Bundesrat Stenographisches Protokoll 668. Sitzung / Seite 38

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Ich glaube, dass es zwischen allen Fraktionen unumstritten sein muss, dass im Vordergrund in erster Linie der Schutz der Opfer zu stehen hat – eine sorgsame, effiziente Betreuung der Opfer – und erst in zweiter Linie die Frage der Strafverfolgung aufgeworfen werden sollte.

Es ist für uns daher nicht einzusehen, dass eine bestehende Regelung, die sich nach allen Expertenmeinungen bewährt hat, aufgehoben werden soll, dass von ihr abgewichen werden soll, und zwar egal in welchem Ausmaß. Es drängt sich hier doch der Gedanke auf, dass eher plakative, emotional besetzte politische Motive im Vordergrund stehen und mehr zählen als jene Umsicht und Besonnenheit, von der im Ausschuss noch die Rede war.

Ich glaube, dass die in den argumentativen Vordergrund gerückte Hilfestellung bereits mit der StPO-Novelle 1993 erzielt wurde, dass nunmehr aber manchem eine bequeme Möglichkeit eröffnet werden könnte, diese in den letzten Jahren erhöhte Sensibilisierung wieder etwas fallen zu lassen.

Wenn sich also alle Fachleute, Jugendämter, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe und so weiter einig sind, dass die bisherige Regelung unverändert bestehen bleiben sollte und sich bewährt hat, so ist jedes Abweichen von dieser Regelung mit einem Experiment verbunden.

Meine Fraktion ist nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Standpunkte der Überzeugung, dass es sich hier um ein Thema handelt, das von Experimenten verschont bleiben sollte. (Beifall bei der SPÖ.)

11.49

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Böhmdorfer das Wort. – Bitte.

11.49

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Ich möchte auf das, was hier gesagt wurde, bewusst sofort eingehen, und ich werde mich später zu der Frage der Fristenregelungen, zu der StPO überhaupt noch einmal melden. Ich habe das zumindest vor, weil ich glaube, dass dieses Gesetz so wichtig ist, dass man es auch im Bundesrat schwerpunktartig in Teilstücken vorstellen soll.

Es ist mir ganz wichtig, dass Sie großes Verständnis für dieses gigantische Reformvorhaben haben, nämlich die Vorverfahrens-Novelle in der StPO, weil uns dieses Gesetz schon seit Jahrzehnten beschäftigt und der Reformbedarf so dringend ist, dass sogar während laufender Erneuerung des Vorverfahrens Teilabschnitte neuerlich zwischendurch novelliert werden.

Das bezieht sich im Prinzip auch auf den § 84 StPO, wobei dieser Versuch, das Beste zu machen, meines Erachtens zu Unrecht in Misskredit gebracht wird. Denn worum geht es eigentlich? – Wir haben in der Strafprozessordnung das Prinzip, dass Beamte im weitesten Sinn, also Behörden, die einen Sachverhalt zur Kenntnis bekommen, der ein strafbares Verhalten beinhaltet, dies anzeigen müssen. Diese Regelung haben wir bis 1993, wie richtig genannt wurde, gehabt.

Das war manchmal viel verlangt und breit angelegt, aber es entsprach sicherlich im Grundsatz der Überlegung, dass Beamte und Behörden eine besondere Verantwortung gegenüber dem Staat haben und dass, wenn sie Sachverhalte zur Kenntnis bekommen, die strafbare Delikte beinhalten, dies auch jenen Stellen bekannt machen sollen, die zur Wahrnehmung des staatlichen Strafanspruches berufen sind. Und das sind nun einmal die Staatsanwaltschaften.

Nun gebe ich zu, dass es Sinn gemacht hat, 1993 diese Position zu überdenken und in besonders sensiblen Bereichen die Anzeigepflicht – das Schlagwort ist richtig – zurückzunehmen. Was war der Grund? – Man wollte jenen Bereichen, in denen man durch eine Anzeige unter Umständen mehr Schaden als Nutzen anrichtet, einen Spielraum schaffen und nicht gleichförmig und unsensibel Strafverfahren erzeugen, die letztlich dem Rechtsstaat und den Grundlagen des Rechtsstaates – dazu gehören auch die Familien – nicht gut tun.


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