10.13

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Herr Präsident! Werte Mit­glieder der Bundesregierung! Herr Kanzler! Herr Vizekanzler! Werte Ministerinnen und Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe alle, die zuschauen! Vielleicht wundern Sie sich – normalerweise ist es üblich, dass wir bei solchen Gelegenheiten eine Klubob­leuterunde machen, der Größe nach. Wir haben es für diese Sitzung verabsäumt, eine Regelung zu treffen, und dass ich erst jetzt spreche, liegt daran, dass wir uns als Pro­redner eingemeldet haben – es wird ja immer abwechselnd pro und contra gesprochen.

Warum habe ich mich als Prorednerin eingemeldet? – Weil ich es begrüße, dass wir mit Martin Kocher endlich, möchte ich sagen – endlich! –, einen namhaften Wirtschafts­experten in der Regierung haben. Ich möchte Ihnen auf das Herzlichste gratulieren und Ihnen wirklich von Herzen alles Gute und auch viel Erfolg wünschen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es ist von Klubobmann Kickl schon ein bisschen angesprochen worden: Wir schätzen Ihre Expertise. Wir schätzen auch Ihre bisherigen Wortmeldungen zu Wirtschaftspolitik, Fiskalpolitik, wir schätzen Ihre liberale Grundeinstellung. Wir glauben, es tut dieser Re­gierung gut, endlich wieder diese liberale Grundeinstellung in der Regierung vertreten zu sehen, vor allem aber endlich auf Expertise und Substanz zu setzen. Sie verfügen zweifelsohne über Expertise weit über den Arbeitsmarkt hinaus, im wirtschaftlichen Be­reich, gerade im Bereich der Verhaltensökonomie, wo wir es für so wichtig erachten, dass sie stärker zum Einsatz kommt, natürlich aber auch in fiskalpolitischen Fragen.

Ich möchte, was vielleicht ungewöhnlich ist, auch an Ministerin Aschbacher einen Dank aussprechen. Nein, wir beurteilen ihre Arbeit in der Regierung nicht mit Bestnoten. Ich glaube aber, dass es der Anstand auf jeden Fall gebietet, jedem und jeder zu danken, der oder die bereit ist, Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Daher auch von unserer Seite herzlichen Dank! (Beifall bei NEOS und ÖVP sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir hoffen auf einen Kurswechsel. Diese Ernennung von Martin Kocher zum Arbeitsmi­nister kann nur der Beginn sein, der Beginn für eine vielleicht größere Regierungsumbil­dung, mit der endlich stärker auf Substanz und Expertise statt auf Parteiloyalität, Verbun­denheit aus Jugendparteitagen, Schlagzeilen, Schlagworte und Showpolitik gesetzt wird. Wir sind in der schwersten Krise der Zweiten Republik, und diese Herausforderungen brauchen Expertise und Substanz und Ehrlichkeit, Redlichkeit im Umgang mit diesen Herausforderungen.

Wir haben eine enorme Wirtschaftskrise, wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, wir er­warten dramatische Firmenpleiten und natürlich auch massiv steigende Staatsschulden. Das können wir, mit Blick auf die nächste Generation, nicht vom Tisch wischen. „Koste es, was es wolle“ wird irgendwann ein Ende haben müssen und muss umbenannt wer­den in: das tun, was nötig ist, damit wir uns wieder an die Spitze bringen. Dazu braucht es seriöse, ernsthafte, inhaltliche Planung und echte Substanz. Es ist nämlich so, dass wir die Regierung an ihren Taten messen und nicht daran, was Sie über diese berichten. Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt – das sollte in einer Krise noch stärker gelten.

Daher appelliere ich an Sie, Herr Bundeskanzler, dass diese Regierungsumbildung nur der Anfang einer viel, viel größeren sein möge, denn Erneuerung und Expertise braucht diese Regierung dringend, nicht nur im Arbeitsbereich, sondern meiner Meinung nach auch im Wirtschaftsbereich.

Österreich steht wirtschaftlich schlecht da. Ja, es gibt eine Weltwirtschaftskrise. Was Sie aber in Ihren Ausführungen unterschlagen haben, ist, dass Österreich im Vergleich zu anderen Ländern, vor allem auch anderen europäischen Ländern, wirtschaftlich schlech­ter durch die Krise gegangen ist, mehr Menschen arbeitslos sind, mehr Unternehmen in Schwierigkeiten geraten sind oder geraten werden und auch unser Wohlstand einge­brochen ist. Und ja, die Frage ist, ob Ideen wie Kaufhaus Österreich uns wirklich aus dieser Krise führen werden. Wir denken: eher nicht.

