19.38

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehr­ten Damen und Herren! Das passt ja ganz gut nach dieser Wortmeldung. Ich will mich da jetzt nicht im Detail verbreitern, aber das eine: Ich habe das sehr genossen, dass diese Expertinnen- und Expertenanhörung von fünf sehr, sehr kompetenten Fachexper­ten stattgefunden hat, denn das ist gelebter Parlamentarismus.

Was sie aber aus meiner Sicht nicht verdient haben, das ist, dass sie im Stillepost­ver­fahren da irgendwie wiedergegeben werden und reininterpretiert wird, was Sie von ihnen verstehen wollten. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Sie zitieren zum Beispiel Professor Kollaritsch – ein großartiger Fachexperte – dahin gehend, dass er auf die Fragestellung: Was wäre passiert, wenn wir keine Maßnahmen gesetzt hätten?(Abg. Wurm: Das steht im Protokoll, Herr Minister!), gesagt hätte: Ich bin froh darüber, dass ich es nicht weiß. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wurm.) Damit hat er gesagt, geschätzter Kollege Wurm – ich meine es wirklich sehr ernst, was ich jetzt sage, zumindest den zweiten Teil –, dass er es nicht wissen will, weil es verheerend gewesen wäre.

Ich habe mit Professor Kollaritsch Hunderte Abende verbracht, weil er im Beraterkreis der Bundesregierung und in meinem Haus tätig ist. Ich sage Ihnen, der weiß ganz genau, was passiert wäre, wenn nicht gehandelt worden wäre. Einige Länder haben das einige Monate hindurch probiert und haben dann eine verheerende Situation gehabt. Kommen Sie uns also bitte nicht mit diesen Rezepten! (Beifall bei den Grünen.)

Wir haben die Situation, dass – morgiges Datum, wir werden es vermutlich mit dieser Debatte, so erwarte ich es mir jedenfalls, nicht mehr erreichen – der 25. Februar der Termin und der Tag war, als dann das, was wir alle befürchten mussten, vor einem Jahr tatsächlich geschehen ist, nämlich dass die Pandemie mit den beiden ersten Fällen in Österreich angekommen ist. Damals haben wir geglaubt, 100, 200, 300 Fälle sind sehr, sehr viel. Heute wissen wir, dass wir froh wären, wenn wir bei 300 Fällen wären. Wir sind in den letzten 24 Stunden bei über 2 000 Fällen. Das heißt, die Fallzahlen steigen derzeit wieder an, und das war eigentlich auch zu erwarten. Warum war es zu erwarten? – Weil wir seit Anfang Jänner wissen, dass wir in ganz Europa das Auftreten von zwei sehr riskanten Mutationen haben, die vor allem dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eine um 30 bis 40 Prozent erhöhte Ansteckungskraft haben. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schreit irgendwo anders, aber lasst mich in Ruhe reden! Okay? (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Auf der ganzen Welt sind sich alle Fachexperten einig (neuerlicher Zwischenruf der Abg. Belakowitsch), aber die Professorinnen und Professoren der FPÖ wissen es besser, sie wissen es anders. (Abg. Stefan: Wie viele Südafrikafälle gibt es? – Abg. Deimek: In Tirol gibt es 100!) Ich werde meine Redezeit nicht mit ihren Zwischenrufen verbringen.

Wir sind also in der Situation, dass sich zwei Mutationen in ganz Europa ausbreiten, die um 30 bis 40 Prozent ansteckender sind als das Stammvirus. Das ist das eigentliche Problem. Wir haben gewusst, dass wir dann, wenn diese Varianten, diese Mutationen eine Dominanz im virologischen Geschehen in Österreich einnehmen, auch wieder steigende Fallzahlen haben werden, das ist ja ganz klar. Wenn ich dann einen um das 0,3- oder 0,4-Fache höheren Reproduktionsfaktor habe, dann steigen die Gesamt­reproduktionszahl und damit die Infektionszahlen generell an. Wenn wir so wie derzeit einen Reproduktionsfaktor von 1,1 haben, dann bedeutet das, dass von 100 Personen, die eine Infektion haben, 110 andere angesteckt werden. Damit steigt die Kurve an, und das ist derzeit natürlich besorgniserregend. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

Der Druck auf das Infektionsgeschehen steigt. Wir halten mit fünf konkreten Maß­nahmen, die unter allen Fachexpertinnen und Fachexperten weitestgehend außer Streit stehen, dagegen. Wir kontrollieren zum einen die Verbreitung dieser beiden Varianten. Das heißt, Österreich ist das erste Land – da bin ich wirklich stolz auf die Labore, auf die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Österreich –, das alle positiven PCR-Ergebnisse vollständig auf Mutationen abtestet. Wir haben dadurch mittlerweile ein sehr präzises Wissen und wissen, dass im Osten Österreichs, in Wien zum Beispiel, der Mutationsanteil des britischen Virus mittlerweile bei über 50 Prozent liegt (Abg. Wurm: Dann sperren wir Wien zu, oder?), in Niederösterreich ähnlich, im Burgenland mittler­weile bei deutlich über 70 Prozent. Und dann haben wir ein Ost-West-Gefälle, Vorarlberg liegt derzeit bei rund 16 Prozent, also deutlich besser. Je höher der Anteil, desto höher ist der Druck auf das Infektionsgeschehen und desto mehr steigen die Werte an. Punkt eins in unserer Strategie ist daher: Dagegenhalten mit einer guten Kontrolle der Mutan­ten.

