12.39

Abgeordnete Pia Philippa Strache (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Sehr geehr­ter Herr Bundesminister! Die Krise ist für alle eine Belastung, ist für alle eine Ausnahme­situation. Alle sind im Grunde am Ende ihrer Kräfte, aber vor allem und besonders hart trifft sie durch eine neue Alltagsroutine, eine neue Alltagssituation Kinder und Jugendli­che, die sich eben nicht alleine helfen können.

Depressionen bei Kindern und Jugendlichen haben deutlich zugenommen, eine Steige­rung von bis zu 30 Prozent ist bereits spürbar. Was für mich aber die noch viel dringen­dere oder viel notwendigere Frage ist, betrifft das, was nicht spürbar ist, wozu man noch keine Zahlen hat, denn eine Depression ist vor allem eines: eine lange unsichtbare Krankheit.

Augen zu und durch ist da eine Taktik, die einen, glaube ich, schneller einholen wird, als man vielleicht denkt. Nicht nur, dass Depression eine Krankheit ist, die einen tödlichen Ausgang nehmen kann; wenn man eine Depression hat, steigt auch das Risiko – es steigt nicht nur, es verdoppelt oder verdreifacht sich sogar –, eine andere chronische Volkskrankheit zu bekommen.

Wenn man zurückdenkt: Vor rund 30 Jahren gab es diese Diagnose bei Kindern und Jugendlichen, dass diese also überhaupt depressiv sein können, noch gar nicht. Es ist eine Entwicklung der modernen Diagnostik und des Krankheitsverstehens, überhaupt der Auseinandersetzung mit dieser Krankheit, dass man jetzt schon viel früher beginnen kann, gegenzusteuern.

Die Welt ist für junge Menschen nicht erst seit der Coronakrise eine enorme Belastung, eine enorme Situation, in der sie mit viel Druck, der vor allem auch den sozialen Netz­werken geschuldet ist, zurechtkommen müssen. Die Krise taucht da nur noch zusätzlich ein bisserl an. Der Weg einer Depression beginnt schon deutlich früher, und ich denke, wir sind alle gefordert, nicht so lange zu warten, bis sich bei Kindern oder Jugendlichen der Wunsch, tot zu sein, zu sterben, äußert. Man muss schauen, dass die politischen Weichenstellungen deutlich früher ansetzen. Dass eine Depression oder dass ein Fami­lienumfeld, in dem Spannungen herrschen, einer Kinder- oder Jugendlichenseele nicht guttut, darüber sind wir uns, denke ich, alle einig; aber wir müssen eben auch politisch alles in unserer Macht Stehende tun, damit es nicht so weit kommt und damit wir Kindern und Jugendlichen den notwendigen Schutz bieten können – auch in diesen schweren Stunden, oder sagen wir: gerade in diesen schweren Stunden.

Politisch muss es ein Gebot der Stunde sein, die Kinder nicht im Stich zu lassen, sie aus dem Spannungsfeld zu holen, sie wieder in den Präsenzunterricht zurückzubringen.

Eine weitere wichtige Sache ist, dass man vielleicht auch den Elementarpädagogen eine notwendige Schulung zukommen lässt, denn Kinder können die Schuldfrage noch nicht differenzieren. Selbst wenn ein Kind einem Umfeld ausgesetzt ist, in dem es nicht direkt angegriffen wird, weiß es noch nicht: Bin ich jetzt schuld an einem Streit oder bin ich es nicht?, und es münzt diesen auf sich. Auch das ist ein perfekter Nährboden für eine Depression, und es muss ein Rahmen geschaffen werden, der schon Elementarpäda­gogen oder Pädagogen rasch entsprechende Mittel gibt und vor allem das Wissen ver­mittelt, um erste Warnsignale und Warnzeichen erkennen zu können.

Man muss, wie gesagt, ja nicht warten, bis ein Kind von sich aus sagt, dass es nicht mehr am Leben sein will. Jetzt kann man darüber diskutieren, ob ein Kind überhaupt versteht, was es da sagt, ob es die Endgültigkeit des Totseins schon versteht; aber al­leine aufgrund dessen, dass ein Kind den Wunsch hat, zu sterben, sollte es uns allen – egal ob man Kinder hat oder nicht – ein Anliegen sein, da wirklich gegenzusteuern. (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS.)

Das tut man am besten, indem man Pädagoginnen und Pädagogen derart ausstattet, dass diese gegensteuern können, indem wir ihnen die politischen Instrumente und Werk­zeuge geben und sie nicht wieder mit einem neuen Wahnsinnsproblem, dem sie zu­sätzlich ausgesetzt sind, alleinlassen, sondern ihnen sagen, welche Hilfeleistung wir ge­ben können. Im Bildungsbereich gibt es ein Fördervolumen von rund 200 Millionen Euro. Ich habe gesehen, rund 35 Millionen Euro sind bereits ausgegeben worden, das heißt, 165 Millionen Euro oder zumindest einen Teil davon können wir noch verwenden, um gegenzusteuern und Kinder und Jugendliche – pauschal gesagt: Betroffene – nicht al­leinzulassen.

Wenn man schon beim Pauschalisieren ist, hilft einem auch der folgende Satz dabei, noch einmal richtig zu verstehen, was die Tragweite einer Depression ist: Sie ist eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit, die für jeden zweiten betroffenen Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren tödlich ausgeht – oder, plakativ zusammengefasst, sie ist die zweithäufigste Todesursache in dieser Altersgruppe.

Darüber gibt es den sehr schönen Film „Grau ist keine Farbe“. Dieser ist zwar in Deutsch­land entstanden, aber ich denke, man kann das eins zu eins auf das österreichische Bildungssystem umlegen. Das besonders Schöne – wenn man einen schönen Ansatz an diesem Film finden möchte – ist, dass er auf Initiative von Mitschülern betroffener Schüler gemacht wurde; mit Ärzten, mit Betroffenen, die sich äußern. Eine Betroffene erklärt darin, wie sie für sich erkannt hat, dass sie eine Depression hat: Wenn du unter Depressionen leidest, siehst du die ganzen Möglichkeiten, die dir zustehen, nicht mehr, du siehst nichts Schönes mehr, und dadurch, dass du das nicht mehr siehst, willst du auch nicht mehr da sein. Ich habe zumindest nicht mehr wirklich etwas gefühlt. Es ist eher so, als fühlte man sich ganz leer. – Zitatende. Umso wichtiger ist die Wiederaufnah­me des Präsenzunterrichts, auch für den Austausch unter Gleichaltrigen, und eine be­darfsgerechte Aufstockung von Unterstützungspersonal für Lehrerinnen und Lehrer.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich weiß, dass Sie ein Mensch sind, der den inten­siven Austausch sehr schätzt und ihn mit Pädagoginnen und Pädagogen auch sehr engmaschig hält. Meine Bitte wäre, dass Sie ein Thema aus der Tabuzone herausholen und den Betroffenen vielleicht sagen, dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein sind. – Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

12.45

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Petra Vorder­winkler. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.