10.17

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Herr Bundeskanzler! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Menschen, die uns zuschauen! Eine rote Rose, in eines der Ein­schusslöcher gesteckt: Das ist ein Bild, das gestern wirklich tausendfach in den sozialen Medien geteilt wurde, aber es steckt in jedem einzelnen Einschussloch eine Blume, in den Fenstern, an den Wänden. Unzählige Menschen sind mittlerweile an die Tatorte gekommen und haben der Toten, der Verletzten, der Tat gedacht und mit diesem viel­leicht kleinen, aber so wichtigen und so mächtigen Symbol gezeigt, dass die Liebe größer ist als der Hass.

Der Abend des 2. November war kein Abend wie jeder andere. Es war der Abend vor dem Lockdown. Es war noch dazu eigentlich ein schöner, milder Abend, und viele Menschen waren in der Innenstadt unterwegs, um noch in den Schanigärten zu sitzen, noch ein Bier zu trinken, noch ein Glas Wein zu trinken, vielleicht noch beim Wirt vorbeizuschauen, der jetzt über Wochen zusperren muss, und ihm Mut zuzusprechen.

Um rund 20.10 Uhr wussten wir, dieser Abend wird aus anderen, aus ganz furchtbaren Gründen kein Abend wie jeder andere sein. Es wird der Tag sein, der nach langen Jahren erneut den Terror nach Wien gebracht hat.

Ich bin in der Innenstadt aufgewachsen. 1981 war ich drei Jahre alt. Ich habe das Attentat in der Seitenstettengasse damals nicht wirklich mitbekommen, wohl aber die verschärf­ten Sicherheitsmaßnahmen rund um jüdische Einrichtungen.

Ein Bekannter von mir hat dieses Attentat 1981 schon mitbekommen. Er hat mir vorgestern, als ich ihn zufällig am Hohen Markt getroffen habe, nachdem wir gemeinsam die Kränze und Blumen niedergelegt haben, erzählt, dass es sein Kindermädchen war, das getötet wurde, weil es sich zwischen den Attentäter und seinen kleinen Bruder gestellt hat.

Am Abend des 2. November sind in Wien vier Menschen getötet und viele weitere zum Teil schwer verletzt worden. Diese vier Menschen sind aus dem Leben gerissen worden – selten ist ein Sprachbild treffender als dieses für die Beschreibung dieses Abends. Zurück bleiben – und ihnen gilt unsere aufrichtige und wirklich von Herzen kommende Anteilnahme – Eltern, Freundinnen und Freunde, Partnerinnen und Partner und vielleicht auch Kinder.

Wir können den Abend des 2. November nicht ungeschehen machen, wir können die getöteten Menschen nicht wieder lebendig machen und wir können auch nicht oder nur bedingt die Angst und den Schrecken, die in diesen Minuten und Stunden verbreitet wurden, einfach vom Tisch wischen. Das wird uns noch sehr lange beschäftigen.

Wir können aber, und das haben schon sehr viele Menschen in den vergangenen Stunden und Tagen bewiesen, zeigen, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen und keinen Millimeter weichen, dem Terror und der Angst niemals das Feld überlassen. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Abg. Kickl.)

Dass diese Aussage keine Floskel ist, das zeigen die auch schon angesprochenen Worte des goldenen Wienerherzens, die man in einem Video vernehmen konnte, die dem Attentäter zugerufen wurden. Nein, ich werde sie hier auch nicht wiederholen, aber selten zuvor war ein solcher Ausdruck treffender, mehr am Punkt als jede Parole nach anderen Anschlägen in europäischen Städten. So wie die Rose im Einschussloch in der Mauer ist dieser Satz ein wenig Balsam für die Seele. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Grünen.)

In einer offenen Gesellschaft, in einer liberalen Demokratie muss immer klar sein, dass genau diese demokratische Freiheit, diese Offenheit, auch die demokratischen Grund­rechte ausgenützt werden können, um genau diese Freiheit, diese offene Gesellschaft, diese liberale Demokratie zu bekämpfen. Daher muss unsere Gesellschaft, müssen unsere demokratischen Institutionen immer wachsam sein und vor allem auch immer wehrhaft sein. Die Errungenschaften von Aufklärung und Säkularität – und um die geht es, das sind unsere Grundwerte – gilt es mit den Mitteln zu verteidigen, die in diesem demokratischen Bogen zur Verfügung stehen und die wir als Gesetzgeber auch zur Ver­fügung stellen.

