15.40

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesregierung! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht heute hier um eine sensible, aber wichtige Entscheidung. Es geht um die Frage, ob die Coro­naschutzimpfung in Österreich für alle ab 18 Jahren verpflichtend sein soll oder nicht. Wir müssen uns heute dieser Frage stellen, weil – und da kann ich die Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen – vieles in den letzten zwei Jahren falsch gelaufen ist, weil vieles verabsäumt wurde.

Die Impfrate ist leider noch immer viel zu niedrig und es ist nicht gelungen, genug Menschen zum Impfen zu bewegen, um bei künftigen Coronawellen eine Überlastung der Spitäler und damit weitere Lockdowns nachhaltig und dauerhaft zu verhindern. Das ist ein Problem. Da sind wir schon bei einem entscheidenden Punkt: Die verpflichtende Schutzimpfung gegen Corona, die wir uns alle nicht gewünscht haben, ist leider notwendig geworden, um die Impflücke, die es in Österreich noch immer gibt, zu schließen. Nur dann, und davon bin ich überzeugt, haben wir eine realistische Chance auf ein Leben, wie wir es vor Corona gekannt haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Was meine ich damit? Wie definieren wir das: ein Leben, wie wir es vor Corona gekannt haben? – Ich definiere das so, dass jeder Mensch in Österreich die Sicherheit hat, dass er oder sie, wenn er oder sie medizinische Versorgung braucht, diese Versorgung auch bekommt, eine Garantie dafür hat, medizinisch bestens versorgt zu sein. Wenn die Spitäler aber überlastet sind, so wie es in den letzten zwei Jahren leider immer wieder der Fall war, dann ist genau diese Sicherheit in Österreich gefährdet. Je mehr Menschen wegen Corona ins Spital müssen, je mehr Menschen auf Intensivstationen behandelt werden müssen, desto mehr Ressourcen fehlen natürlich in der Behandlung anderer Patientinnen und Patienten, jener mit Herzinfarkt oder Schlaganfall, von Unfallopfern oder onkologischen Patientinnen und Patienten. Es ist unbestritten, sehr geehrte Damen und Herren – obwohl heute gerade von Ihnen, vonseiten der FPÖ, immer wieder das Gegenteil behauptet wird und wurde –, die Impfung rettet Leben. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS.)

Die Impfung rettet Leben – das eigene und das Leben anderer. Es sterben noch immer viel zu viele Menschen an Corona. Sie sterben zum einen an den direkten Folgen von Covid, sie sterben aber auch an den indirekten Folgen der Pandemie, weil ihre Opera­tionstermine einfach verschoben werden, monatelang verschoben werden, oder Erkran­kungen mangels Vorsorgeuntersuchungen zu spät, oder sagen wir einmal, sehr spät erkannt und diagnostiziert werden. Das wird in den kommenden Jahren noch sehr viele – zu frühe – Todesopfer fordern. Es sterben auch zu viele Menschen an den indirekten Folgen, weil akute Herzinfarkte – ich habe es schon gesagt –, Schlaganfälle und der­gleichen nicht rechtzeitig intensivmedizinisch versorgt werden können. Das darf niemals hingenommen werden, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

Der Schutz der Gesundheit, der Schutz von Leben muss immer an oberster Stelle stehen. Bei der Impfung geht es darum, nicht nur sich, sondern auch andere zu schüt­zen. Vor allem geht es darum, diejenigen zu schützen, die sich selbst nicht durch diese Impfung schützen können, und das sind bis zu 10 Prozent der Bevölkerung. Die Chance auf ein annähernd normales Leben, wie wir es vorher kannten, heißt aber auch: keine Freiheitsbeschränkungen mehr – Freiheitsbeschränkungen, an die wir uns in den letzten zwei Jahren leider gewöhnen mussten: Ausgangsbeschränkungen, Kontaktreduktionen, quasi ein Runterfahren des sozialen, des wirtschaftlichen Lebens in Österreich, massive Eingriffe in unsere persönlichen Freiheiten, die dadurch gegeben waren, mit verheeren­den psychischen Folgen, mit verheerenden sozialen, aber auch wirtschaftlichen Folgen für die Menschen, für die Gesellschaft, für unser Land.

Aus diesem Teufelskreis des permanenten Auf und Zu, diesem Teufelskreis der Un­sicherheiten gibt es aus meiner Sicht und aus Sicht der meisten Expertinnen und Exper­ten einen effektiven Weg, und das ist eine hohe Durchimpfungsrate in Österreich. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS.)

