Bundesrat Stenographisches Protokoll 668. Sitzung / Seite 46

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Thema, das ihm nicht passt, das aber vom Gesprächspartner erörtert wird, den Saal verlässt. Ich verstehe das, offen gestanden, nicht, da Gesprächsverweigerung kein Fortschritt sein kann, den wir uns wünschen.

Wenn Sie die ganze Palette zusammennehmen und auf eine Waagschale legen, dann müssen Sie meines Erachtens zugestehen, dass ein Verzicht, den Strafanspruch zu realisieren, nicht denkbar ist.

Ich gehe auch auf das Argument ein, das Sie vorgebracht haben, nämlich dass es zur Vertrauensbildung erforderlich sei, die Anzeigen nicht zu erstatten. – Ich habe mit all diesen Leuten, die dies befürworten, gesprochen. Ich bin selbst davon überrascht gewesen, als ich in das Ministerium gekommen bin, dass ungefähr ein Drittel meiner Zeit dafür aufgeht, mit Gruppen zu sprechen, die Sorge wegen ihrer Schwäche haben, die Sorge wegen des Problems haben, sich zu wenig artikulieren zu können. Das sind Behinderte, das sind ältere Menschen, das sind aber auch Vertreter von Kindern, das geht in den Bereich der Bewährungshilfe und ähnliche Bereiche hinein. Das ist eine unserer ganz großen Sorgen, und es ist eine unserer ganz großen Bemühungen, dass wir für diese Gruppen das Richtige machen.

Wenn Sie die Güte haben, Herr Bundesrat, sich all das einmal zu überlegen, dann werden Sie sehen, dass es mit dem Vertrauensverhältnis auch so eine Sache ist: Das Argument "Wir dürfen den Täter nicht anzeigen, weil wir sonst das Vertrauensverhältnis mit ihm zerstören" muss zu Ende gedacht werden. – Gut, es wird das Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Vertrauensperson ausgebaut; das Opfer erzählt der Vertrauensperson noch mehr, noch mehr und noch Schrecklicheres, und was ist dann? Wollen Sie auf den sich daraus ergebenden Strafanspruch gegenüber dem Täter verzichten? – Geben Sie bitte auf diese Frage eine Antwort, und nennen Sie eine Lösung! (Bundesrat Dr. Böhm: Richtig!)

Natürlich muss man ein Vertrauensverhältnis herstellen, aber letztlich ist das höhere Gewicht und das höhere Interesse immer auf der Seite des Opfers – wenn ich auch zugeben muss, dass wir keinen Versuch außer Acht lassen dürfen, die Täter nicht nur zu bestrafen, sondern vor allem zu einer Therapie zu veranlassen. Wir haben im Suchtgiftbereich ebenfalls dieses Prinzip, Strafen auch für diejenigen anzudrohen, die nur süchtig sind. Aber warum denn? – Hauptsächlich, damit sie sich als Ersatz für die Strafe therapieren lassen; und das wollen wir!

Wir wollen auch, dass Sie anerkennen, dass diejenigen, die mental nicht ganz in Ordnung sind und zu sexuellen Übergriffen neigen, auch für sich selbst akzeptieren, dass sie eine Therapie notwendig haben. Wenn wir nicht den Konsens herstellen, dann verstehe ich nicht, welche Grundlage der Demokratie und des demokratischen Diskurses Sie sich wünschen. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

12.35

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident Weiss. – Bitte.

12.35

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die Spannungsverhältnisse eingehen, die der Anzeigepflicht schlechthin innewohnen – und das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Strafprozessordnung; wir haben sie in anderen Rechtsbereichen auch.

Der Herr Justizminister hat, wie auch die anderen Debattenbeiträge zu diesem Thema, meiner Ansicht nach sehr gut deutlich gemacht, dass es sich hier um eine schwierige Gratwanderung handelt – das ist keine Frage –, dass es aber auch richtig ist, dass man in angemessenen Zeitabständen Bilanz zieht und sich überlegt, ob die mit der ursprünglichen Novellierung verbundenen Intentionen in der Praxis auch im wünschenswerten Ausmaß eingetreten sind oder ob sich nicht gut gemeinte Maßnahmen plötzlich als Quelle unbeabsichtigter und unerwünschter Nebenwirkungen herausstellen.


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