10.36

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 260 000 Bürgerinnen und Bürger haben das Volksbegehren Für Impffreiheit unterzeichnet und eine verfassungs­rechtliche Verankerung eines Diskriminierungsverbotes für Nichtbehandelte beziehungs­weise Nichtgeimpfte gefordert – und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu einem Zeitpunkt, als noch alle Spitzenpolitiker der Bundesregierung eindeutig versprochen haben, es wird keine Impfpflicht und auch keinen Impfzwang geben. Kurz, Kogler, Anschober, Mückstein, alle haben eine gesetzliche Verpflichtung für eine Covid-19-Impfung ausgeschlossen – und trotzdem haben 260 000 Bürger dieses Volksbegehren unterschrieben und ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass es zu einem Zwangseingriff in ihre körperliche Unversehrtheit kommen könnte, dass es zu einer Abschaffung der Gewissensfreiheit für die Entscheidung: Lasse ich mich gegen Covid-19 impfen oder nicht?, kommt.

Wir müssen feststellen: Diese Sorgen waren berechtigt. Wir stehen nun hier und haben einen Gesetzentwurf in Begutachtung; und auch wenn mein Vorredner versucht hat, das etwas zu verharmlosen, sprechen wir über einen Gesetzentwurf, der eine Impfpflicht, eine allgemeine Impfpflicht ab 14 Jahren für alle österreichischen Staatsbürger und Per­sonen, die sich in Österreich aufhalten, vorsehen wird. Und auch wenn im Gesetz die eine oder andere Einschränkung drinnen steht: Es steht gleichzeitig auch eine ent­sprechende Verordnungsermächtigung an den Bundesminister drinnen, der diese Ein­schränkungen auch wieder aufheben kann.

Ich denke, ganz abseits von der Frage, wie gut oder weniger gut die aktuellen Thera­peutika gegen Covid-19, inklusive der Impfstoffe, schützen, ist die viel entscheidendere Frage: Ist ein derartig massiver Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte unserer Bürger zu rechtfertigen, ist er verhältnismäßig, und können wir ihn ethisch überhaupt vertreten? Diese Fragen wurden auch im Rahmen des Impffreiheit-Volksbegehrens gestellt, und die diskutieren wir auch im Gesundheitsausschuss schon seit geraumer Zeit.

Ich möchte diese Fragen auch ein bisschen in Relation dazu setzen, wie wir sie in der Vergangenheit beantwortet haben. Von Kollegen Schallmeiner wurde das Beispiel der Impfpflicht gegen die Pocken gebracht, der einzigen gesetzlichen Impfpflicht, die wir in Österreich in der jüngeren Vergangenheit hatten. Da muss man sich einmal anschauen: Was war die Pockenerkrankung? – Die Pocken waren eine wirklich tödliche Erkrankung, an der 20 bis 30 Prozent der Infizierten verstorben sind, und sehr, sehr viele derjenigen, die die Infektion überlebt haben, waren lebenslang schwerst gezeichnet. Dann hat man festgestellt, dass man durch das Impfen mit einer tierischen Variante dieser Erkrankung eine sterile Immunität erreichen konnte, und man konnte diese Erkrankung tatsächlich ausrotten. Das sind schon wirklich dramatische Zeiten gewesen, das war eine wirklich sehr schlimme Erkrankung, und eine extrem effektive Impfung hat tatsächlich zur Aus­rottung der Pocken geführt.

Wie sieht es zum Beispiel mit Masern, einer Erkrankung, die viele von uns Gott sei Dank nur mehr aus Geschichten kennen, aus? Wir haben in Österreich aktuell eine Durch­impfungsrate von 90 Prozent. Masern stellen bitte eine sehr, sehr schwere und hoch­infektiöse Erkrankung dar. Masern sind um ein Vielfaches ansteckender, als das eine Grippe oder ein Coronavirus ist, auch um ein Vielfaches ansteckender, als das die neue Omikronvariante sein wird, und haben eine Hospitalisierungsrate von circa 60 Prozent.