Die Schutzimpfung gegen Corona verpflichtend zu machen ist nun ein Notausgang. Es ist ein Notausgang, um aus den ständigen Einschränkungen und Beschränkungen un­serer persönlichen Grund- und Freiheitsrechte, die wir in den letzten zwei Jahren erdul­den mussten, rauszukommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! In den vergangenen Wochen wurden leider auch viele Unwahrheiten verbreitet, diskutiert und behauptet. Fakt ist, dass diese Impfung schützt, sie schützt auch gegen Omikron. Diese Impfung schützt vor schweren Verläufen. Jede Impfung zählt, und deswegen haben wir auch keine Zeit zu verlieren. Es geht um das Tempo, es geht um die Zeit. Es geht aber nicht nur um Omikron, das greift viel zu kurz, denn wir wissen nicht, welche Mutation, welche Virusvariante nach Omikron kommen wird, und das ist entscheidend. Ist sie so infektiös wie Delta und so ansteckend wie Omi­kron? – Kann sein, wir wissen es nicht. Ist Omikron der Anfang vom Ende der Pandemie und der Anfang der Endemie? – Kann sein, wir wissen es nicht. Solange wir es nicht wissen, sehr geehrte Damen und Herren, ist es unsere Verantwortung, den Weg der Sicherheit zu gehen. Es ist unsere Verantwortung, zum Schutz der Gesundheit der Menschen in Österreich auf Nummer sicher zu gehen. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Niemand, niemand hat sich die Entscheidung im Hinblick auf die heutige Abstimmung leicht gemacht. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten übernehmen Verantwortung: Verantwortung für den Schutz des Lebens, Verantwortung für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung – in Zeiten der Regierungstätigkeit genauso wie in Zeiten der Oppositionsarbeit. Eines ist dabei für uns ganz zentral: Impfen ist ein solidarischer Akt. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeord­neten von ÖVP, Grünen und NEOS. – Abg. Brückl: So ein Schwachsinn!)

Impfen ist ein solidarischer Akt, mit dem man nicht nur sich selbst schützt, sondern vor allem auch andere – die Schwächeren, die sich selbst nicht schützen können, die Kinder, die noch nicht geimpft werden können, das Gesundheitspersonal, das nach zwei Jahren Pandemie am Rande, am Limit seiner Kräfte ist. Einen Punkt möchte ich da auch noch herausstreichen, einen, der für uns auch wichtig ist: Dieses Gesetz darf keinen Tag län­ger als notwendig gelten, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Genau das ist jetzt in diesem Gesetzentwurf verankert: Das Gesetz wird von Expertinnen und Experten laufend auf Verfassungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit überprüft (Abg. Brückl: Da müssen Sie aber selber lachen! – Zwischenruf der Abg. Steger), und in Folge ist dem Hohen Haus darüber, ob die Verfassungsmäßigkeit überhaupt noch gege­ben ist, Bericht zu erstatten. Das ist notwendig, weil sich die Rahmenbedingungen, das Virus, die Pandemie ständig verändern. Das wissen wir, das haben wir gelernt, und des­wegen ist das ein ganz entscheidender Punkt in diesem vorliegenden Gesetzentwurf.

Eines war mir, war uns in dieser Impfdebatte von Anfang an immer sehr wichtig: dass es ergänzend zu einer Verpflichtung auch positive Anreize gibt, die die Menschen zusätzlich positiv motivieren, sich impfen zu lassen. Zusätzlich zur Impfpflicht positive Signale auszuschicken ist ein ganz wichtiges Zeichen, gerade in Zeiten einer gesellschaftlichen Spaltung in Österreich.

Es ist gleichzeitig eine Win-win-Situation: Durch die mit Impfgutscheinen, mit Impfprä­mien bewirkte Kaufkraftstärkung wird die heimische Wirtschaft unterstützt, und es wer­den in dieser Zeit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Verantwortung heißt aber auch, nicht mit den Ängsten und Sorgen der Menschen in Österreich zu spielen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abge­ordneten der ÖVP.) Wenn wissenschaftliche Fakten systematisch geleugnet werden, wenn Verschwörungstheorien verbreitet werden, wenn das medizinische Personal in Österreich bedroht und angefeindet wird, wenn Kinder, wie wir heute lesen mussten, weil sie Masken tragen, von Coronaleugnern bedroht, beschimpft und angeschrien werden, dann muss es Widerspruch geben, und zwar von allen demokratischen Kräften dieses Landes! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.)

Eines kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern: Die Sozialdemokratie wird diese Ver­antwortung zu jedem Zeitpunkt übernehmen. Wir haben das in der Vergangenheit getan und wir werden das auch in Zukunft tun. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

15.51

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Bundesminister Mückstein. – Bitte.