Bundesrat Stenographisches Protokoll 632. Sitzung / Seite 107

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Vizepräsident Jürgen Weiss: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile es ihr.

16.24

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr 1997, das europäische Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, neigt sich dem Ende zu. In Schulen mit engagierten Lehrern und Schülern, in Vereinen und Organisationen wurde in vielfältiger, phantasievoller Weise und vor allen Dingen verantwortungsbewußt an zahllosen Projekten zu diesem Thema gearbeitet. Österreich kann stolz darauf sein, was in diesem Jahr vor allem junge Menschen an Bewußtseinsarbeit zustande gebracht haben.

Meine Damen und Herren! Ich bin froh darüber und dankbar dafür, daß nun noch vor Ausklang dieses Jahres von beiden Häusern des österreichischen Parlaments – vor kurzem vom Nationalrat, heute vom Bundesrat – ein Zeichen gesetzt wird, das über dieses eine Jahr hinaus wirken soll – für mich ist es selbstverständlich – und natürlich auch wirken wird. Die Schaffung eines Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus kommt der Überlegung entgegen, daß nur die Kenntnis des Geschehenen die Menschen in die Lage versetzt, gegenwärtige Situationen und Stimmungen richtig zu deuten und mögliche Konsequenzen daraus zu ersehen.

Als Bedenktag wurde der 5. Mai, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen gewählt. Über 200 000 Menschen aus verschiedensten Ländern Europas wurden in Mauthausen und seinen 49 Nebenlagern gequält, gedemütigt und nahezu die Hälfte von ihnen zu Tode geschunden. Das ist so grauenhaft, in seinen Dimensionen so unfaßbar, daß das Begreifbarmachen eine ungeheuer große Herausforderung ist. Das erfordert auch sehr viel Verantwortungsbewußtsein.

Meine Damen und Herren! Für alle Zeiten wird in den Geschichtsbüchern der Welt stehen, daß im 20. Jahrhundert Verfolgung und Mord begangen wurden von Menschen, die behaupteten, Träger einer neuen Kultur zu sein. Wie sollen und werden künftige Generationen diesen unsäglichen Tiefstand jemals begreifen können? – Dieser Frage müssen wir uns alle stellen. Daher ist die Initiative für diesen Gedenk- beziehungsweise Bedenktag so unglaublich wichtig, denn dadurch wird Bewußtsein geschaffen. Nur das richtige Bewußtsein, die eigene Betroffenheit, kann uns befähigen, heutigen widerwärtigen Erscheinungen entgegenzutreten.

Niemals darf vergessen werden, daß, schon lange bevor die Vernichtung der Juden begann, jüdische Mitbürger immer neuen Schikanen ausgesetzt waren. Viel zu wenige haben damals verstanden, daß dies der Anfang vom Ende war. Die allmähliche Gewöhnung an Niederträchtigkeiten, die diesen Mitbürgern angetan wurden, hat beim Wegschauen geholfen, und das Wegschauen hat es wiederum ermöglicht, das nicht wissen zu müssen, was man nicht wissen wollte.

Die Lehre daraus muß sein – und sie soll eben am 5. Mai der Jugend nahegebracht werden –: Jedermann kann und muß auf die alltäglichen Ausgrenzungen und Diskriminierungen reagieren, ebenso auf Gewalt in der Familie und gegenüber Schwächeren. Denn das meiste Unrecht beginnt im kleinen, und dort läßt es sich noch bekämpfen. Die Erziehung zu Toleranz, zur Achtung der Menschenwürde und zu demokratischem Verhalten, die Vermittlung von entsprechenden Leitbildern an die Jugend ist unverzichtbar für ein Klima, in dem Bewußtsein und Praxis der Menschenrechte gedeihen können.

Meine Damen und Herren! Wie notwendig die Erziehungsaufgabe ist, die den zukünftigen Bedenktagen innewohnen soll, möchte ich anhand einiger, weniger Zahlen belegen. Nach einer im Jahre 1995 durchgeführten Umfrage möchten 24 Prozent der Österreicher Juden lieber nicht als Nachbarn haben. In derselben Umfrage lehnen 42 Prozent Zigeuner als Nachbarn ab. Bei Türken waren es 39 Prozent und bei Kroaten 31 Prozent.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite