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Präsident Karl Bader: Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen zu Hause! Verehrte Gäste auf der Galerie! Vor allem liebe Besuchergruppe des Bauernbundes aus meiner Heimatgemeinde Rohrbach an der Gölsen mit Obmann Thomas Rosenbaum, begleitet von unserem Herrn Pfarrer Pater Altmann und meiner Vizebürgermeisterin Anna Klinger! (Allgemeiner Beifall.)

Am 1. Juli habe ich für mein Bundesland Niederösterreich von Kärnten den Vorsitz im Bundesrat übernommen. Ich sehe diese Aufgabe als Präsident der Länderkammer auf der einen Seite als Ehre, auf der anderen Seite natürlich auch als eine besondere Herausforderung. Vorweg möchte ich mich auch heute nochmal bei Präsident Ingo Appé sehr herzlich für die Präsidentschaft im ersten Halbjahr bedanken und meinen Dank aus der letzten Sitzung wiederholen. – Lieber Ingo, vielen, vielen herzlichen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

Sehr herzlich danken darf ich auch den Mandatarinnen und Mandataren des Nieder­österreichischen Landtages, die mich als Erstgereihten der zwölf niederösterreichi­schen Bundesrätinnen und Bundesräte gewählt haben, sowie unserer Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die für den Wahlvorschlag verantwortlich war, für ihr Vertrauen. (Beifall bei der ÖVP, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Ich übernehme die Präsidentschaft im Bundesrat in bewegten politischen Zeiten; ge­rade jetzt herrscht eine kaum zu überbietende Dynamik in der Gesetzgebung. Das sogenannte freie Spiel der Kräfte hat allein letzte Woche im Nationalrat eine Unmenge an Gesetzesanträgen mit sich gebracht, über die wir heute in unserer Bundes­rats­sitzung diskutieren und wahrscheinlich bis spät in die Nacht Abstimmungen durchfüh­ren werden.

Dem Bundesrat kommt gerade in dieser Zeit eine besondere Rolle als stabiler Faktor in der Republik Österreich zu. Wie schon Bundespräsident Alexander Van der Bellen gesagt hat, sorgt unsere elegante Verfassung dafür, dass Gesetze keine Rechtskraft entfalten können, wenn sie nicht zuvor den Bundesrat passiert haben. Unsere von der Bundesverfassung vorgegebene Aufgabe, also die Aufgabe des Bundesrates, und unsere Arbeit werden auch hier im Parlament wertgeschätzt und zunehmend auch unterstützt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir seit 1. Jänner auch die Möglichkeit haben, parlamentarische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Fraktionsvorsitzenden zu haben. Ich denke, dass das ein erster guter Schritt ist, um die Unterstützung unserer Arbeit und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Als Mitglied des Nutzerbeirates für den Parlamentsumbau – ich darf als Vertreter des Bundesrates in diesem Gremium sein – freue ich mich auch über die neuen Mög­lichkeiten, die uns als Bundesrat nach dem Umbau zur Verfügung stehen werden. So wird der Sitzungssaal einerseits ein weit größerer sein als bisher und zum Zweiten ist es mir auch gelungen, alle Mitglieder dieses Beirates davon zu überzeugen, dass wir auch dieselbe technische Ausstattung bekommen wie die Kolleginnen und Kollegen im Nationalrat.

Aus unserer Bundesverfassung ist die Länderkammer nicht wegzudenken, sie ist ein wesentlicher Teil dieser. Es ist noch nicht lange her, dass die Vorlage für das Öko­stromgesetz im Bundesrat endgültig gekippt wurde. Egal, wie man zu diesem Thema inhaltlich stehen mag: Der Bundesrat hat damit deutlich gemacht, dass mit dem absoluten Veto ein von der Verfassung eingeräumtes Recht wahrgenommen wurde. Das ist auch in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen worden und auf großes Inter­esse gestoßen. Ich wünsche mir, dass dieses Interesse am Bundesrat auch weiterhin anhält, und ich möchte auch meinen Beitrag dazu leisten.