Man könnte aber auch in den Sozialbereich schauen, in dem die Themen Arbeit und Soziales natürlich sehr eng miteinander verbunden sind. Man kann das nicht getrennt voneinander betrachten, und wir werden diskutieren müssen, wie wir in Zukunft eine Grundsicherung für Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und die aber auch sonst keine Chance haben, schnell wieder Fuß zu fassen, gestalten können. Eine Umgestal­tung beispielsweise in der Form, Arbeit und Soziales zusammenzulegen, hätte – das habe ich diese Woche schon gesagt – einen angenehmen Nebeneffekt, nämlich dass der Gesundheitsminister wirklich für die Mammutaufgabe der Bekämpfung der Gesund­heitskrise und insbesondere des Impfens freigespielt wäre, denn nichts anderes hat er jetzt zu tun, als dafür zu sorgen, dass Österreich rasch geimpft wird.

Was es jetzt jedenfalls nicht braucht, ist Zögern und Zaudern. Das sage ich ganz be­wusst, denn wir hatten gestern hier die Diskussion zum Thema Impfen, und verzeihen Sie, Herr Minister Anschober, aber ich habe Sie auch wieder zögernd und zaudernd erlebt und nicht mit dem Mut zu der nötigen Klarheit, die es jetzt braucht. Wir brauchen Klarheit und konkrete Antworten, was jetzt der weitere Plan der Bundesregierung in Be­zug auf die Infektionszahlen, in Bezug auf die Frage des Lockdowns und insbesondere in Bezug auf die Frage der Virusmutation ist.

Wir haben gestern auch beim Bildungsminister Unklarheit und Schwammigkeit erlebt. Um 12 Uhr geht er in das „Mittagsjournal“ und sagt, am 25. Jänner sperren die Schulen im Schichtbetrieb wieder auf, und um 13 Uhr sagt er in der „ZIB“: Nein, nein, das gilt aber nur dann, wenn es keinen weiteren Lockdown gibt. (Abg. Kickl: ... der Oberexperte ...!) – Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist das Gegenteil von Klarheit, das ist das Gegenteil von Planbarkeit, und das ist meines Erachtens das Gegenteil von Ehrlichkeit.

Wenn wir nämlich jetzt jeden Tag von, was weiß ich, 17 Skilehrern da – es sind natürlich immer die ausländischen Skilehrer die Bösen –, ein paar Fällen dort lesen, dann müssen wir uns doch die Frage stellen: Ist das eine ehrliche Auseinandersetzung? (Zwischenruf des Abg. Zarits.) Mich erinnert das ein wenig an letztes Jahr, als wir von einem Hotel in Innsbruck und von einem Anwalt in Wien gehört haben und eigentlich jedem Beobachter klar war, dass das Virus im Land ist. Genauso müsste man jetzt ehrlich fragen: Ist die Mutation nicht schon längst im Land, und was heißt das?

Diese Fragen müssen Sie ehrlich beantworten. Die Bürgerinnen und Bürger in Öster­reich haben sich Ehrlichkeit und Klarheit darüber verdient, wie Sie das Virus einschätzen, wie Sie die Mutation einschätzen und was auch das langsame Impfen, das viel zu langsame Impfen in Bezug auf diese Mutation jetzt bedeutet. Das wäre Leadership: end­lich ehrlich und transparent, umfassend informierend zu sagen, was Sache ist!

Was passiert aber stattdessen? Sie wissen, wir stehen diesem Thema ja grundsätzlich positiv gegenüber, weil wir seit Monaten eine Teststrategie verlangen und auch damals, als Sie mit Ihrer Schnapsidee des Massentests gekommen sind, gesagt haben: Voraus­setzung dafür, dass das sinnvoll ist, wäre zum Beispiel, solche Tests in bestimmten Berufsgruppen oder in bestimmten Regionen durchzuführen. Auch wenn es heute hier einen ersten Schritt, sage ich einmal, zu einer sinnvollen Teststrategie gibt, so frage ich mich, ob das nicht eine Selbstbeschäftigung zur Unzeit ist – so wie es völlig klar war, dass die Idee des Freitestens eine Selbstbeschäftigung zur Unzeit ist, wenn wir wissen, dass jetzt eine ansteckendere Virusvariante im Haus ist. Sie können dankbar sein, dass die Opposition Ihnen diesen Bauchfleck – Sie haben in der Bekämpfung dieser Pande­mie schon viele geliefert – erspart hat. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die Menschen wollen wissen, wann die Schulen öffnen, die Schüler wollen wissen, wie es weitergeht, die Lehrerinnen und Lehrer wollen wissen, wie es weitergeht, die Direk­torinnen und Direktoren wollen wissen, wie es weitergeht. Ja, und auch die Gastrono­mieunternehmen und Hotelunternehmen wollen wissen, ob sie damit rechnen können, dass im Februar aufgemacht wird. Haben Sie die Ehrlichkeit, heute zu sagen, was Sache ist? Ich sage Ihnen nämlich etwas: Keiner glaubt mehr daran. Die bereiten sich zwar vor, weil sie vorbereitet sein müssen, aber eigentlich – wie man erkennt, wenn man die Zei­tungen aufschlägt – denkt niemand daran, dass am 25. der Lockdown endet, Testen hin oder her. (Zwischenruf des Abg. Kickl.) Haben Sie den Mut, zu sagen, dass das nicht funktionieren wird! Das würde Planbarkeit schaffen, das wäre Ehrlichkeit, und das wäre auch das Leadership, das es jetzt so dringend braucht.

