Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Wir haben jetzt schon mehrere Fragen rund um Putin und rund um Gas von Ihnen beantwortet bekommen. Es besteht, glaube ich, Einigkeit darüber, dass man beim russischen Präsidenten mit allen möglichen Schritten rechnen muss. Das heißt, wir müssen auch einkalkulieren, dass es zu einem totalen Lieferstopp bei Gas kommt.

Meine Frage:

207/M

„Es braucht nach Expertenmeinung massive europäische Koordination im Fall eines Gaslieferstopps: Pipelineflüsse müssen neu ausgerichtet werden, Speicherplatz verteilt und koordiniert, LNG Importe in ganz Europa verteilt usw. Was ist diesbezüglich seit Kriegsbeginn auf europäischer und bilateraler Ebene konkret umgesetzt worden?“

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundeskanzler, bitte.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Sie haben total recht mit der Feststellung, dass es, wenn es tatsächlich zu einem vollständigen Gaslieferstopp der Russischen Födera­tion käme, um jeden Preis eine transnationale Koordination braucht. Unsere Erfahrun­gen haben aber gezeigt, es gibt das Bekenntnis – es gibt das Bekenntnis der Kommis­sion, es gibt das Bekenntnis der Regierungschefs im EU-Rat. Die große Herausforde­rung wird sein: Beweist es sich dann tatsächlich in der Zeit der Not? – Ich bin etwas vorsichtig mit dieser Einschätzung, weil die Energieplattform derzeit noch nicht sichtbar und spürbar ist, diese aber so wichtig wäre, damit wir Mitgliedstaaten uns nicht gegen­seitig konkurrenzieren, wenn wir derzeit am internationalen Gasmarkt für die jeweiligen Speichermöglichkeiten einkaufen.

Das, was tatsächlich passiert ist, ist: Es hat sich der Import von Flüssiggas gegenüber importiertem Pipelinegas deutlich erhöht. Das heißt, LNG, also Flüssiggas, ist jetzt in einem großen Maße im europäischen System verfügbar. Die weltweiten Exporte nach Europa sind um 75 Prozent gestiegen. Hauptprofiteur dieser Exporte sind natürlich der­zeit die Vereinigten Staaten von Amerika, die große Mengen Flüssiggas Richtung Euro­pa transportieren. Deutschland versucht gerade, ein Manko auszugleichen, auch durch die Umsetzung eines Beschlusses, Liquid-Gas-Terminals zu errichten und daraus dann Pipelinestrukturen aufzubauen, die dieses Gas auch weiter nach Europa ziehen können.

Die große Aufgabe, die Sie zu Recht auch ansprechen, ist, die Infrastruktur an sich jetzt besser auszubauen. Das passiert zum Teil privatwirtschaftlich, weil natürlich auch Ener­gieunternehmen jetzt Interesse daran haben, dass Strukturen verstärkt werden, um Lie­feranforderungen auch gerecht zu werden. Konkretes Beispiel: Das Ölembargo der Europäischen Union gegen die Russische Föderation ist eine große Herausforderung für Tschechien. Der tschechische Premierminister ist mit der Bitte an mich herangetre­ten, dass die TAL-Pipeline – das ist eine Pipeline, die durch Österreich führt und Öl und vor allem auch raffinierte Produkte transportieren kann – weiter ausgebaut wird, damit die Kapazitäten vergrößert werden und dann eben in weiterer Folge der Verlust der rus­sischen Produkte kompensiert werden kann. Das wird gerade von der OMV positiv be­wertet und auch umgesetzt.

Auf der anderen Seite braucht es staatliche Initiativen von unserer Seite aus, im Ener­gieministerium, zur Bewertung dessen, was an Infrastruktur vorhanden ist. Es ist alles privatwirtschaftlich vergeben, der Staat an sich ist nicht klassisch Eigentümer von Pipe­lineinfrastruktur. Notwendig ist aber, dass wir als Republik dort helfen, wo es erforderlich ist, um diese verschiedenen Strukturen jetzt zu erweitern. Was meine ich damit? – Triest ist ein wichtiger Hafen für Österreich, wenn es um LNG geht; der Hafen von Krk ist ein wichtiger Bereich, wenn es um LNG geht.

