Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 66

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als schwer zu beurteilen ist. Die Tat darf nicht den Tod eines Menschen zur Folge haben. Jetzt kommt auch ein wichtiger Punkt: Der Verdächtige muß Einsicht in die Struktur und in die Ursachen seiner Tat und deren Folgen haben und zeigen.

Ein einsichtsloser Beschuldigter, der gar nicht zur Kenntnis nehmen will, daß er Übel zugefügt hat, daß er sich strafbar gemacht hat, ist für Maßnahmen der Diversion, wenn das Gesetz im Auge behalten wird, von vornherein nicht geeignet. – Außerdem muß die Bereitschaft zur Schadensgutmachung gegeben sein. Man darf nicht annehmen, daß ein Staatsanwalt sagen wird, eine Schadensgutmachung wäre bei einer strengen Beurteilung nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar. Sicherlich muß man davon ausgehen, daß gewissenhaft gehandelt wird. Ich glaube, der zuständige Chef der Justiz, der an die staatsanwaltschaftlichen Behörden weisungsbefugt und der letztlich auch politisch dafür verantwortlich ist, daß im Bereich der Diversion keine Mißstände getätigt werden, wird wohl dafür bürgen, daß die von Ihnen geäußerten Befürchtungen tatsächlich nicht eintreten.

Es bedarf aber nicht nur der Rechtskenntnis bei den Behörden, die die Diversion handhaben, sondern auch des Vermögens der Gestaltung, des Vermögens, dem Verdächtigen klarzumachen, welches Übel er zugefügt hat. Sehr viel im Bereich des Strafrechtes geschieht nicht aus böser Absicht, sondern aus Verkennung der Zusammenhänge und der fehlenden Einsicht in das Strafbare einer Tat und in das Übel, das damit Mitmenschen zugefügt wird.

Die Kontakte mit dem Verletzten, dem Opfer der Tat, sind gerade beim Tatausgleich sehr wichtig. Es ist eine Zustimmung des Verletzten, des Opfers grundsätzlich erforderlich.

Ich meine, ich darf unter diesen Gesichtspunkten sagen, daß hier ein Weg gegangen wird, der gerade im Bereich der kleinen Kriminalität zukunftsweisend ist. (Bundesrat Dr. Böhm: Fünf Jahre Strafdrohung ist nicht Kleinkriminalität!) Daß er nicht ausufert in Bereiche, für die er nicht geeignet ist, weil der Schaden etwa gar nicht gutzumachen ist, weil das Opfer der Tat nicht faßbar ist oder das zugefügte Übel so abstrakt ist und im psychischen Bereich liegt, daß es tatsächlich nicht wiedergutgemacht werden kann, dafür werden nun die Staatsanwaltschaften, wird der Bundesminister für Justiz in erster Linie verantwortlich sein. Wir werden auf entsprechende Berichte nach Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzespaketes mit Spannung, aber auch mit entsprechendem kritischen Geist warten.

In diesem Sinne darf ich namens der Bundesratsfraktion der Österreichischen Volkspartei vorschlagen, gegen die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.42

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Michael Ludwig das Wort. – Bitte.

12.42

Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die heute zur Beschlußfassung vorliegende Strafprozeßnovelle 1999 stellt eine, wie ich meine, wesentliche Weiterentwicklung unseres Rechtssystems dar und ist durchaus vergleichbar mit den großen Justizreformen der siebziger Jahre. Diese Reform stellt eine Erweiterung des staatlichen Reaktionssystems auf strafbare Handlungen dar und ist eine Ergänzung – ich betone: eine Ergänzung – des bestehenden Strafrechts.

In anderen europäischen Ländern gibt es bereits seit Jahren sehr positive Erfahrungen mit der Diversion, zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland. Kollege Böhm! Es tritt auch in Deutschland keine Erosion des Strafrechtes dadurch ein, daß es diese Möglichkeiten der Verfahrensabwicklung gibt. In Deutschland sind derartige Möglichkeiten seit 1924 gegeben. (Bundesrat Dr. Böhm: Aber nicht so weitgehend! – Bundesminister Dr. Michalek: Das Opportunitätsprinzip geht noch viel weiter!) Bereits im Jahr 1993 – auch schon einige Jahre zurückliegend, aber immerhin eine, wie ich meine, doch sehr markante Zahl – wurden bereits 47 Prozent aller dringend tatverdächtigen Erwachsenen nach diesem diversionellen Modell betreut und deren Verfahren abgewickelt. Bei den Jugendlichen war dieser Prozentsatz noch viel höher und hat


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