11.06

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundes­kanzler! Herr Vizekanzler! Vor allem: Herr Bundesminister Mückstein und sehr geehrte Bundesregierung! Liebe Damen und Herren! Diese heutige Regierungserklärung ist letztlich notwendig, weil vor wenigen Tagen das dritte Mitglied dieser doch recht jungen türkis-grünen Bundesregierung zurückgetreten ist. Dieses Mal war es der Gesundheits­minister, und das inmitten einer Jahrhundertgesundheitskrise.

Ich gehe davon aus, dass viele hier herinnen – der Herr Vizekanzler hat sie schon er­wähnt – die letzte Presseerklärung des Gesundheitsministers mitverfolgt haben, dass das auch viele in Österreich gemacht haben. Wenn man Rudi Anschober in seiner letz­ten Erklärung zugehört hat, dann hat man bemerkt, dass er vor allem eines zum Aus­druck gebracht hat, nämlich dass er sich sehr oft alleine gefühlt hat: Rudi alleine im Kri­senmanagement.

Wenn man ihm zugehört und auch aufmerksam verfolgt hat, was er in seiner letzten Erklärung nicht gesagt hat, dann hat man auch bemerkt, dass er sich seltsamerweise nicht beim Koalitionspartner bedankt hat (Abg. Belakowitsch: Na ja ...! ... wofür auch? ... überhaupt nicht!), und er hat sich auch bei Ihnen persönlich, Herr Bundeskanz­ler, nicht für die Zusammenarbeit bedankt – wofür auch?

Er hat in dieser letzten sehr emotionalen Erklärung damit persönlich bestätigt, was ganz Österreich eigentlich seit Monaten beobachten konnte, nämlich dass eine Regierung am Höhepunkt einer Jahrhundertpandemie, die bereits Tausende Todesopfer und Hundert­tausende Arbeitslose gefordert hat, nicht zusammensteht, dass eine Bundesregierung in dieser schwierigen Situation nicht gemeinsam an einem Strang zieht, dass sie nicht gemeinsam Verantwortung übernimmt. Den von Ihnen, Herr Wöginger, oft erwähnten Schulterschluss gab es vor allem in der Bundesregierung im Kampf gegen Pandemie und Virus in den letzten Monaten nicht, und das ist ein Armutszeugnis, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Sie, Herr Bundeskanzler, haben jetzt vor wenigen Minuten in Ihrer Rede vor allem eines eingefordert, nämlich Respekt. Sie fordern von uns und von der Bevölkerung und von uns allen hier in der Politik Respekt ein – dem kann ich nur zustimmen, auch wir fordern Respekt ein –, aber ich frage mich: Wo war denn Ihr Respekt gegenüber Gesundheitsmi­nister Rudolf Anschober, als dieser vor wenigen Wochen das erste Mal im Spital gelegen ist – ein Kreislaufkollaps war die Ursache – und Sie hinter seinem Rücken in dieser Ab­wesenheit nichts anderes zu tun hatten, als sein Haus, seine Beamtinnen und Beamten zu attackieren? – Sie sind ihm in den Rücken gefallen. Das ist nicht Respekt. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Belakowitsch, Kickl und Meinl-Reisinger.)

Herr Bundeskanzler, wo war Ihr Respekt, als Sie vor wenigen Tagen, am Tag des Ge­denkens an die an Covid Verstorbenen, die Aussage: Das war kein Weltuntergang in den letzten Wochen und Monaten!, getroffen haben? (Zwischenruf bei der SPÖ.) Wo war Ihr Respekt gegenüber all den Angehörigen, den Familien, den fast 10 000 Covid-Verstorbenen in Österreich? Ich habe diesen Respekt ebenso wenig verspürt wie viele Tausende in Österreich. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, das bundesweite, das zentrale Krisenmanagement der Bundesregierung war in den letzten Monaten nicht nur schwach, sondern es war schlichtweg nicht mehr vorhanden. Warum? – Weil Sie die zentrale Steuerung, die zentrale Verantwortung, die in einer Krise dieser Dimension so notwendig ist, einfach abgegeben haben. Es war angenehm, diese Verantwortung in den schwierigen Situationen abzuschieben, vor allem an die Bundes­länder, an die Landeshauptleute. Sie haben sich vor allem Anfang Februar weit weg gestellt, als es galt, entschlossen zu handeln. Sie haben sich auch in den letzten Wochen weit weg gestellt, als es darum ging, die Konsequenzen dieser verfrühten Öffnungen in Ostösterreich abzuwenden, überfüllte Intensivstationen zu sehen und die richtigen Handlungen und Maßnahmen zu setzen. Ich habe Sie nicht gesehen, als es um den Ostlockdown ging.

Nein, die unangenehmen Botschaften sind nicht Ihre. Da stellen Sie sich ganz weit weg, Herr Bundeskanzler! Es ist aber die Aufgabe eines Regierungschefs – in einer Krise noch mehr –, Maßnahmen zu setzen, auch wenn sie unpopulär sind. Das ist Leadership, das ist Führung, und die braucht es in einer Krise noch viel, viel mehr. (Beifall bei der SPÖ.)