Da bin ich im Gespräch mit den Premierministern, und genauso die Energieministerin jetzt gerade mit ihren Expertinnen und Experten, bei der Möglichkeitsabwägung und Er­hebung, was tatsächlich an Ausbaukapazitäten sinnvoll und richtig sowie vor allem mög­lich ist, immer mit Blick darauf, dass es gute und wichtige Infrastrukturmaßnahmen im Hinblick auf Wasserstoff sind. Deswegen wird regelmäßig das Krisenkabinett aus Fi­nanzminister, Wirtschafts- und Arbeitsminister und Energieministerin tagen und auch re­gelmäßig und transparent über die fünf Punkte Gasbevorratung, Gasdiversifizierung – das heißt andere Anbieter als Russland –, Infrastrukturprojekte – das heißt Pipelinesta­tus, Pipelineausbau –, die europäische Beschaffung und die Frage der Energielenkung, wenn sie denn überhaupt notwendig wird, informieren.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Bundeskanzler, Sie verweisen auf Ihre Gespräche mit den Premierministern benachbarter Länder und auf die Gespräche der Frau Energieministerin. Wirtschaftskammerpräsident Mahrer sagt, die österreichi­sche Regierung schläft in der Pendeluhr, er erkennt keinen integrierten Plan. Wir wissen, dass der Wirtschaftsminister noch kein Gespräch mit Industrievertretern geführt hat – das hat er mir in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage mitgeteilt.

Wie beurteilen Sie die Kommunikation der Bundesregierung hin zu den Unternehmen?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundeskanzler, bitte.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Also wenn Sie es so beschreiben, wie Sie es mir gerade beschrieben haben, dann besteht Luft nach oben und die Notwendigkeit, diese zu füllen. Das, was ich bestätigen kann, ist, dass ich als Bundeskanzler mit der Industrie regelmäßig Kontakt halte, sei es mit dem Präsidenten der Industriellenver­einigung, aber auch mit Industriebetrieben selbst. Das ist wahrscheinlich der Grund da­für, dass der Wirtschaftsminister jetzt dann in weiterer Folge diesen Terminen auch nach­arbeitet.

Die Kommunikation muss transparent erfolgen, da haben Sie vollkommen recht. Ich leiste meinen Beitrag dazu von der Bundeskanzlerseite aus, die Energieministerin ihren als die in diesem Bereich fachverantwortliche Ministerin – und dort, wo es Themen gibt, die nicht gut genug aufgelöst werden, müssen wir in Zeiten der Krise rechtzeitig auf Feedback reagieren, um die Dinge zu verbessern. Das Bundeskanzleramt bietet sich hier in allen möglichen Bereichen immer auch als Informationsdrehscheibe an.

Und dass der Wirtschaftskammerpräsident da Kritik äußert, ist aus meiner Sicht eine vollkommene Erfüllung dessen, was auch seine Verpflichtung ist, nämlich die Interessen eines Standes zu vertreten – und da ist es üblich, Regierungen grundsätzlich nicht zu loben. (Beifall bei der ÖVP.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine weitere Zusatzfrage stellt Abgeordneter Schmuckenschlager. – Bitte.

Abgeordneter Johannes Schmuckenschlager (ÖVP): Herr Bundeskanzler, unser gro­ßes Problem ist die Abhängigkeit von russischem Gas. Wir sehen aber, dass wir ja auch in Österreich enormes Potenzial mit Biomasse, Biogas und Energieträgern, die wir selbst erzeugen können, haben. Wie geht nun die Bundesregierung vor, um diese Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundeskanzler, bitte.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Herr Abgeordneter, es wurde auch hier im Ho­hen Haus ein wichtiges Gesetz – das Gasdiversifizierungsgesetz – beschlossen, mit dem Hintergrund, Unternehmen, die sich von russischem Gas unabhängig machen, da­bei auch budgetär zu unterstützen und finanziell zu begleiten. Derzeit ist der Rahmen jetzt einmal 100 Millionen Euro im Jahr, aber mit Potenzial nach oben, wenn es tatsäch­lich angenommen und verwendet wird.

Das Thema grünes Gas ist aus meiner Sicht ein wichtiges Thema. Es ist eigentlich ein Paradoxon, dass grünes Gas – wir erinnern uns beide daran zurück – als nicht effizient angesehen und das Thema wieder beendet worden ist, und jetzt, wo die Gaskosten so hoch sind, sieht man, dass es wertvoll und richtig wäre, im größeren Ausmaß auf grünes Gas zurückgreifen zu können.

Darüber hinaus haben wir das Use-it-or-lose-it-Prinzip beschlossen. Das heißt – das ist aus dem Energieministerium gekommen –, dass die Energiespeicher, die in Österreich möglich sind, auch tatsächlich genutzt werden und nicht, wie derzeit von Gazprom, liegen gelassen werden. Das steht derzeit gerade an. Das ist der berühmt-berüchtigte Speicher in Haidach, der aber deshalb auch strategisch so wichtig für Österreich ist, weil er einerseits Tirol und Vorarlberg zur Not versorgen kann und auf der anderen Seite ein großes Volumen im Umfang von 21 Terawattstunden Speicherkapazität hat.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordnete Graf. – Bitte.