Wenn der Bundesrat noch stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen und auch posi­tioniert werden soll, so braucht er meiner Meinung nach auch ein Thema, weil wir ja durch den halbjährlichen Wechsel vielleicht ein bisschen ein Handicap haben. Nieder­österreich stellt heute durch mich das Thema Masterplan ländlicher Raum vor, das auch dazu geeignet ist, in die nächsten Jahre hineinzuwirken und als Leitlinie für uns zu gelten. Es soll auch die nächsten Präsidentschaften begleiten, das habe ich mit den Kolleginnen und Kollegen, die mir am Präsidium folgen werden, erarbeitet, diskutiert und vorbereitet. Ich freue mich darauf, dass sich jedes Bundesland aus diesem Master­plan ländlicher Raum einen Schwerpunkt herausnehmen wird. Der niederösterreichi­sche Schwerpunkt in diesem Zusammenhang wird im nächsten halben Jahr das Thema Dezentralisierung sein. Das ist, wie ich meine, eine Grundvoraussetzung zur Stärkung des ländlichen Raumes.

Ich sage in diesem Zusammenhang aber auch klar und deutlich, dass mir dieses Thema sehr wichtig ist, weil ich viele, viele Jahre als Vertreter des ländlichen Raums genau miterlebt habe, mit welchen Herausforderungen dieser zu kämpfen hat. Meine politischen Wurzeln sind mir also auch in der Funktion des Präsidenten des Bun­desrates ein ganz besonderes Anliegen.

Warum Masterplan ländlicher Raum?, werden sich manche fragen. – Im ländlichen Raum leben zwei Drittel der Bevölkerung unserer Republik auf flächenmäßig fast 90 Prozent des Staatsgebiets. Daher ist der ländliche Raum es tatsächlich wert, einen starken Fokus auf ihn zu legen. Die Anziehungskraft der Städte ist ungebrochen und die Entwicklungschancen in Stadt und Land sind durchaus sehr, sehr unterschiedlich. Der ländliche Raum verliert jährlich mehr als 5 000 gut ausgebildete Personen allein an den Großraum Wien. Bei Fortsetzung dieser Entwicklung würde das in den nächsten zehn Jahren bedeuten, dass es einen Braindrain von rund 50 000 Menschen gibt. Die Abwanderung gerade von jungen Frauen wirkt sich auf das gesamte Sozial- und Wirtschaftsgefüge im ländlichen Raum sehr negativ aus.

Vor diesem Hintergrund sind strategische Neuorientierungen und ambitionierte politi­sche Schwerpunktsetzungen für die Zukunft des ländlichen Raums unverzichtbar. Es ist daher eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre, mehr Fairness zu schaffen, um den ländlichen Raum zu stärken. Die Digitalisierung wird uns dabei eine gute Partnerin sein, weil sie viele Chancen und Möglichkeiten eröffnet.

Mit dem Masterplan ländlicher Raum hat Bundesminister Andrä Rupprechter 2017 infolge eines breiten Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungsprozesses eine Arbeitsgrund­lage geschaffen, die konkrete Perspektiven und Lösungen aufzeigt. Auf Basis dieser Strategie sollen die Wirtschafts- und Lebensbedingungen am Land systematisch verbessert und die Zukunft des ländlichen Raums gesichert werden. Wer, wenn nicht wir als Bundesrat, als Länderkammer, soll sich dafür einsetzen, unsere Länder, unsere Regionen als Keimzelle des Miteinanders in Europa zu positionieren und zu prä­sentieren?

Wir sind darüber hinaus auch die Europakammer und genießen dafür in Europa ein ganz, ganz hohes Ansehen. Das engagierte Agieren des Bundesrates als Europa­kammer mit einem sehr, sehr erfolgreichen EU-Ausschuss unter dem Vorsitz von Bundesrat Christian Buchmann trägt zudem viel zum kontinuierlichen Profil des Bun­desrates in der Öffentlichkeit bei. Wir sind führend in Europa, was Subsidiaritätsprü­fungen und Stellungnahmen angeht – und dafür danke ich sehr, sehr herzlich. (Beifall bei der ÖVP sowie bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Generalthema ländlicher Raum wollen wir mehr Kontinuität generieren und natürlich auch die Aufmerksamkeit für den Bundesrat und den Wiedererkennungswert des Bundesrates stärken. Wenn auch jedes Bundes­land in den kommenden Jahren seine eigene Melodie spielt, so schaffen wir mit dem Leitmotiv das Gesamtwerk und damit auch Wiedererkennbarkeit.