Punkt zwei: Die FFP-2-Maske, die heute von einzelnen Abgeordneten mit wenig Ver­ständnis diskutiert wurde, ist eine ganz zentrale Schutzmöglichkeit und Schutznot­wendigkeit, weil wir uns, wenn es ein erhöhtes Ansteckungsrisiko gibt, damit und durch einen größeren Mindestabstand selbstverständlich besser schützen können.

Punkt drei, den wir in diesem Schutzprogramm, in dieser Schutzstrategie realisieren, ist der Ausbau des Contacttracings. Mittlerweile arbeiten 5 000 Menschen in Österreich an diesem Contacttracing, und es ist mittlerweile durchdigitalisiert und dadurch noch deut­lich handlungsfähiger.

Sie beschließen heute einen wesentlichen Punkt, nämlich dass es Datenübermittlungen aus dem Bereich des Impfpasses an das Kontaktpersonenmanagement geben kann. Stellen Sie sich vor, es gibt einen Menschen, der geimpft ist, und der würde dann mög­licherweise, weil er beim Kontaktpersonenmanagement eine Kontaktperson ist, in Qua­rantäne geschickt. Das wäre völlig verrückt, das wollen wir nicht. (Abg. Belakowitsch: Könnte es nicht auch daran liegen, dass das Contacttracing völlig versagt hat?) Des­wegen ist es gut, dass es diesen Informationsfluss gibt.

Der vierte Punkt sind die Tests. Ich glaube wirklich, dass da in Österreich in den letzten Wochen durch ganz unterschiedliche Beteiligte Großartiges passiert ist. Wir haben im Augenblick 1,4 bis 1,5 Millionen Testungen pro Woche. Es arbeiten da im Übrigen – ein Beispiel, das noch wenig in der Öffentlichkeit ist – die österreichischen Betriebe ganz fantastisch mit. Es machen da mittlerweile fast 1 200 – laut meiner Erinnerung 1 164 – mit, machen offizielle Screenings bei ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. 500 000 Mit­arbeiter, mehr als 500 000 MitarbeiterInnen werden damit erfasst, haben damit die Mög­lichkeit, laufend getestet zu werden, und diese Betriebstestungen sind auch offen für Gemeindebürgerinnen und -bürger. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ich glaube, das ist ein guter Punkt, bei dem Betriebe auch etwas für die allgemeine Öffentlichkeit anbieten können.

Zweitens: Die Apothekerinnen und Apotheker haben in kürzester Zeit das Programm der Gratistestungen übernommen. Das funktioniert fantastisch. Wir sind mittlerweile bei über 900 Apotheken in ganz Österreich, die diese Gratistestungen durchführen.

Drittens, last, but not least: Ich kann mich noch erinnern, dass im November, Dezember von einzelnen Abgeordneten ganz kurze Listen vorgetragen worden sind, wie viele Teststraßen es in den Bundesländern bereits gibt. Mittlerweile haben wir über 400 in ganz Österreich. Das heißt, der Zugang zum Gratistest ist mittlerweile hervorragend, und es lassen sich deswegen auch immer mehr Menschen testen. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Zwischen 200 000 und 240 000 sind es in dieser Woche bisher gewesen. Das ist sehr, sehr gut, und da ist Österreich ganz vorne mit dabei.

Ich könnte Ihnen Medienartikel dieser Woche zeigen, zum Beispiel im „Wall Street Journal“, das Österreich als Vorbild für die Schulöffnungen in den USA darstellt. Es waren in der letzten Woche sechs oder sieben deutsche Fernsehteams bei uns in Wien, um sich anzuschauen, wie die Ösis das machen, weil das auch ein Modell ist, das mittlerweile in Deutschland diskutiert wird. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ich glaube, in dem Zusammenhang haben wir etwas weitergebracht – dank vieler, die sich engagieren, dank der Teamarbeit, des Zusammenhalts. Das ist halt unsere Vorgangsweise, Frau Kollegin Belakowitsch, auch wenn Sie das nicht so nachempfinden können. (Abg. Belakowitsch: Sie können nicht nachempfinden!)