Was muss noch getan werden? – Dass darüber gesprochen wird, das erwarte ich mir eigentlich auch heute und jetzt in dieser Diskussion. Natürlich wäre, wie schon öfters angesprochen worden ist, die Verwendung von FFP2-Masken auszuweiten – das ist ei­ne sinnvolle Möglichkeit –, es braucht endlich – Kollege Loacker fordert das seit Monaten – die Digitalisierung des Contacttracings, gerade in Bezug auf die Frage, wie wir die Virus­mutation B.1.1.7 verfolgen. Es braucht aber auch, und ich sage das auch, die Schaffung der Möglichkeit, dass jede und jeder Einzelne selbstermächtigt, eigenverantwortlich ei­nen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten kann, indem die Tests niederschwellig mehrfach jede Woche angeboten oder sogar nach Hause geschickt werden, sodass wir alle nicht nur unseren eigenen Status wissen, sondern jeder Einzelne auf diese Weise zu einem echten Covid-Fighter werden kann. Das wäre ein Ansatz, der endlich auch mit den Menschen gemeinsam auf die Pandemiebekämpfung abstellt, statt immer nur auf Zwänge und Strafen.

Jetzt habe ich mich wieder sehr viel mit dem, was jetzt aktuell zu tun wäre, aufgehalten. Ich möchte aber, Herr Kocher, die Gelegenheit schon auch nutzen, um zu sagen, was 2021 unsere Erwartungshaltung an diese Regierung generell und ganz speziell auch an Sie ist, denn eines ist klar: Die Krise wird uns zwar noch einige Monate begleiten, aber danach muss alles getan werden, dass es weitergeht, und zwar meines Erachtens nicht in Richtung eines Comebacks – ich halte das für völlig falsch; es kann kein Comeback sein, das sich daran ausrichtet, was wir davor gemacht haben, da wir wissen und jetzt auch noch stärker wissen, was alles nicht funktioniert hat. Das hat uns nahe an ein Staatsversagen, ein Systemversagen geführt, mit einem Bürokratismus, der uns knebelt und bindet, sodass wir nicht einmal eine gescheite Impfstrategie auf den Weg bringen können. – Nein, wir brauchen einen echten Neustart, und der erfordert Mut zu Reformen in ganz vielen Bereichen dieses Staates. An kleinen Rädchen zu drehen, das haben vergangene Regierungen schon gekonnt, das hat diese Regierung schon gekonnt, das hat vielleicht bis jetzt gereicht, aber jetzt reicht es nicht mehr.

Wenn wir wirtschaftspolitisch, wenn wir in Bezug auf die Wiedererlangung einer Vollbe­schäftigung, wenn wir bildungspolitisch und auch in Bezug auf die Staatsschulden und die Frage der – hoffentlich auch – Steuererleichterungen für die Menschen Österreich wieder an die Spitze bringen wollen, dann braucht es Mut für echte Reformen, dann braucht es Substanz, dann braucht es Qualität, dann braucht es weniger Pressekonfe­renzen und mehr ernsthaftes und solides Krisenmanagement.

Ich habe das am Dienstag gesagt, und ich sage es heute wieder – Herr Kickl hat ja auch Aussagen von Herrn Kocher bezüglich der Frage, was in unserem Land dringend getan werden müsste, aufgezählt –: Wenn Sie bereit sind, statt an kleinen Rädchen zu drehen, mutige, große Reformen zu wagen, dann ist unsere Hand immer ausgestreckt. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

10.24

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist nun der neue Bundesminister für Arbeit Martin Kocher. – Bitte.