An dieser Stelle ist mir aber auch eines ganz wichtig zu betonen und deutlich zu sagen: Es geht mit diesem Thema keinesfalls um einen Gegensatz zwischen Stadt und Land. Es geht um kein Gegeneinander, sondern es geht um ein Miteinander. Stadt und Land ergänzen sich; Stadt und Land brauchen einander. Keiner der beiden kann ohne den anderen existieren, und beide haben ihre eigenen Herausforderungen.

Ich möchte ein Zitat bringen: Die Dezentralisierung ist ein größerer Initiator für sozialen Wandel, als man es sich auf den ersten Blick träumen lässt. – Interessanterweise stammt dieses Zitat von keinem Europäer, sondern vom amerikanischen Prognostiker John Naisbitt. Um diesem sozialen Wandel durch Dezentralisierung Rechnung zu tragen, hat Niederösterreich die Präsidentschaft im Bundesrat und auch den Vorsitz in der Landeshauptleutekonferenz unter das gemeinsame Motto Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft“ gestellt.

Was wollen wir damit zum Ausdruck bringen? – Wir haben längst festgestellt, dass eine Menge der Agenden, die heute in der Europäischen Union oder in der Bun­des­hauptstadt wahrgenommen werden, in den Regionen durchaus besser aufgehoben wären. Das Subsidiaritätsprinzip soll also auch entsprechend ausgebaut werden. Erst vor wenigen Wochen forderte eine Resolution der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichischen Landesparlamente und auch des Südtiroler Landtages eine stärkere Berücksichtigung der Erfahrungen der lokalen und regionalen Ebene bei der Bewertung und Überarbeitung von Unionsrecht. Es gibt also kein Argument, diese Forderung nicht auch auf das österreichische Bundesrecht herunterzubrechen.

Bürgermeister und Gemeindevertreter sind ein wichtiger Maßstab der Subsidiarität, weil bürgernahe Politik ganz einfach notwendig ist und dort auch tägliches Feedback ermöglicht wird. Für mich – ob als Lehrer, als Direktor einer Schule, als Land­tags­abgeordneter oder als Bundesrat – habe ich immer wieder festgestellt, dass in den Gemeinden jenes Engagement zu Hause ist, das Österreich so lebenswert macht. Ich bin seit vielen Jahren Bürgermeister von Rohrbach an der Gölsen und habe dort auch gelernt, dass man vor Ort am besten weiß, was für die Bürgerinnen und Bürger wichtig, notwendig und gut ist. Deshalb müssen wir mit Verwaltungsdezentralisierung und Digitalisierung dem ländlichen Raum noch mehr Chancen zur Entwicklung einräumen.

Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Deutschland und Schweiz wird das föderale Prinzip in Österreich noch ein bisschen stiefmütterlich behandelt. So befinden sich in Österreich laut einer Studie des Instituts für Föderalismus 65 von 68 Bundesdienst­stellen in der Bundeshauptstadt Wien. Zum Vergleich: In Deutschland sind 67 Bun­des­dienststellen auf 24 Städte in Deutschland aufgeteilt. In der Schweiz sind 47 Bundes­dienststellen in elf verschiedenen Städten angesiedelt. Die Ansiedlung von Bundes- und Landeseinrichtungen sowie ausgelagerten Organisationen in Regionen ist ganz einfach ein wirksames Instrument der Strukturpolitik. Durch Dezentralisierung der Ver­waltung wird die regionale Innovationsfähigkeit gestärkt und die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflusst. Eine Verlagerung von Behörden soll die Steigerung ihrer Effizienz auch unterstützen. Eine moderne, kundenorientierte Verwaltung in den ländlichen Regionen ist Ausdruck von Bürgernähe und ein wichtiger regionaler Standortfaktor. (Beifall bei der ÖVP sowie bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

Damit das Land die Chancen der Digitalisierung bestmöglich nutzen kann, ist eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur natürlich unverzichtbar. Gerade der Präsident des Österreichischen Gemeindebundes Alfred Riedl hat auf diese Notwendigkeit schon vielfach hingewiesen und auch entsprechende konkrete Schritte von der Bundes­regierung eingefordert. Digitalisierung ist also ein entscheidender Standortfaktor für den ländlichen Raum, um auf der einen Seite für Unternehmen, aber auf der anderen Seite auch für Familien attraktiv sein zu können.