Freiheit – und das ist mir ganz wichtig zu sagen – ist eben nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung, eine Verpflichtung, diese Freiheit immer wieder aufs Neue zu verteidigen. Freiheit kommt immer mit Verantwortung und Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet aber auch, dass man eben die Feinde der offenen Gesellschaft klar benennen muss. Es sind viele von vielen verschiedenen Seiten, und in Europa ist das derzeit ganz besonders auch der Islamismus. Auf dem Boden einer Religion geht es da in Wahrheit um Fundamentalismus und Extremismus. Ein reichlich verquerer Gottesstaat wird da über den demokratischen Rechtsstaat, fundamentalistische Ansichten werden über un­sere liberale und offene Gesellschaft gestellt. Das wird nicht toleriert, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! (Beifall bei NEOS und Grünen.) Das hat keinen Platz bei uns! Seit der Aufklärung, seit den historischen Leistungen einer Verfassung, die Grundrechte und Freiheit sichert, muss klar sein, dass das keinen Platz in unserer Gesellschaft hat. Genau diese Freiheit, diese liberale Gesellschaftsordnung darf jetzt aber auch nicht aufgegeben werden, sonst hätten die gewonnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, drei Tage Staatstrauer sind eine meines Erachtens wichtige Reaktion, wenn auch nur eine symbolische Reaktion auf den Terrorakt am Montag. Es ist eine kollektive Reaktion, die niemals den Einzelnen, den direkt Betroffenen, den Opfern und Angehörigen, aber natürlich auch den vielen Menschen, die jetzt Angst haben, die unmittelbar oder auch mittelbar die Geschehnisse erleben mussten, helfen wird.

In einer solchen Trauerzeit helfen mit Sicherheit keine Schuldzuweisungen. Und ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich entsetzt, überrascht – ich weiß es nicht – oder doch sehr betroffen bin, dass es keine 24 Stunden gedauert hat, dass Sie, Herr Bun­deskanzler, und Sie, Herr Innenminister, mit Schuldzuweisungen in die Medien gegan­gen sind, den Schuldigen in der Justiz ausgemacht hatten. In den Schlagzeilen war zu lesen, Sie haben es heute wiederholt – und das habe ich, muss ich sagen, besonders wenig staatsmännisch und eigentlich schäbig gefunden –, dass die Justiz den Attentäter zu früh aus der Haft entlassen hätte.

Gleichzeitig kamen die ersten Medienberichte aus Deutschland, dass es massive Ver­säumnisse und Fehler im Rahmen des Verfassungsschutzes, des BVT und damit des Innenministeriums gegeben hat. Wesentliche Informationen über einen Munitionskauf­versuch im Juli wurden weitergegeben und dann ist augenscheinlich nichts passiert. Zu diesem Bild passt auch, dass ein bekannter Gefährder offensichtlich schon zur Mittags­zeit in den sozialen Medien ein Bild von sich mit den Waffen veröffentlicht hat.

Ich finde diese frühen Schuldzuweisungen deplatziert und wenig staatsmännisch. Des­halb haben wir gestern ohne Schuldzuweisungen klar gesagt, dass es eine unabhängige Untersuchungskommission braucht, die diese Vorfälle untersucht. Unabhängig bedeutet aber auch, dass die Opposition miteinbezogen wird, insbesondere in die Frage, wer diese Untersuchungskommission leitet, und dass der Opposition zumindest im Rahmen des Nationalen Sicherheitsrates umfassende Akteneinsicht gewährt werden muss. Eines scheint nämlich klar zu sein: Dieses Attentat hätte tatsächlich verhindert werden können und auch müssen – und es ist mir wichtig, als Gesetzgeber zu sagen: am Boden der bestehenden Gesetze, die offensichtlich ausreichen.

Sehr geehrte Frau Justizministerin, ich glaube, es wäre gestern auch schön gewesen, sich ein wenig deutlicher vor die Justiz zu stellen. Wir werden nach dieser Unter­suchungskommission die Konsequenzen klären, das wird weder den Opfern noch den Angehörigen helfen, aber vielleicht Österreich besser und sicherer machen. Aktionismus und parteipolitische Manöver – insbesondere nicht vonseiten der Regierungsbank – sollten jetzt keinen Platz haben. Wir brauchen jetzt saubere Aufklärung und Verant­wor­tung. Und ja, Verantwortung bedeutet auch, dass man Verantwortung dann übernehmen muss, wenn klar ist, dass in den eigenen Behörden etwas massiv schiefgelaufen ist, Herr Innenminister.

Abschließend möchte ich einen Herrn zitieren, Andreas Wiesinger, der vorgestern in der „ZIB 2“ interviewt wurde. Er war Augenzeuge des Attentats und hat mir aus der Seele gesprochen, und ich möchte es ihm gleichmachen. Er hat gesagt, gleich als Erstes nach dem Lockdown wird er „in das Lokal zurückkehren und mit den Kellnern dort ein Bier trinken, weil mein Lieblingslokal lasse ich mir von dem nicht wegnehmen“. – Terror hat in Österreich keine Chance, beweisen wir es alle gemeinsam! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Grünen.)

10.27

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Innenminister Nehammer ist zu Wort gemel­det. – Bitte.