Aus meinen persönlichen Gesprächen mit Rudolf Anschober weiß ich vor allem, dass er bis zum Schluss immer zu einer konsequenten Coronastrategie gestanden ist. Sein Pro­blem war einzig, dass er damit allein war – ganz alleine. Ihnen, Herr Bundeskanzler, haben offenbar der Mut und die Kraft gefehlt, ihn im Kampf gegen dieses Virus zu un­terstützen. Das Ergebnis dieser Mutlosigkeit und dieser Inkonsequenz, ja dieser Verant­wortungslosigkeit ist ein mehr oder weniger unbefriedigender Zustand, in dem Österreich seit vielen Wochen und Monaten verharrt.

Halb Österreich ist zu: Lockdown im Osten, das restliche Österreich ist halb offen, man weiß es nicht so genau. Das ist sinnbildlich für die halbherzige, mutlose Krisenpolitik dieser Bundesregierung. (Abg. Hanger: Haben Sie das dem Herrn Doskozil auch ge­sagt? – Zwischenruf bei der SPÖ.) Hätte man im Februar vorausschauend gehandelt, hätte man Verantwortung übernommen und noch einige Wochen durchgehalten, statt frühzeitig zu öffnen, dann hätte man jetzt längst – und zwar längst! – ein solides Funda­ment, von dem Sie sprechen, für dauerhafte, nachhaltige Öffnungen geschaffen. Wir würden wahrscheinlich bereits seit Ostern in Schanigärten sitzen und Bier trinken, wenn das Wetter es zulässt, anstatt nur über Öffnungen im Mai zu sprechen. (Bundeskanzler Kurz: Das ist so ein Schwachsinn!) Das ist leider durch die Inkonsequenz Ihrer Politik nicht der Fall gewesen.

Wir hätten jetzt auch nicht vier Bundesländer mit überfüllten Intensivstationen. Wir hätten keinen Ostlockdown, keine Kinder, Schülerinnen und Schüler im Osten, die wieder zu­rückgezogen im Onlineunterricht sind und dort verharren müssen. Ja, eine konsequente Strategie bringt die Infektionszahlen schneller herunter. Das zeigen internationale Bei­spiele – ich glaube, Sie kennen sie –: Es sind Dänemark, Irland, Finnland, Norwegen, Portugal. Sie alle haben mit einer konsequenten Coronastrategie in kurzer Zeit erfolg­reich die Zahlen heruntergebracht. Dänemark war wie Österreich seit Dezember in ei­nem Lockdown. Sie hielten aber an ihrem Ziel fest, die Inzidenz unter 100 zu drücken. Es ist gelungen: 70 ist derzeit die Infektionsinzidenz in Dänemark. Wissen Sie, was der Unterschied ist? Die Dänen öffnen schrittweise seit März. Das wäre auch in Österreich ab Ostern möglich gewesen. Das wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, stattdessen wird es Mai sein.

Dänemark hat noch einen großen Unterschied, nämlich nur 42 Tote hochgerechnet auf 100 000 Einwohner. In Österreich sind es 111 Tote pro 100 000 Einwohner – mehr als doppelt so viele. In Österreich sind bis heute fast 10 000 Menschen an Covid verstorben, in Dänemark 2 455.

Diese Inkonsequenz und diese Mutlosigkeit schaden nicht nur der Gesundheit, den Spitälern, dem Gesundheitssystem, sondern sie schaden uns allen – der Wirtschaft, den Existenzen, den Unternehmern. Das, Herr Bundeskanzler, ist die andere Seite Ihrer Co­ronabilanz. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister Mückstein, ich wollte Ihnen heute keinen Rucksack voller Aufgaben und Wünsche mitgeben – wir werden viele Gelegenheiten haben, das auch persönlich auszutauschen –, aber ich denke doch, eine zentrale Aufgabe, die vor Ihnen liegt, ist, rasch eine sehr hohe Durchimpfungsrate in Österreich zu erreichen. Setzen Sie doch jetzt ein starkes, ein glaubwürdiges Zeichen! Holen Sie alle Österreicherinnen, Österrei­cher und Menschen, die in Österreich leben, ab und geben Sie allen Impfwilligen einen konkreten Impftermin! Das gibt Perspektive, das gibt Sicherheit, das schafft Glaubwür­digkeit und Vertrauen. Jeder und jede soll wissen, wann er oder sie in den nächsten Wochen geimpft wird, wann er oder sie den Schlüssel Richtung Freiheit in die Hand bekommt.

Ja, lieber Wolfgang Mückstein, ich wünsche Ihnen vor allem die Kraft, die es benötigt, um diese schwierige Aufgabe zu erfüllen, ich wünsche Ihnen mehr Unterstützung seitens Ihres Koalitionspartners bei der Bewältigung dieser Aufgabe, und ich wünsche Ihnen vor allem eines: dass Sie immer das Selbstbewusstsein haben, zu Ihrer Haltung zu stehen, auch wenn es politisch nicht angenehm ist. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.16

Präsidentin Doris Bures: Nun gelangt Herr Klubobmann Herbert Kickl zu Wort. – Bitte.