11.46

Abgeordnete Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer (NEOS): Herr Präsident! Frau Präsidentin des Rechnungshofes! Herr Finanzminister! Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Zu Beginn möchte ich mich, wie auch meine Vorredner, beim Rechnungshof für die Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses bedanken. Diese ist wie immer in hoch qualitativer Arbeit erfolgt – von uns wirklich sehr geschätzt, wie immer. Ich möchte nur gleich auch ausführen, warum wir dem Ganzen trotzdem nicht zustimmen können. Es geht uns vor allem um drei Punkte:

Das Erste ist, dass die Steuergelder letztendlich im letzten Jahr sehr intransparent verge­ben worden sind. Im Kern sind zum Beispiel allein über die Cofag 9 Milliarden Euro ausbezahlt worden, vollkommen ohne parlamentarische Kontrolle, und – das möchte ich auch noch dazusagen – ohne dass die Unternehmerinnen und Unternehmer einen Be­scheid bekommen, also ohne Rechtssicherheit. (Beifall bei den NEOS.)

Der zweite Grund, warum wir nicht zustimmen können, ist: weil sich die Regierung wei­gert, die Wirksamkeit der Steuergelder, die da eingesetzt worden sind, zu evaluieren. Ich finde es schön, wenn sich hier alle, vor allem die Mitglieder der Bundesregierung, hinstellen und behaupten, die Gelder seien so wirksam gewesen. Das wissen wir nicht, es gibt nämlich keine Evaluierung, und alle Anträge, die ich dazu gestellt habe, werden vom Tisch gewischt. Ich finde das wirklich irritierend.

Der dritte Punkt ist, dass der Rechnungsabschluss in Österreich – und das ist ein No­vum – von der Präsidentin des Rechnungshofes präsentiert wird. Wir finden das nicht gut. International gesehen ist es so, dass derjenige, der das Budget verantwortet, das Budget am Jahresende auch präsentiert, und das wäre der Herr Finanzminister; wir ha­ben das schon mehrmals angesprochen. Das wäre auch die Empfehlung, die von vielen Expertinnen und Experten gekommen ist. In Österreich ist das nach wie vor nicht um­gesetzt. Wie gesagt, aus der Wirtschaft kommend finde ich das wirklich irritierend, und ich freue mich sehr, wenn wir das vielleicht im Rahmen einer Haushaltskorrektur oder der neuen Haushaltsplanung ändern werden.

Weil wir heute ja schon einiges zum Budget gehört haben – der Finanzminister hat ja seine Budgetrede gehalten –, möchte ich mich auch dazu äußern und zu Wort melden: Was mich wirklich überrascht hat, als ich mir das Budget gestern am Abend angeschaut habe, ist, dass sich der Herr Finanzminister vom konsolidierten Budgetpfad wirklich ver­abschiedet hat. Wenn man sich das Budget anschaut, dann geht man nicht davon aus, dass bis zum Jahre 2025 wieder ausgeglichen budgetiert wird. Die Schweizer schaffen das übrigens schon nächstes Jahr.

Unsere erste Analyse nach gestern Nacht lautet also jedenfalls: Das Schuldenmachen auf Kosten der nächsten Generationen geht uneingeschränkt weiter. Die Impulse für die Jungen fehlen. Zum Beispiel im Bildungsbereich oder auch beim Ausbau der Kinder­betreuung hat sich nichts getan, zumindest ist es in diesem Budget nicht ablesbar. Dass die Lohnnebenkosten nicht angegriffen worden sind, dass vor allem der Mittelstand unter diesen in Österreich sehr, sehr hohen Lohnnebenkosten leidet, auch das wird sich nicht ändern, auch das ist im Budget nicht ablesbar, und dass der Mittelstand die Melkkuh der Nation bleibt, weil die kalte Progression wieder nicht abgeschafft wird, ist darin ebenfalls festgeschrieben.

Ich möchte aber aus aktuellem Anlass noch auf zwei Dinge eingehen, die mich wirklich wütend machen. Wir haben in den letzten Tagen schwarz auf weiß gelesen, dass die Prätorianer rund um Sebastian Kurz im Wahljahr 2017 zwei Projekte wirklich zerschos­sen haben. Zum einen ging es um den Rechtsanspruch auf Gratiskinderbetreuung am Nachmittag, dotiert mit 1,2 Milliarden Euro, eine ganz wichtige Maßnahme, die wir NEOS auch schon seit Anbeginn fordern. Das ist nicht passiert. Zum Zweiten hatten Christian Kern und Reinhold Mitterlehner die so wichtige Abschaffung der kalten Progression schon beschlossen. Auch die ist nicht gekommen.