Wir haben seit vielen Jahren einen Impfstoff gegen Masern – geprüft, zugelassen, sicher. Haben wir eine gesetzliche Impfpflicht gemacht, um in Österreich die notwendige 95-prozentige Durchimpfungsrate zu erreichen, um diese bösartige Erkrankung tat­sächlich auszurotten, Herr Bundesminister? – Nein, das haben wir nicht gemacht, weil das, um diese Frage vielleicht zu beantworten, unverhältnismäßig wäre. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Wir haben es nicht gemacht.

Ich möchte ein drittes Beispiel bringen: die saisonale Grippe, die Influenza. Diese Erkran­kung befällt jedes Jahr zwischen 5 und 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung – jedes Jahr. Es sterben in Österreich jedes Jahr im Durchschnitt über 1 000, in manchen Jahren weit über 2 000 Menschen an der Influenza. Wir haben da seit Jahrzehnten eine zugelassene Impfung, die sogar jedes Jahr den aktuellen Stämmen angepasst wird. Wir wissen, dass die Schutzwirkung nur in der Größenordnung von vielleicht 30, 40 Prozent liegt, aber trotzdem: mehr als 1 000, in manchen Jahren 2 000, 2 500 Tote. Haben wir eine gesetzliche Impfpflicht für Influenza, die uns genauso alle Jahre wieder die Spitäler füllt und für Überlastung im Gesundheitswesen sorgt, Herr Bundesminister? – Nein, haben wir nicht, weil sie nicht verhältnismäßig und nicht vertretbar wäre.

Nun frage ich Sie: Wie kommen Sie, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, aber auch Sie, Herr Bundesminister, zu der Einschätzung, dass für eine Impfung, die keine reguläre Zulassung hat, die keine sterile Immunität bietet, zu der keine Langzeitdaten über die Sicherheit der Anwendung vorhanden sind und mit der Sie die Erkrankung weder epidemiologisch signifikant einbremsen noch tat­sächlich ausrotten können, dass in diesem speziellen Fall tatsächlich eine gesetzliche Impfpflicht zwingend notwendig ist? – Ich kann Ihnen nicht folgen, ich sehe diesen Zwang nicht.

Ich sehe auch nicht die Alternativlosigkeit, die Sie immer wieder preisen. Diese Bundesregierung hat es, wie es Kollege Loacker so schön gesagt hat, geschafft, nicht nur einen Sommer lang alle wesentlichen Maßnahmen im Krisenmanagement zu ver­schlafen, sondern schon zwei Sommer lang – mittlerweile sind es fast zwei Jahre. Es gäbe so viele alternative Maßnahmen, mit denen Sie das Krisenmanagement verbes­sern, die Zahl der Hospitalisierungen reduzieren und eine Überlastung des Gesundheits­systems verhindern könnten. Sie müssen es nur tun! Wir zählen Ihnen diese Vorschläge seit eineinhalb Jahren auf, sie beginnen bei der Erhebung einer ordentlichen Datenbasis, gehen weiter zu einer frühzeitigen Behandlung der Erkrankten, gehen weiter zum Ein­satz von modernen Therapeutika, gehen weiter zu personellen Aufstockungen im Ge­sundheitswesen, zu mehr Geld in das Gesundheitswesen, zum besseren Schutz der Risikogruppen. – All das sind Alternativmaßnahmen, die Sie bei Weitem noch nicht aus­geschöpft haben.

Und ja, ich möchte das an dieser Stelle auch noch einmal ganz klar sagen: Für Men­schen, für die die aktuellen Covid-19-Impfstoffe ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis haben – das sind sicherlich Risikopatienten und Menschen über 65 –, halte auch ich es für durchaus sinnvoll, dass sich jemand impfen lässt. Würde ich ihn deshalb unter Zwang setzen oder gar gesetzlich dazu verpflichten? – Nein, das verträgt sich mit meinem Demokratieverständnis, mit meinem Verständnis der Grund- und Freiheitsrechte nicht, und solch einen Staat oder solch eine Regierung, die das ihren Bürgern antut, möchte ich nicht als oberstes Organ haben. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

10.43

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Loacker. – Bitte.