre über die Coronakrise hinaus zur Rettung des Klimas und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in diesen Bereichen finden. (Abg. Wöginger: Das muss man lesen! – Abg. Hanger: Vielleicht das Budget einmal lesen! – Zwischenruf des Abg. Hörl.) Auch das ist eine vergebene Chance – ganz eindeutig, Herr Bundesminister. (Beifall bei der SPÖ.)

Genauso wenig können wir zusätzliche Mittel für die von Ihnen so oft versprochene Pflegereform finden. Ich kann mich erinnern, der erste PR- und Fernsehauftritt, den die Bundesregierung – der Kanzler mit dem Vizekanzler – hatte, war in einem Pflegeheim. Das große Projekt der türkis-grünen Bundesregierung: Warum finden sich dann keine großen Mittel in Ihrem großen Budget, Herr Bundesminister, wenn Ihnen Pflege so wichtig ist? (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Lukas Hammer.)

Eines haben Sie seitens der Regierungsfraktionen auch mehrmals betont: dass wir Danke zu sagen haben für ein gut finanziertes, gut funktionierendes öffentliches Gesund­heitssystem. Dank diesem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ist Österreich zumindest zu Beginn besser als andere Länder durch diese Krise gekommen. Ich frage mich aber, warum genau dieser Bereich jetzt keine zusätzlichen Mittel zur Absicherung bekommt – die Spitäler, die Sozialversicherungen, die durch die Coronakrise doppelt gebeutelt wurden –, denn es fehlen Hunderte Millionen in den Bundesländern, in den Spitälern. Wenn Sie es mit Ihrem Lob des österreichischen Gesundheitssystems ernst meinen, dann sollte sich das auch in Ihrem Budget widerspiegeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, auch da fordere ich Sie auf: Beenden Sie endlich diese Politik der leeren Versprechen! Übernehmen Sie endlich Verantwortung – Verant­wortung für die Zukunft Österreichs! Ergreifen Sie die Chance, die Sie jetzt mit diesem Budget haben, das angesichts der großen Herausforderungen ein historisches Budget ist! Ergreifen Sie diese Chance und machen Sie ein Budget, das Wirkung zeigt! Machen Sie ein Budget, das zukunftsorientiert ist, machen Sie ein Budget, das eine Kampf­ansage gegen diese Arbeitslosigkeit ist! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

9.30

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobmann Abgeordneter Herbert Kickl. – Bitte.