11.43

Mitglied des Europäischen Parlaments Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frauen Ministerinnen! Gewalt gegen Frauen ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst; umso be­schämender ist es, dass wir in unserer zivilisatorischen Entwicklung noch nicht weiter­gekommen sind. Ganz im Gegenteil: Wir müssen heuer enorme Rückschritte erleben, weil die Gewalt während der Covid-Krise so stark zugenommen hat.

Der Lockdown hat den Tätern ununterbrochen Möglichkeit, Zugang und Macht gegeben, Kontrolle über ihre Opfer zu haben. Gleichzeitig haben Familien während dieser Aus­gangsbeschränkungen auch Fluchtmöglichkeiten verloren. Sie haben soziale Unter­stützungs­netze nicht mehr in greifbarer Nähe, der Zugang zu Hilfsdiensten und Unter­künften ist eingeschränkt. Es gibt finanzielle Unsicherheit, es gibt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Und all das hat das Gewaltrisiko natürlich noch weiter erhöht.

Das Schlimme ist – wie meine Kollegin Henrike Brandstötter schon gesagt hat –, dass überall in Europa dieselbe Situation besteht. Die WHO hat zum Beispiel festgestellt, dass die Notdienste überall in Europa bei den Anrufen von Frauen, die in Not sind, einen Anstieg von bis zu 60 Prozent verzeichnet haben. Wir haben im Europäischen Parlament mit Entschließungen gearbeitet, wir haben Aufrufe an die Kommission gestartet, um Opfer nicht alleine zu lassen und vor allem dieses Thema auch im Europäischen Parla­ment ins Zentrum der politischen Arbeit zu rücken.

Meine Fraktion Renew Europe, die Liberalen im Europäischen Parlament, hat dazu auch einen Aktionsplan verfasst. Wir können und müssen bei diesem Thema in Europa – gemeinsam – noch viel stärker zusammenarbeiten, uns besser koordinieren, uns besser abstimmen. Das wäre wirklich ein Schritt, um Frauen in ganz Europa zu helfen und sie zu unterstützen. (Beifall bei den NEOS.)

Es geht dabei auch um ganz konkrete Dinge. Es gibt zu dem Thema Gewalt an Frauen immer viele Worte, es gibt viele Reden dazu, es gibt viele Bekenntnisse dazu, wie wichtig das Thema ist. Dabei gäbe es ein paar relativ praktische Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, die man auch einfach umsetzen könnte. Es gibt viele Mitgliedstaaten, die auch schon viel getan haben. Es tut sich auch in Österreich sehr viel, und Österreich ist ja in den letzten 30 Jahren auch sehr oft sehr positiv mit der Arbeit, die im Kampf gegen Gewalt an Frauen geleistet wird, aufgefallen. Es geht aber noch so viel mehr! Ich habe oft wenig Verständnis dafür, warum diese vergleichsweise einfachen Dinge nicht ge­macht werden.

Zu diesen Vorschlägen gehört zum Beispiel, dass die Helplines für Frauen in Not europaweit ausgebaut werden oder dass es eine einheitliche europaweite Nummer gibt, die Frauen überall wählen können – vor allem auch in Zeiten, in denen wir alle viel mobiler sind. Es müssen aber zum Beispiel besonders vulnerable Gruppen auch einen Zugang haben, zum Beispiel Frauen, die auf der Flucht sind. Warum gibt man denen nicht einfach eine einheitliche Nummer in Europa, bei der sie sich melden können? Ich habe kein Verständnis dafür, warum das nicht geht.

Wir müssen Best Practices besser untereinander austauschen. Zum Beispiel gibt es in der Europäischen Union relativ wenig vergleichbare Daten zum Thema Gewalt an Frauen. Es wäre enorm wichtig, bei der Datenerhebung stärker zusammenzuarbeiten, weil es ja auch darum geht, Gewaltmuster zu erkennen. Diese haben sich ja auch in Krisensituationen wiederum sehr stark geändert, aber wir können es aufgrund von in Europa nicht vorhandenen Daten nicht wissen und auch nicht vergleichen. Das ist wieder etwas, das man sehr einfach machen könnte.

Es bräuchte auch ein neues EU-Protokoll zu Gewalt gegen Frauen in Krisen- und Notstandszeiten, weil das eben ganz spezielle Situationen sind, in denen wir uns jetzt befinden, und niemand kann uns sagen, dass wir nicht wieder in einer ähnlichen oder auch in einer anderen Notsituation sein werden, die europaweit auftreten wird, in der wir ein koordiniertes, einheitliches Vorgehen brauchen, einen Plan, mit dem wir gewappnet sein müssen.

Es ist auch wichtig, dass Frauen und zivilgesellschaftliche Organisationen in dieses Thema eingebunden werden, wenn es darum geht, Maßnahmen gegen die Coronakrise zusammenzustellen. Warum gibt es da nicht ein besseres Zusammenarbeiten? Ich ver­stehe es einfach nicht! Es geht mir nicht in den Kopf, warum man diese einfachen Dinge nicht umsetzen kann.

Es ist ein europaweites Thema, es ist ein weltweites Thema. Wir müssen besser zusam­menarbeiten, um unseren Beitrag zu leisten, damit die Zivilisation eben ein Stück weiterkommt und damit wir diese Schande, die seit Beginn der Menschheit besteht, endlich beenden können. Dass wir das nicht hinkriegen, haben wir nur selbst zu ver­antworten. Deshalb: Schauen wir nicht weg! Schauen wir hin! Helfen wir Frauen in Not und tun wir wirklich etwas gegen diese beschämende Situation! – Danke. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

11.48

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Mitglied des Europäischen Parlaments Angelika Winzig. – Bitte.