10.39

Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Die öster­reichische Bevölkerung, alle in Österreich lebenden Menschen mussten in diesem Jahr Unglaubliches ertragen. 2020 hat uns nicht nur eine globale Pandemie ereilt, sondern wir mussten am 2.11. auch ein grauenvolles Attentat erleben, das uns alle in den Grund­festen erschüttert hat. Meine Gedanken sind bei den Opfern, bei ihren Angehörigen, denen ich mein tiefstes Beileid aussprechen möchte.

Ja, wir haben alle Angst, wir sind verunsichert. Ich kann Ihnen auch sagen, alles, was wir jetzt sagen und was wir tun werden, kann keine Wunden heilen. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Was wir alle nun gemeinsam tun müssen, ist, zusammenzuhalten, denn nur so können wir uns gegenseitig Trost spenden und auch Hoffnung für die Zukunft geben.

Der Anblick der Bilder vom 2.11.2020, das Gefühl, dass Menschen vor unserer Haustür mit einem Sturmgewehr erschossen wurden – wehrlos erschossen wurden, unschuldig erschossen wurden –, unschuldige Menschen, die an diesem Abend gemeinsam mit ihren Freunden etwas trinken waren, weil sie den Abend vor dem Lockdown noch genießen wollten: Das hat mich und viele andere an eine Zeit erinnert, wir haben uns in eine Zeit zurückversetzt gefühlt, die wir in Österreich nicht haben wollen, die wir nie erleben wollen. Daher werde ich mich mit all meiner Kraft dafür einsetzen, dass so etwas nie wieder passiert, dass Terror in Österreich nicht möglich ist.

Die Staatsanwaltschaft – das verspreche ich Ihnen – wird alles daransetzen, diese fürch­terliche Tat aufzuklären. Ich kann Ihnen auch versprechen, dass wir alles daransetzen werden, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die hinter diesem grausamen Attentat stehen. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Ich kann Ihnen auch versprechen, dass wir in der Bundesregierung gemeinsam alles tun werden, um solche Taten in Zukunft zu verhindern. Meine Bitte ist: Bleiben Sie weiterhin für Ihre Mitmenschen da! Lassen Sie sich nicht spalten!

Gestern hatten wir einen Jubiläumstag – muss man sagen –, 70 Jahre Europäische Men­schenrechtskonvention, der an uns etwas spurlos vorbeigegangen ist. Dass gerade in dieser Woche die Grundfesten unserer Demokratie, unserer Freiheit, unserer Men­schenrechte so erschüttert werden, ist traurig. Das bringt uns auch dazu, dass wir weiterhin daran denken, dass wir uns nicht spalten lassen, dass wir unsere Freiheit, unsere Grundrechte weiterhin werden hochleben lassen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Dieser Täter hat am Montag versucht, unser Land zu spalten, er hat versucht, Chaos zu verursachen, er hat versucht, uns gegeneinander aufzuhetzen, MigrantInnen gegen Österreicherinnen und Österreicher, Christen gegen Muslime, Muslime gegen Christen. Er und seine Ideologiegenossen wollten uns zu jenen Monstern machen, wie er selber eines war. Ich sage, es wird ihm nicht gelingen. Wir werden weiterhin unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat hochhalten, wir werden weiterhin unsere Werte hochhalten und wir werden weiterhin füreinander da sein. Daher braucht es alle gemeinsam, braucht es Ihre Hilfe. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

Ich kann Ihnen auch versprechen, ich, der Innenminister und die gesamte Bundes­regie­rung werden alles daransetzen, alles restlos aufzuklären. Natürlich wird es notwendig sein, die Tat und den Tathergang sowie die Ereignisse vor der Tat genauestens zu beleuchten. Daher ist es wichtig, dass wir uns auch gemeinsam dazu entschlossen haben, diese Untersuchungskommission ins Leben zu rufen.

Ich kann Ihnen auch berichten, dass ich mir selbstverständlich gleich nach dem Attentat umgehend darüber habe berichten lassen, was 2019 im Zuge der Vorstraftat passiert ist, außerdem habe ich ausführliche Gespräche mit allen Sektionsleitern und natürlich mit den damaligen Betreuern des Attentäters geführt.

Ich kann Ihnen nach meinem derzeitigen Kenntnisstand berichten, dass der Täter zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Er hatte sich an der terroristischen Vereini­gung IS als Mitglied beteiligt, indem er unter anderem in die Türkei reiste, um von dort weiter nach Syrien zu gelangen, um dort weitere Mitglieder des IS zu unterstützen. Es gelang ihm aber nicht, weil er in der Türkei von den dortigen Sicherheitsbehörden festgenommen wurde und dann, letzten Endes, nach Österreich überstellt und in Haft genommen wurde. Er war ab 15.9.2018 in Haft, teilweise in Untersuchungshaft und in der Vorhaft in der Türkei. Er wurde im Dezember 2019 bedingt entlassen, nachdem er zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte. Er wurde unter strengen Auflagen für eine Zeit von drei Jahren auf Probe gestellt. Es wurden ihm für die Dauer von drei Jahren Bewährungshilfe, Betreuung und Kontrolle angeordnet, gleichzeitig bestand die Möglichkeit der Überwachung durch die Sicherheitsbehörden, um allfällige Gefahren abzuwenden. (Zwischenruf des Abg. Kickl.)