Wie soll nun der Schwerpunkt zum Masterplan ländlicher Raum im nächsten Halbjahr umgesetzt werden? – Ich möchte hier vier wesentliche, konkrete Vorhaben an­sprechen, die uns im nächsten Halbjahr begleiten sollen. Zum einen ist das eine Enquete zum Thema „Nah bei den Menschen. Bereit für die Zukunft. – Chancen der Dezen­tralisierung“, die wir heute hoffentlich auch auf die Tagesordnung nehmen wollen – und ich bitte dafür auch um Zustimmung.

Wir wollen mit Experten aus Frankreich, Spanien, aus den nordischen Ländern und mit unseren österreichischen Fachleuten darüber diskutieren, wie Verwaltungsde­zentrali­sie­rung und Digitalisierung dem ländlichen Raum mehr Chancen zur Entwicklung ein­räumen können. Wir werden uns dabei auch einige Anregungen holen, wie die Regio­nen gestärkt und fit für die Zukunft gemacht werden können. Ich werde zu diesem Thema auch schon Ende Juli ein Arbeitsgespräch mit der Bayerischen Landtags­prä­sidentin führen, da in Bayern das Projekt Dezentralisierung schon umgesetzt wird.

Zusätzlich möchte ich natürlich auch mein Bundesland Niederösterreich als Beispiel­bundesland, was Dezentralisierung betrifft, präsentieren. Wir haben ein Projekt am Laufen, wonach 500 Dienstposten aus der Landeshauptstadt St. Pölten in die Regio­nen verlagert werden sollen, unter anderem auch in meinen Bezirk Lilienfeld. Bei die­ser Initiative zur Dezentralisierung werden besonders jene Regionen und Bezirke be­rück­sichtigt, wo in den letzten Jahren die Abwanderung am höchsten war. Dieser Indikator ist also ein Maßstab für diese Dezentralisierung.

Zum Zweiten habe ich vor, mir mit einer Delegation des Bundesrates in den nordischen Ländern vor Ort anzuschauen, wie dort dieses Projekt umgesetzt wurde, um Beispielen zu folgen und nicht immer das Rad neu zu erfinden.

Zum Dritten möchte ich auch gerne eine Gesetzesinitiative starten, damit zumindest dann, wenn neue Bundesdienststellen in dieser Republik geschaffen werden, verpflich­tend geprüft wird, ob sie nicht doch im ländlichen Raum besser angesiedelt wären.

Zum Vierten möchte ich einladen: Der Bundesrat soll auch stärker in die Vorsitzbun­des­länder hinausgehen; und im Zuge des Projekts Bundesrat im Bundesland wollen wir uns am 16. September in Niederösterreich, in Göttweig und am Unicampus Krems, ansehen, wie Wissenschaft und Forschung auch im ländlichen Raum möglich sind und umgesetzt werden. Wir werden uns gemeinsam vor Ort ansehen – und das ist mir besonders wichtig –, wie sich die Beschlüsse, die wir hier im Parlament fällen, in der Praxis auswirken, beispielsweise mit der Aufnahme der Donau-Uni ins Univer­sitäts­gesetz. Das Stift Göttweig ist ja seit vielen Jahren Austragungsort des Europa-Forums Wachau, und wir als Europakammer wollen uns dort auch damit beschäftigen, wie dieses Projekt läuft und welche Initiativen aus diesem Projekt heraus stattgefunden haben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um im Rahmen der von mir skizzierten Schwer­punkte des Bundesrates diesen als sehr aktive Länderkammer weiter zu präsentieren und eine selbstbewusste, innovative und kreative Kraft im Hohen Haus zu sein, lade ich euch alle ein: Ich bitte euch alle um Unterstützung, um eure Mitarbeit, um euer Engagement, um eure Ideen, um eure kritischen Stimmen, um einen offenen Diskurs zu diesem Thema, um damit das Motto der niederösterreichischen Präsidentschaft „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft“ mit Leben zu erfüllen.

Ich lade auch die Medien sehr herzlich dazu ein, dieses Thema inhaltlich zu begleiten und positiv in die nächsten Präsidentschaften mitzunehmen, damit ein breiter Infor­mationsfluss für die Bevölkerung möglich ist. – Vielen Dank und Glück auf für das zweite Halbjahr! (Allgemeiner Beifall.)

9.21