10.02

Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen nunmehr vor der angespanntesten militärischen Situation in Europa seit dem Kalten Krieg. Ich möchte dazu drei Punkte erwähnen, die mir einfach wichtig erscheinen.

Es wurde schon von allen meinen Vorrednern gesagt: Die Ukraine ist ein souveräner Staat, sie hat ein Selbstbestimmungsrecht, und wie die Ukraine ihren Weg geht, soll die Ukraine entscheiden.

Es ist – vielleicht muss man ein bisschen zurückgreifen – eine lange Geschichte der Unterdrückung. Es gab in der Ukraine immer vorherrschende Mächte. Die Ukraine ist ja ein relativ junger Staat auf dem Weg, diese Eigenverantwortung für sich auch zu lernen. Wenn wir oft, wie ich manchmal das Gefühl habe, ein bisschen herabschauen oder viele das Gefühl haben, sie sei eine Bananenrepublik, die ganz weit weg ist, dann muss man sagen: Das ist sie nicht. Es liegt aber im Wesen der Sache, dass auch Demokratie gelernt sein muss. Wenn wir schauen: Das Zarenreich, das Habsburgerreich, Polen, Russland natürlich in vielen Epochen – die Ukraine wurde einfach immer fremdbestimmt, es war eine Fremdherrschaft da. Diesen Anspruch, den Russland jetzt stellt, dürfen wir so als EU, als Europa, aber auch als Österreich nicht einfach hinnehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Für mich war das eine Erfahrung, ich kann mich noch erinnern: Die Orange Revolution – das hat mich damals eigentlich sehr geprägt. Damals ist für mich erst so das Interesse an diesem Land entstanden. Ganz viele Menschen haben ihr Leben gelassen, ganz viele Menschen haben da für Demokratie, für Freiheit gekämpft. Wir dürfen als Europa, wir dürfen als Demokratien auch niemals hinnehmen, dass es in der heutigen Zeit noch mit archaischen Mitteln, archaischen Machtdemonstrationen zur Verschiebung von Grenzen kommt, überhaupt zu einem Anspruch kommt, mit Panzern vorzugehen.

Zweitens, weil es ist ja auch immer wieder Thema ist: Warum müssen wir uns hier einmischen? – Es geht uns in Österreich natürlich etwas an! Einer meiner Vorredner, ich glaube, Jörg Leichtfried, hat gesagt, es sind genau 600 Kilometer. Wenn man sich für 6 Stunden ins Auto setzt, ist man bereits in der Ukraine, sie ist also wesentlich näher, als wir glauben oder als viele bei uns glauben, und die Ukraine ist für uns auch sicher­heitspolitisch ganz, ganz wesentlich. Sie liegt zu 100 Prozent auf europäischem Boden, und wir müssen uns natürlich für diesen Nachbarstaat sozusagen – sie ist ein Fast­nachbarstaat – auch selbst engagieren.

Das Dritte – ein Thema, das ich ganz wesentlich finde – ist die historische Chance für die EU. Ich glaube, es ist eine Chance, dass wir da jetzt die Verantwortung übernehmen, dass wir eine starke EU sind, dass wir zeigen, dass wir eine Rolle spielen, auch in diesem Spiel der Mächte – Europa, China, in vielem natürlich Russland –, in dem jeder sein Eigeninteresse hat. Wir müssen demonstrieren, dass wir als EU starke Partner sind, dass wir zusammengehören – und das ist nicht Deutschland, das ist nicht Frankreich, sondern wir alle gemeinsam können jetzt ein Statement setzen, wozu wir als EU auch imstande sind. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Außenministerkollegin Baerbock war ja kürzlich in der Ukraine, auch da kamen unter­schiedliche Meldungen. Ich glaube, was ganz wichtig ist, ist, dass wir uns da noch viel mehr verständigen, dass wir als Europa ein starker Partner sein wollen. Ich betrachte jetzt diesen gesamten Konflikt – wenn man ihn als eine Art Beziehungskonflikt sieht –: Welche Rollen könnten wir hier haben? Worum geht es hier? – Es geht um Zuge­hörig­keit, um Identität, es geht um Unterdrückung, es geht um Unterwerfung, um Selbstwert, um Kräftemessen. Das ist eigentlich eine toxische Beziehung zwischen Staaten, kann man sagen. Geht es uns etwas an oder geht es uns nichts an? – Wir sind sicher keine Schiedsrichter, wir können vermitteln und wir können befrieden, und das ist unsere historische Aufgabe. Ich glaube, Österreich ist sehr, sehr gut, gerade, was die diplo­matischen Beziehungen betrifft, was den Austausch betrifft. Wir haben wirtschaftliche Interessen, kulturelle Interessen.

Zurückschauend – und es ist einfach die schwierigste Situation, vor der wir seit dem Kalten Krieg je standen – habe ich ein Zitat gefunden, das ich ganz passend fand, das ist nämlich das Zitat des Kalten Krieges schlechthin: „Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.“ – Genau so ist die Situation. Es kann nur eine Lose-lose-Situation entstehen. Wir müssen als Österreich da auch unseren Teil beitragen, und wir müssen vor allem einwirken, dass wir ein stärkeres Europa werden, dass wir eine starke EU sind und dass wir wirklich unsere Chance jetzt auch in dieser Situation nutzen, zu zeigen, dass wir als Europa zusammenstehen. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

10.07

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Bayr. – Bitte.