11.00

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen – und nicht mehr Herren – auf der Ministerbank! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Ich bin froh, dass wir heute, am letzten Tag der 16 Tage gegen Gewalt, die Möglichkeit haben, darüber auch hier zu diskutieren. Ich bin froh, dass wir dies am internationalen Tag der Menschenrechte tun, und ich bin froh, dass wir in dieser Europastunde auch wirklich ganz Europa in den Blick nehmen, nicht „nur“ – unter Anführungszeichen – die EU, sondern wirklich ganz Europa, weil die Istanbulkonvention, wie schon gesagt worden ist, eine Europaratskonvention ist und einfach das beste legistische Mittel weltweit, das wir momentan haben, um gegen Gewalt national vorgehen zu können.

Es ist natürlich ausgesprochen befremdlich und macht Angst, dass sie immer noch viele Länder nicht ratifiziert haben. Ich möchte da Russland, die Ukraine oder Großbritannien als sehr wichtige große Länder nennen, aber auch Nachbarstaaten von uns, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, haben sie noch nicht ratifiziert.

Die Diskussion ist schon geführt worden: Dass Länder darüber nachdenken, wieder auszutreten, ist wirklich nicht nur befremdlich, sondern, ich würde sagen, beängstigend, vor allem für die Frauen dort. Schauen wir uns einmal an, was denn da gesagt wird oder welche Gründe vorgebracht werden, warum man aus der Istanbulkonvention austreten oder ihr vielleicht am besten gar nicht beitreten soll: Da wird zum Beispiel behauptet, wenn man der Istanbulkonvention beitritt, dann werden Männer und Frauen abgeschafft und es gibt nur mehr Gender, das ist eine Gefahr für die Familie. – Das ist natürlich Unsinn.

Oder es wird gesagt, dass man, wenn man der Istanbulkonvention beitritt, seine Kultur ändern muss. – Ja, also wenn eine Kultur darin besteht, dass es normal ist, dass ein Mann seine Frau schlägt, finde ich es eigentlich ganz gut, dass man seine Kultur ändern muss. (Beifall bei der SPÖ.)

Es wird auch behauptet, dass man mit der Ratifizierung der Istanbulkonvention quasi die gleichgeschlechtliche Ehe einführt. – Nichts davon ist wahr. Die Istanbulkonvention ist schlicht und ergreifend eine Konvention, die hilft, Frauen vor Gewalt zu schützen, von häuslicher Gewalt bis hin zu weiblicher Genitalverstümmelung. Es ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, und darum ist diese Konvention so unglaublich wichtig! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Geschlechtsspezifische Gewalt hat viele Facetten. Momentan ist es zufälligerweise so, dass ich die große Ehre habe, dem Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminie­rung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vorzusitzen. Mit Evelyn Regner, der Vorsitzenden des Gleichstellungsausschusses des Europäischen Parla­ments, arbeite ich sehr eng zusammen. Wir zwei Österreicherinnen bilden eine sehr, sehr enge Achse und versuchen, genau diese falschen Argumente zu entkräften. Wir arbeiten wirklich mit Fakten und natürlich auch daran, dass die Europäische Union endlich ratifiziert. Das wäre sehr, sehr fein.

Wenn ich über die Zusammenarbeit zwischen Europarat und Europäischer Union rede, dann bin ich auch schon bei etwas, was ich mit feministischem Multilateralismus um­schreiben möchte. Es ist 25 Jahre her, dass die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking stattgefunden hat, die ein wirklicher Aufbruch für Frauen gewesen ist, denn erstmals wurde klargestellt, dass ein Leben frei von Gewalt ein Menschenrecht ist, dass Frauen­rechte Menschenrechte sind, und es wurden das erste Mal sexuelle und reproduktive Rechte definiert.

Lassen Sie mich zum nächsten Thema kommen, nämlich genau zu diesen sexuellen und reproduktiven Rechten, die unglaublich unter Druck sind: Schauen wir zum Beispiel nach Polen, wo gerade der Verfassungsgerichtshof – nicht zu verwechseln: der polni­sche Verfassungsgerichtshof ist mehr ein Gremium der Regierungspartei PiS als ein unabhängiges Gericht – geurteilt hat, dass es in Zukunft so gut wie immer illegal ist, in Polen eine Schwangerschaft zu beenden, was Frauen in die Illegalität treibt, Frauen durch eine ungewollte Schwangerschaft durchzwingt. Das ist ein massiver struktureller Eingriff in die Menschenrechte dieser Frauen.

Es ist sehr, sehr toll zu sehen, dass es nicht nur innerhalb des Parlaments in Polen, sondern auch außerhalb massive Proteste gibt. Über 400 Parlamentarierinnen und Parlamentarier, auch von fast allen Fraktionen dieses Hauses, haben einen Brief an die polnische Regierung unterzeichnet, mit der Aufforderung, das zu beenden, weil es nicht sein kann, dass wir einen so großen Rückschritt machen und dass Frauen ihre sexuellen und reproduktiven Rechte mit einem Federstrich einfach genommen werden. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Mir ist jetzt leider auch die Redezeit ausgegangen. Ich wollte noch gerne über toxische Maskulinität reden (Abg. El-Nagashi: Nächstes Mal!) – genau, das nächste Mal –, weil Gewalt in Wirklichkeit ein Männerproblem ist.

Stattdessen möchte ich zum Abschluss noch sagen: Wenn Sie sich für das Thema näher interessieren und die Frage von Frauenpolitik, sexuellen, reproduktiven und Frauen­rechten und Gewalt gegen Frauen auch von einem internationalen Aspekt her beleuchtet sehen wollen, dann kann ich Ihnen sehr dazu raten, die „Frauen*solidarität“ zu abon­nieren, das ist eine tolle Zeitschrift (eine Ausgabe der genannten Zeitschrift in die Höhe haltend), die es verdient, gelesen zu werden. – Danke sehr. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

11.05

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Roman Haider. – Bitte.