Ich möchte es noch einmal erklären, weil Kollege Hanger – ich weiß nicht, ob er jetzt noch da ist – offenbar nicht ganz verstanden hat, worum es da eigentlich geht: Die kalte Progression entsteht, wenn die Besteuerung von Einkommen aus Arbeit nicht an den Wertverlust durch die Inflation angepasst ist. Wenn nun behauptet wird, das sei nur für die hohen Einkommen relevant, dann ist das schlicht und einfach falsch.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Eine Person mit einem Medianeinkommen, 3 200 Euro im Monat, circa 45 000 Euro im Jahr, hat seit 2016 circa 1 550 Euro wegen der kalten Progression verloren. Das heißt, die sind weg. Jetzt werden über die nächsten drei Jahre zwar 1 100 Euro zurückbezahlt, daneben geht aber die kalte Progression lustig weiter, weil sie ja nicht abgeschafft worden ist. Dass Sie sich hierherstellen, ohne zu sagen, dass die kalte Progression eine unglaubliche Auswirkung auf die Einkommen der Menschen in Österreich hat, finde ich fast schon skandalös.

Jetzt komme ich wieder auf das zurück, was mich wirklich wütend macht: Es war ja eigentlich ausgemacht, dass das passiert. Es ist aber nicht passiert. Warum ist es nicht passiert? – Weil ein türkiser Zirkel beschlossen hat, an die Macht zu wollen, und es nicht dazugepasst hat.

Wenn Sie das immer noch nicht glauben, meine Damen und Herren, die Sie hier zuse­hen, machen Sie sich bitte selbst ein Bild: Lesen Sie sich diese 104 Seiten durch und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse! Das Ergebnis jedenfalls ist, dass die kalte Progression auch vier Jahre später nicht abgeschafft ist und es noch immer keinen Rechtsanspruch auf Gratiskinderbetreuung am Nachmittag gibt.

Ich bringe deswegen folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Kalte Progression JETZT abschaffen!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefor­dert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage vorzulegen, die die Kalte Pro­gression abschafft, indem die Steuer-Tarifstufen des § 33 Abs. 1 EStG 1988 an die In­flation gekoppelt werden.“

*****

Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

11.52

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Kalte Progression JETZT abschaffen!

eingebracht im Zuge der Debatte in der 125. Sitzung des Nationalrats über Bundes­rechnungsabschluss 2020 – TOP 2

Die versteckte Steuererhöhung

Die Kalte Progression, also die versteckte jährliche Steuererhöhung, entsteht, weil die Einkommen zwar Jahr für Jahr steigen, die Steuerstufen aber nicht an die Inflation an­gepasst werden. Somit erhöhen sich der Durchschnittssteuersatz und die Steuerschuld stärker als die Inflation. Die Kalte Progression betrifft also alle Lohnsteuerpflichtigen und, entgegen der gängigen Auffassung, nicht nur jene, die aufgrund der Inflationsabgeltung in die nächst höhere Steuerstufe rutschen. Wenn der Bruttolohn steigt, steigt auch der Durchschnittssteuersatz – jener Anteil des Einkommens, der an den Finanzminister geht, nimmt also zu. Sie entsteht, sobald das zu versteuernde Einkommen einer Person an die Inflation angepasst wird und in der Folge zumindest den ersten Grenzsteuersatz überschreitet.