Der fünfte Punkt ist einer der ganz zentralen – und auch da haben Sie mit Ihren Be­schlüssen heute wieder wesentliche Verbesserungen zustande gebracht –, das ist der Impfprozess. Wir haben mittlerweile einen E-Impfpass, der so weit ausgerollt ist, dass 94 Prozent der Impfungen bereits im elektronischen Impfpass verankert sind. Das ist ein Projekt, das seit 15 Jahren in Vorbereitung war und das bis zum Jahr 2030 hätte ausgerollt werden sollen. Wir haben das innerhalb von zwölf Monaten geschafft, haben das umgesetzt. Mittlerweile ist das Realität und funktioniert auch Tag für Tag besser. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

In dem Zusammenhang möchte ich noch kurz zwei Dinge ansprechen: Wir haben es zwar erst morgen in der neuen Verordnung im Hauptausschuss als Punkt, der be­schlossen werden soll, wie ich hoffe. Wir haben eine Lockerung im Bereich der Alten- und Pflegeheime. Es ist eine sehr gute Entwicklung, die in den Alten- und Pflegeheimen realisiert werden konnte. Sie erinnern sich vielleicht, wir haben Ende November rund 4 300 Infektionsfälle an einem einzigen Tag in Alten- und Pflegeheimen in Österreich gehabt – trotz einer sehr, sehr engagierten Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger und der Besucher und Besucherinnen, die wirklich achtgegeben haben, aufgepasst haben. Es ist dennoch passiert. Immer dann, wenn das Infektionsgeschehen in der Umgebung heftig ist, ist das nur schwer zu vermeiden. Wir haben trotzdem die Maßnahmen noch einmal angezogen. Das hat sich bewährt, hat aber natürlich auch dazu geführt, dass es für die Bewohnerinnen und Bewohner schwierig gewesen ist, weil es nur wenig Besuchs­möglichkeiten gegeben hat. Kollege Keck hat das in seiner Rede vorhin schon ange­sprochen.

Ich finde wirklich, dass es jetzt, da wir bei 340, 350 Infektionsfällen sind, an der Zeit ist, da wieder einen Lockerungsschritt zu realisieren. Den werden wir morgen mit der Ver­ordnung verankern. Das wird dann ab nächster Woche gelten, und dann können zumin­dest pro Woche zweimal zwei Besuche realisiert werden. Das, was sich ganz viele Großeltern gewünscht haben, nämlich dass sie den Papa oder die Mama und das Kind, das Enkerl wieder einmal sehen können, das wird ab nächster Woche Realität und Normalität in den Alten- und Pflegeheimen werden.

In Summe möchte ich mich ganz einfach bei all den Abgeordneten bedanken, die in einer schwierigen Situation – mir ist das völlig klar –, unter enormem Zeitdruck immer wieder bereit sind, gemeinsam konstruktiv an Lösungen zu arbeiten. Ich möchte da ausdrücklich alle inkludieren, auch die Sozialdemokratie, die sich in diesen konstruktiven Prozess immer wieder auch sehr offensiv mit einbringt, die Regierungsfraktionen und auch die NEOS-Fraktion, die von ihrem Zugang als Oppositionspartei aus selbstverständlich auch spannende Ideen einbringt. Wir haben ja auch etliches, was in der damaligen Diskussion verankert wurde, übernommen, etwa im COVID-19-Maßnahmengesetz.

Auch wenn es manchmal härter zugeht, ist es trotzdem wichtig, dass wir das Gemein­same in dieser Pandemiebekämpfung sehen, denn nur gemeinsam werden wir Schritt für Schritt diese ganz große Herausforderung bewältigen.

Da wird es Fehler geben. Da läuft nicht alles hundertprozentig perfekt. In keinem ein­zigen Land der Welt läuft es hundertprozentig perfekt. Wir sind teilweise auch Suchende, weil es ein neues Virus ist. Auch die Experten und Expertinnen sind in manchen Detailbereichen noch nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube, dass dann in Summe, wenn dieses Land zusammenhält, wenn die Bevölkerung zusammenhält, das Ziel schon ein bisschen zu erahnen ist. Wenn diese Pandemie ein Marathon wäre, wären wir meiner Einschätzung nach wahrscheinlich bei Kilometer 32 oder 33.

Zu Ostern, wenn wir schon mehr Menschen geimpft haben, wird es besser, glaube ich. Also in Summe: Wir werden das gemeinsam schaffen. Wir werden da gemeinsam durchkommen, und wir werden dann gemeinsam viel zu tun haben, um das zu schaffen, was dann, nach dem Ende der Pandemie – oder dann, wenn wir die Pandemie unter Kontrolle gebracht haben, um es besser zu formulieren –, die erste Notwendigkeit sein wird, nämlich die soziale Krise zu verhindern und das wirtschaftliche Comeback zu ver­wirklichen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

19.51

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.