18.29

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Werter Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! (Die Begrüßung auch in Gebärdensprache ausführend:) Liebe gehörlose Men­schen!

Kennen Sie den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“? – Manchmal fühle ich mich bei meinen Reden zur Inklusion, als wäre ich in diesem Film gefangen. Ganz ehrlich: Meis­tens haben wir SprecherInnen für Menschen mit Behinderungen alle die gleiche Bot­schaft und das gleiche Ziel, so wie auch heute mit unserem gemeinsamen Antrag: Die Situation von Menschen mit Behinderung muss verbessert werden!, und dennoch habe ich das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Aber ich kann Ihnen eines versprechen: Ein steiniger Weg hat mich noch nie aufgehalten!

Österreich hat die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 ratifiziert. Dement­sprechend wurde der erste NAP Behinderung 2012-2020 erstellt. Das war ein wunder­barer Plan, und beim Lesen hatte man wirklich den Eindruck, dass ein Wille da ist, etwas zu verändern.

So sagt dieser Aktionsplan beispielsweise Folgendes: „Inklusion überwindet [...] den An­spruch, behinderte Menschen müssten ,eingegliedert‘ werden bzw.“ – beziehungswei­se – „sich so weit wie möglich den Anforderungen der nicht behinderten Menschen an­passen, um nicht von den gesellschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen zu sein.“

Fakt ist, dass nach diesen zehn Jahren zwar einige richtige und wichtige Schritte ge­gangen wurden, aber es wurde bei Weitem nicht genug getan.

Erstens: inklusiver Arbeitsmarkt – Fehlanzeige. Noch immer arbeiten rund 20 000 Men­schen, Österreicher und Österreicherinnen, in Tageswerkstätten, weshalb sie nicht in die Sozialversicherung miteinbezogen werden.

Das Regierungsprogramm vom November 2008 nennt als Vorhaben die „Prüfung der Umsetzungsmöglichkeiten einer eigenständigen sozialversicherungsrechtlichen Absi­cherung“. Seit 2009 arbeitete eine Arbeitsgruppe des Arbeitsministeriums und der Län­der an diesem Thema. Im Jahr 2010 hat das Ministerium eine Studie in Auftrag gegeben, deren Endbericht im Jahr 2012 vorlag. 2019 veröffentlichte die Volksanwaltschaft ihren Bericht „Keine Chance auf Arbeit“, in dem sie auf die verheerende Situation in den Ta­geswerkstätten hinwies. 2020 gab es einen Allparteienantrag, der die Umsetzung dieser Empfehlung forderte. Und heute? – Es ist nichts passiert. Ist das Ihr Ernst?

Wir fordern hier und heute die sofortige Umsetzung der schalen Worte im Regierungs­programm: „Lohn statt Taschengeld“. Menschen mit Behinderung haben ein Recht da­rauf!

Zweitens: inklusive Bildung – Fehlanzeige. Wo ist das politische Tun? Wo ist der politi­sche Wille? Ja, es ist nicht einfach, Sonderschulen öffnen, Sonderschulen schließen, Barrierefreiheit, aber die UN-Behindertenrechtskonvention sagt in Artikel 24 ganz ein­deutig: „(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderun­gen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“.

Soll ich Ihnen etwas sagen? – Es liegen Konzepte der Modellregionen im Ministerium, man muss sie nur zur Hand nehmen und umsetzen. Ja, es werden zusätzliche Res­sourcen benötigt, aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Vorteile eine inklusive Gesellschaft hätte? Wann setzen Sie endlich den großen Startschuss? Stimmt, heute kam das Strategiepapier für inklusive Bildung und Sonderpädagogik – lassen Sie dieses Papier bitte nicht wieder nur geduldig sein!

Daher fordern wir hier und heute wieder einmal die Umsetzung eines inklusiven Bil­dungssystems, weil alle Kinder das Recht auf Bildung haben, und wir kein Kind zurück­lassen wollen.

Drittens: bundeseinheitliche Regelung für persönliche Assistenz – Fehlanzeige. Was soll ich da noch sagen? – Mein erster Antrag hier zur bundeseinheitlichen Regelung wurde im Jänner 2020 einstimmig angenommen; das war aber nicht der erste zu dieser The­matik. Zielsetzung des NAPs war es, dass die unterschiedlichen Regelungen der neun Bundesländer in der persönlichen Assistenz bundesweit vereinheitlicht werden sollen, und wir sind immer noch kilometerweit davon entfernt – warum?

Deshalb fordern wir hier und heute die sofortige Umsetzung der bundeseinheitlichen persönlichen Assistenz, weil alle Menschen ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben.

Jetzt wurde also der NAP 2012-2020 auf bemerkenswerten 762 Seiten evaluiert, und momentan sind wir in der Vorbereitung für den nächsten NAP 2022-2030. Ich durfte zum Thema Bildung an zwei runden Tischen teilnehmen; mitarbeiten kann ich es leider nicht nennen, da wir beim zweiten Tisch 2,5 Stunden lang zusammengefasst haben, was beim ersten Tisch passiert und was auch bis 2021 im Bereich Inklusion nicht passiert ist.

Das Ziel 2021 war, dass die Bundesländer und die Betroffenen einbezogen werden sollen. – Ich möchte da gar nicht mehr ins Detail gehen, weil es wirklich frustrierend ist, dass mit den Anliegen von Menschen mit Behinderung so umgegangen oder eben nicht umgegangen wird.

Auch die Tatsache, dass ein NAP Behinderung 2031 bereits angedacht wird, finde ich äußerst bedenklich. Ziel sollte vielmehr sein, 2030 – 22 Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention – alle Forderungen umgesetzt zu haben und keinen NAP mehr zu brauchen. Ich möchte den Willen spüren – in allen beteiligten Ministerien –, in unserem schönen Land inklusiv zu leben.

Gestern war der ÖVP noch jedes Leben irrsinnig wichtig, beim Thema Inklusion trennt sich die Spreu vom Weizen. Ratifizierte Konventionen verlieren an Wichtigkeit, fertige Konzepte müssen neu überarbeitet werden, Pilotprojekte werden wieder angedacht, und so weiter. Es geht hier aber nicht darum, welchen Weg Sie gehen wollen, es geht darum, welcher Weg aufgrund der Ratifizierung zu gehen ist.

Österreich hat sich in Artikel 24 verpflichtet, ein inklusives Schulsystem einzurichten. Es hat sich in Artikel 27 verpflichtet, einen inklusiven Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es hat sich aber auch in Artikel 9 zur umfassenden Barrierefreiheit verpflichtet. In Artikel 3 der Konvention finden sich die allgemeinen Grundsätze, und mein Lieblingsgrundsatz ist „die Achtung der Unterschiedlichkeit und die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit“.

Aus diesem Grund: Vergessen Sie niemals, normal ist, dass jeder verschieden ist! – Danke. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Grünen.)

18.36

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Mag.a Corinna Scharzenberger. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.