10.43

Abgeordnete Mag. Eva Blimlinger (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle­gin­nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Im März 1938 lebten in Österreich ungefähr 200 000 Jüdinnen und Juden. Dazu kamen noch ein paar Zehntausend, die sich eigentlich nicht mehr als Juden verstanden haben, aber von den Nationalsozialisten zu solchen gemacht worden sind. Sie waren dann sogenannte Mischlinge ersten oder zweiten Grades, wiewohl sie eigentlich gar nichts mehr mit dem Judentum zu tun haben wollten.

Im Mai 1945 lebten in Österreich eine Handvoll Juden und Jüdinnen – 60 000 wurden ermordet, der Rest konnte flüchten, ein paar haben als U-Boot in Österreich überlebt. Flüchten konnte unter anderem das Ehepaar Ella und Ludwig Weisz. Sie haben im 12. Bezirk gewohnt, sie hatten ein kleines Radiogeschäft, das sehr prosperierend war, weil das Radio in den Dreißigerjahren ja jene Quelle war, aus der man Informationen bezogen hat.

Gleich im März 1938 wurde das Geschäft arisiert und nach und nach andere Teile des Geschäfts, nämlich das ganze Inventar; dann wurde die Wohnung arisiert, und schließ­lich gelang im April 1939 die Flucht nach Palästina. Ludwig Weisz sagt dann: „Wir haben zu leben gehabt, nicht, [...] aber [...] gerade nur, um zu leben“.

Wohnung konnten sie sich keine leisten, aber sie sind Wiener geblieben. Sie wollten immer wieder zurück, und kaum war der Krieg zu Ende, kaum war der Holocaust vorbei, wollten sie nach Wien zurück. Sie schreiben dann auch immer wieder nach Wien: Wir wollen zurück, wie geht das? – Sie brauchen eine Einreisegenehmigung, als Wiener und Wienerin eine Einreisegenehmigung aus Palästina in ihre Heimatstadt. Diese wurde ihnen nicht erteilt.

Es hat bis zum April 1947 gedauert – genau acht Jahre, nachdem sie geflüchtet waren –, dass sie nach Wien zurückkommen konnten. Die Wohnung haben sie nicht zurückbe­kommen, das Geschäft haben sie nicht zurückbekommen. Sie konnten dann ein neues Geschäft gründen, aber all das war es nicht mehr. Es war nicht mehr so: Wir haben keine Möglichkeit gehabt, wieder dort anzufangen, wo wir aufgehört haben.

Jetzt fragt man sich: Warum wollten sie eigentlich in dieses Land zurückkommen, aus dem sie vertrieben worden sind, in dem andere – ihre Freunde, Freundinnen, ihre Familien – ermordet worden sind? – Ella Weisz sagt in einem Interview: „Wir waren Juden, aber wir waren Wiener.“ Man hatte immer Heimweh.

Österreich war nach 1945 nicht in der Lage, zu erkennen, dass man genau diese Per­sonen, die überlebt haben, zurückholen sollte, dass man ihnen hier einen freundlichen Empfang bereitet. Spät, sehr spät haben wir jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen, der das sicherstellen soll: dass jüdisches Leben – es gibt circa 10 000 Juden, Jüdinnen, die in Österreich leben – sichergestellt wird, dass wir die Sicherheit gewährleisten, dass wir den kulturellen Austausch gewährleisten und dass wir wirklich eine jüdische Gemeinde haben, in der es den Leuten, die hier leben, gut geht.

Ich muss Martin Engelberg leider widersprechen: Nein, der autochthone Antisemitismus hat leider überhaupt nicht abgenommen. Gerade in Coronazeiten zeigt sich, dass die Mythen der Coronaleugnerinnen und -leugner immer und zum großen Teil mit anti­semi­tischen Verschwörungsmythen und -erzählungen – denn Verschwörungs­mythen und –er­zählungen haben das in sich – verbunden sind.

In diesem Sinne freue ich mich, dass es endlich gelungen ist, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, und wünsche mir, dass es dann möglichst rasch zu den notwendigen Zahlungen kommt.

Im Übrigen bin ich dafür, dass die Windisch-Kaserne in Richard-Wadani-Kaserne um­benannt wird. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

10.47

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Brandstätter. – Bitte.