Entlastung aufgehalten, versprochen und doch nicht umgesetzt

Die Bundesrechenabschlüsse der letzten Jahre zeichnen ein genaues Bild von der außergewöhnlich hohen Abgabenbelastung in Österreich. Dieser Antrag setzt daher einen wichtigen Markstein für eine nachhaltige Entlastung der Steuerzahler_innen. Mehrfach haben sich Bundesregierungen an die Abschaffung der Kalten Progression versucht. Aktuell bekannt gewordene Akten zeigen auf, dass es bereits 2016 unter der Bundesregierung von Bundeskanzler Kern (SPÖ) und Vizekanzler Mitterlehner (ÖVP) Bestrebungen gab, die Kalte Progression abzuschaffen. Wie nun bekannt ist, interve­nierten 2016 einzelne Mitglieder der Bundesregierung und deren Umfeld, wie der spätere Mitterlehner-Nachfolger und der damalige Generalsekretär im Finanzministerium Schmid, um diese wichtige Reform aufzuhalten. Vor der Nationalratswahl 2017 hatten sowohl ÖVP als auch FPÖ die Abschaffung der Kalten Progression angekündigt, vor der letzten Wahl 2019 versprachen dies dann alle Parteien ausdrücklich. Im ausverhan­delten Regierungsprogramm der ÖVP und der Grünen fehlt wieder das volle Bekenntnis zum parteiübergreifenden Versprechen aus dem Wahlkampf 2019.

Selbst bezahlte Steuerreform statt versprochener Entlastung für Österreichs Steuerzah­ler_innen

Am 3. Oktober 2021 präsentierte die Bundesregierung ihren Entwurf einer Steuerreform. Von der größten Entlastung der Steuerzahler_innen in der zweiten Republik war die Re­de und dennoch hielt die Bundesregierung entgegen eigener Zusagen an der Kalten Progression fest. Der Effekt für das Budget ist nämlich zu bedeutsam. Pro Prozentpunkt Inflation fließen rund 250 Millionen Euro ins Budget, hat der ehemalige Finanzminister Hartwig Löger einmal vorgerechnet. In den letzten Jahren haben die Menschen in Ös­terreich sich die groß angekündigte Entlastung somit selbst finanziert. Nach Berech­nungen von NEOS belaufen sich die Mehreinnahmen durch die Kalte Progression zwi­schen dem Jahr 2013 und 2023 auf rund 11,88 Milliarden Euro. Das Institut EcoAustria schätzt, dass die Kalte Progression ohne Steuerreform zwischen 2019 und 2025 zu einer zusätzlichen Steuerbelastung von insgesamt 19,5 Milliarden Euro führen würde. Anhand einzelner Beispiele lässt sich dies ebenfalls aufzeigen: Eine Beraterin in einer Kreativ­agentur mit einem Gehalt von 55.000 Jahresbrutto gab 2016-2021 insgesamt unbemerkt an den Finanzminister 1527 EUR ab und bekommt dafür im Jahr 2022 eine Entlastung von 325 EUR. Von der Entlastung bleibt ihr also nichts mehr übrig. Im Gegenteil: die Kalte Progression hat 1202 EUR mehr gekostet, als sie bei der Steuerreform 2022 wie­der zurückbekommt.

Abbildung 1 image2021-10-11_12-15-25.png

Versprechen ernst nehmen und Kalte Progression abschaffen

Damit nicht jede Regierung aufs Neue die größte Steuerreform aller Zeiten beschließen muss, sollte endlich die Kalte Progression dauerhaft abgeschafft werden. Die Steuerstu­fen müssen daher automatisch mit der Inflation angehoben werden. Nur so können Entlastungsmaßnahmen eine nachhaltige Wirkung entfalten und Gehaltserhöhung wür­den in erster Linie jenen zugutekommen, die sich die Gehaltserhöhung mit ihrem Einsatz erarbeitet haben. Jetzt ist der Finanzminister der größte Profiteur, ohne dafür eine Mehr­leistung erbringen zu müssen. Bisher war die Möglichkeit, im regelmäßigen Abstand mit vermeintlichen Entlastungen prahlen zu können, für bisherige Bundesregierungen zu verlockend. Zuletzt sagte ÖVP-Parteiobmann Kurz eine Abschaffung für das Ende der Legislaturperiode zu. Angesichts der aktuell innenpolitisch instabilen Lage und der be­reits im Wahlkampf 2019 von allen im Nationalrat vertretenen Parteien zugesagten Ent­lastung sollte diese dringende Reform vorgezogen und unverzüglich umgesetzt werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufge­fordert, dem Nationalrat umgehend eine Regierungsvorlage vorzulegen, die die Kalte Progression abschafft, indem die Steuer-Tarifstufen des § 33 Abs. 1 EStG 1988 an die Inflation gekoppelt werden."

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist die Frau Präsidentin des Rechnungshofes. – Bitte sehr.