14.05

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Kollege Amesbauer, man kann das Thema natürlich tagespolitisch oder grundsätzlich abhandeln. Ich glaube, bei Afgha­nis­tan geht es um eine Grundsatzfrage. Ich werde aber später noch auf Ihre Behauptungen zurückkommen, die so nicht stimmen.

Das Grundsätzliche ist: Österreich hat sich schon sehr früh festgelegt, wo die inter­nationale Gemeinschaft Schwerpunkte setzen soll – und das war die Linie der Bundes­regierung Sebastian Kurz, wie Sie das richtig angesprochen haben. Das Interessante ist, es hat letzte Woche Tagungen gegeben: Die G20 haben sich auf Einladung des italienischen Ministerpräsidenten getroffen, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen, und die Europäische Union hat sich mit dieser Frage befasst. Beide kommen genau zu dem Ergebnis, das unsere Grundhaltung am Beginn war: Wir müssen alles tun, um die Region zu stärken, und wir müssen alles tun, um den Taliban ganz klar zu sagen: keine Anerkennung, aber im Interesse der Menschen, die dort leben, sehr wohl Vereinba­rungen, was Hilfslieferungen betrifft. – Also: Hilfe vor Ort, Stärkung in der Region, aber niemand von uns hat gesagt, dass wir Afghanen aufnehmen wollen! Das sei ganz deutlich gesagt. (Beifall bei der ÖVP.)

Afghanistan ist ein Problem für die Staatengemeinschaft, und Afghanistan war immer ein Problem für die Staatengemeinschaft. Wir reden von Afghanistan, aber wer sind die Menschen in Afghanistan? – 38 Millionen Menschen leben dort, mit einem starken Be­völ­kerungswachstum  das hängt mit der Unterdrückung der Frauen, mit der patriarchalischen Gesellschaft zusammen , noch immer gibt es im Schnitt rund fünf Kinder pro Frau.

42 Prozent der Afghanen sind Paschtunen, 29 Prozent Tadschiken – ich habe die Region angesprochen: in Tadschikistan selbst leben weniger Tadschiken als in Afghanistan –, 9 Prozent Usbeken – ein weiterer Nachbar –, und dann eine besondere Gruppe – da kommt die Religion hinzu: die Taliban, eine besondere Ausprägung der Sunniten, haben in ihrer letzten Schreckensherrschaft eine Minderheit furchtbar behandelt –, die Hasara. Diese sind Schiiten und machen auch 9 Prozent der Bevölkerung aus. Was noch hinzu­kommt: In Afghanistan werden 50 Sprachen gesprochen. In einem Land, in dem 50 Sprachen gesprochen werden, in dem so unterschiedliche Volksgruppen sind, bei den Strukturen, die dort herrschen, ist es schwer, zu Lösungen zu kommen.

Ich war in den Achtzigerjahren, als die Sowjetunion Afghanistan besetzt hatte, von Pakistan kommend in Afghanistan. Ich habe damals die Mudschahedin in ihrer Brutalität kennengelernt, und ich war auch, als jetzt US-Amerika das System dort gestützt hat, in Kabul. Beide Male habe ich eines bemerkt: Es ist beide Male als Besatzung angesehen worden.

Daher: Bei all den Milliarden, die investiert worden sind, ist man nicht zur Zivil­bevöl­kerung durchgedrungen. Wenn man Millionen für Bauten, auch für Schulen ausgibt, aber nichts für die ortsansässigen Lehrkräfte zur Verfügung stellt, dann wird man das Herz der Menschen nicht erreichen. Das muss man einfach sagen.

Was ist jetzt das große Problem in diesem Land? – Die Taliban haben eines ver­sprochen: Sie werden Stabilität bringen, und die Menschen in Afghanistan haben sich nach dieser Stabilität gesehnt. Das haben sie jetzt aber leider nicht erreicht – ich spreche von den Menschen, die dort leben, wenn ich leider sage –, weil quasi ihre Glaubensbrüder, die eben nicht zu den Taliban gehören, sondern die eine größere Lösung wollen, ein großes Kalifat wollen, nach wie vor Terroranschläge verüben. Erst letzte Woche wieder sind in Kundus 50 Menschen gestorben. Das heißt, die Taliban wollen gemäß ihren islamischen Vorstellungen nur Afghanistan regieren, andere Muslime wollen dort eine größere Lösung im Rahmen eines Kalifats, eines Islamisches Staats, in dem Afghanistan nur eine Pro­vinz wäre.

Das heißt, es gibt im Land diese massiven Auseinandersetzungen, dazu kommt eine massive Wirtschaftskrise. Afghanistan hat immer Unterstützung gebraucht. Was wir leisten müssen – das haben die G20 festgelegt, das ist auch von der Europäischen Union festgelegt –, ist Hilfe für die Menschen mit einem Plus: Wir müssen etwas verlan­gen! Das können wir. Wir müssen den Taliban Standards abringen, denn sie können nicht zusehen, wenn Menschen verhungern. Die VN haben berechnet, dass im Laufe des nächsten Jahres 90 Prozent der Afghanen – 90 Prozent! – in absoluter Armut leben werden und nicht einmal die notwendigsten Bedürfnisse decken können. 90 Prozent der Bevölkerung! Das ist eine Katastrophe.

Daher folge ich dem UNO-Generalsekretär, der meint: Wenn wir da nicht vor Ort helfen, werden wir einen hohen Preis zahlen, weil sich dann die Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben zu uns aufmachen müssen, denn jeder von uns hat Gott sei Dank einen starken Drang, zu überleben. Daher ist die Positionierung der österreichischen Bundesregierung absolut richtig: Hilfe vor Ort, Stabilisierung in der Region, aber nicht – wie fälschlicherweise von Kollegen Amesbauer behauptet worden ist – jetzt quasi die Einladung aussprechen, dass Afghanen zu uns kommen sollen. Das macht auch die Europäische Union nicht mehr. (Abg. Amesbauer: Lesen Sie den Antrag!) Lesen Sie die Schlussfolgerungen der G20! Auch dort finden Sie das nicht. (Neuerlicher Zwischen­ruf des Abg. Amesbauer.)

Im Übrigen leisten österreichische Abgeordnete auch einen Beitrag. Wir sind über­nächs­tes Wochenende in Usbekistan – damit möchte ich schließen –, um dort die Wahlen zu beobachten, auch der nächste Redner aus Ihrer Fraktion, Kollege Amesbauer (Abg. Amesbauer: Das hat ja damit nichts zu tun!), ist mit dabei, und Kollege Troch. Ich darf diese Wahlbeobachtung leiten. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Usbeken, die Tadschiken, die Kirgisen, die Nachbarn können viel mehr helfen als wir von Europa aus leisten können. Sie kennen die Mentalität, sie wissen, was notwendig ist, um zu einer halbwegs friedlichen Lösung zu kommen, um dort eine Stabilisierung zu erreichen. Das ist der richtige Weg. (Abg. Amesbauer: ... überhaupt nichts verloren da!) Machen wir den Österreicherinnen und Österreichern keine unnötigen Sorgen! (Beifall bei der ÖVP.)

14.12

Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist MMMag. Dr. Axel Kassegger. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.