Die Gefahrenbeobachtung und der notwendige Informationsfluss zwischen der Justiz und den Sicherheitsbehörden ist insbesondere dann von entscheidender Bedeutung, wenn es sich um Menschen handelt, die aufgrund einer terroristischen Straftat vorbe­straft sind. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte können nur dann handeln, wenn sie die notwendigen Informationen haben. Das ist genau der Grund, warum der Infor­mationsfluss in diesen Fällen so notwendig ist. Das ist genau der Grund, warum ich auch die Initiative des Innenministers unterstütze, den Verfassungsschutz neu aufzustellen (Zwischenruf bei der SPÖ), denn es geht selbstverständlich auch darum, dass die Zusammenarbeit zwischen der Justiz, der Staatsanwaltschaft und dem Verfassungs­schutz verbessert und effektiver gestaltet wird. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

In erster Linie geht es um den Schutz der Bevölkerung, es geht um die Sicherheit aller in Österreich lebenden Menschen und es geht auch darum, dass Menschen, von denen eine Gefahr ausgeht, nicht nur engmaschig betreut und kontrolliert, sondern auch von Staatsschützern beobachtet werden. Die Betreuung und die Kontrolle müssen nach der Haft noch engmaschiger erfolgen, und dafür werden wir auch sorgen.

Um alle Details über die vorliegenden Abläufe aufzuklären und zu erfahren, was passiert ist, werden, wie bereits erwähnt, der Innenminister und ich die Untersuchungs­kommis­sion ins Leben rufen, damit fundierte Lehren für die Zukunft gezogen werden können. Es ist jetzt wichtig, nicht voreilig Schuldzuweisungen zu machen, sondern entschlossen gemeinsam alles daranzusetzen, die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen und für den Schutz und die Sicherheit aller in Österreich lebenden Menschen zu sorgen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir beide schonungslos an einer Aufklärung interessiert sind und alle Abläufe in den letzten Tagen, aber auch in den letzten Jahren beleuchten werden. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Abg. Kickl: Das ist nicht besonders glaub­würdig!)

Ich kann Ihnen auch versichern, dass die Justiz – die Staatsanwaltschaften und die Ge­richtsbarkeit – alles tun wird, um zur Aufklärung beizutragen.

Zum Abschluss möchte ich mich bei allen Heldinnen und Helden der Nacht von Montag bedanken: bei den Blaulichtorganisationen, der Rettung, der Polizei sowie den Ärztinnen und Ärzten, den Krankenschwestern, die Außergewöhnliches geleistet haben, um Schlim­meres zu verhindern, auch für die großartige Zusammenarbeit zwischen dem Innen­ministerium und dem Justizministerium, zwischen der Polizei und den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, die in jener Nacht unermüdlich im Journaldienst gearbeitet haben, um Anordnungen zu genehmigen, und ebenso bei den Richterinnen und Richtern, die in jener Nacht Anordnungen rasch genehmigt haben.

Ich möchte Ihnen auch sagen, dass nach meinem derzeitigen Wissensstand die Richte­rinnen und Richter sowie die Mitarbeiter der Gerichte und der Staatsanwaltschaften zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen nach den ihnen vorliegenden Informa­tionen und auch nach der derzeitigen Rechtslage gehandelt haben. Ich möchte mich ausdrücklich bei ihnen für ihren Einsatz bedanken. (Beifall bei Grünen, ÖVP und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich möchte mich darüber hinaus bei jenen bedanken – auch der Innenminister hat es schon erwähnt –, die Zivilcourage gezeigt haben, um das Leben anderer zu retten, um verletzte Polizisten in Sicherheit zu bringen.

Ich möchte mich bei den Menschen bedanken, die in der Nacht unter dem Hashtag SchwedenplatzTür und opendoorsvienna in den sozialen Medien verängstigten Men­schen Zuflucht geboten haben. Auch bei den Lokalbesitzern in Wien, die bereits ein besonders schweres Jahr durchlitten haben, möchte ich mich dafür bedanken, dass sie den Menschen Zuflucht geboten haben.

Sie alle, meine Damen und Herren, haben gezeigt, dass wir stolz auf Österreich sein können, dass wir stolz auf Wien sein können. Sie alle machen Österreich zu einem großartigen Land. Dieser Täter, nein, der wird uns nicht spalten, denn wir werden weiterhin zusammenhalten. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.50

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Nun ist Herr Abgeordneter Mahrer zu Wort ge­meldet. – Bitte.