16.07

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Vizepräsident! Werte Ministerinnen! Werter Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, werte Ministerin, sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für Ihre inhaltlichen Bei­träge, die einmal mehr auch unter Beweis gestellt haben, wie sehr Sie mit den Themen Ihrer Ressorts vertraut sind, in welch guten Händen Ihre Ressorts sind und wie gut Sie Ihre Arbeit machen. Vielen herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der SPÖ.)

Hinsichtlich des Gewaltschutzgesetzes 2019 bringe ich einen Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates ein, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, wobei dieser Antrag im Sinne des § 43 Abs. 4 der Geschäftsordnung von mir in seinen Kernpunkten wie folgt erläutert wird:

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit erschreckender Regelmäßigkeit erschüt­tern uns Morde und Gewalthandlungen gegen Frauen und Kinder. Die Frau Ministerin hat es gesagt, fast täglich ereignen sich in Österreich Schreckenstaten, und die aller­meisten ereignen sich im engsten Familienkreis, oft in einem hochemotionalen Umfeld, und sehr oft sind es Affekthandlungen.

Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, und da spreche ich alle hier im Saal an: Ich gehe davon aus, dass wir alle alles unternehmen wollen, um solche Gewalthand­lungen zu verhindern, hintanzuhalten, aber angesichts der fragwürdigen Vorgangs­weise von ÖVP und FPÖ bei diesem hochsensiblen Thema befürchte ich, dass die Ver­suchung, mit diesem wichtigen Thema politisches Kleingeld herauszuschlagen, stärker ist als der Wunsch nach einem wirklich effizienten, zielgerichteten Opferschutz.

Die Genese dieses Gesetzentwurfes wurde von Kollegin Eder-Gitschthaler schon ge­schildert. Es wurde im Innenministerium 2018 eine Taskforce – der neudeutsche Aus­druck für einen Arbeitskreis – eingerichtet, deren Ergebnisse dem vorliegenden Entwurf, eigentlich fast unverändert, zugrunde liegen.

Ja, es hat eine Begutachtung dieser Ergebnisse gegeben, aber was haben Sie mit den Stellungnahmen gemacht? Diese Stellungnahmen kommen von Praktikerinnen und Praktikern, von Institutionen, von Persönlichkeiten, die tagtäglich mit solchen Fällen – und dahinter stehen menschliche Schicksale –, mit Betroffenen konfrontiert sind, die eine hohe Sachkompetenz, Fachkompetenz und vor allem soziale Kompetenz mit­bringen. Die Stellungnahmen kommen von Richterinnen und Richtern – die Richter­ver­einigung hat eine Stellungnahme abgegeben –, Opferschutzeinrichtungen wie etwa dem Weissen Ring, Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern, auch Männerbe­ra­tungsstellen. Es hat unglaublich viele hochqualifizierte Stellungnahmen gegeben, die einfach vom Tisch gewischt werden, die einfach ignoriert werden.

Heute wurde von einem Kollegen gesagt: Das sind ja irgendwelche Experten, die da im Elfenbeinturm hausen! – Meinen Sie damit die Richterinnen und Richter, die tagtäglich mit solchen Fällen konfrontiert sind? Meinen Sie damit den Weissen Ring, Präsident Jesionek, quasi irgendein Experte, der da im Elfenbeinturm haust und nicht weiß, wovon er eigentlich spricht? – Nein, das alles sind Menschen, die eine hohe Kompe­tenz mitbringen, die tagtäglich mit betroffenen Menschen zu tun haben; und alle diese Menschen haben einhellig davor gewarnt, dieses Gesetz zu beschließen. Macht das nicht!, ist der einhellige Tenor fast aller Stellungnahmen.

ÖVP und FPÖ haben in fast gewohnter Manier alle diese Mahnungen vom Tisch ge­wischt und allen diesen Mahnungen zum Trotz diese höchst sensible Materie dem Nationalrat in Form eines Initiativantrages zur Beschlussfassung vorgelegt; und um sich nur ja nicht mit der massiven Kritik und den Warnungen auseinandersetzen zu müssen, wurde auch der zuständige Ausschuss umgangen und der Antrag mittels Fristsetzung direkt ins Plenum gehievt. Damit sollen Maßnahmen beschlossen werden, die von all diesen fachkundigen Stellen und auch vom Herrn Justizminister als kontraproduktiv bezeichnet wurden und wahrscheinlich – das geht auch aus den Stellungnahmen hervor – den potenziellen Opfern eher schaden als nutzen dürften.

Ich selbst bin ja berufsbedingt auch mit dieser Materie vertraut, ich war jahrelang in Frauen- und Familienberatungsstellen und auch bei Gericht tätig, und deshalb kann ich die Stellungnahmen auch aus eigener beruflicher Erfahrung sehr gut nachvollziehen. Gerade bei Affekthandlungen – man hat das bei vielen Fällen gesehen – wirken stren­gere Strafen nämlich nicht abschreckend, weil der Täter im Moment der Tathandlung einfach nicht daran denkt. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Ihm ist alles wurscht, er denkt nicht an eine Strafdrohung. Die Einschränkung des richterlichen Ermessensspielraums, wenn – es ist schon genannt worden – die Mindeststrafen angehoben werden, quasi eine gänzlich bedingte Strafe ausgeschlossen und das Jugendgerichtsgesetz geändert wird  – der Justizminister ist darauf eingegangen –, könnte den Effekt haben, dass Täter überhaupt eher straffrei aussteigen, wenn eben ein Richter, eine Richterin sich nicht ermächtigt oder befähigt sieht, eine Verhältnismäßigkeit in der Strafbemessung herzustellen.

Die Situation ist schon jetzt so, dass nur ein Bruchteil der Anzeigen in eine Anklage und in weiterer Folge in eine Verurteilung mündet. Wenn nun die Verurteilungsquote in Zukunft weiter zurückgehen sollte, dann könnte das auch den Effekt haben, dass sich noch weniger Opfer trauen, Anzeige zu erstatten, denn es gehört auch Mut dazu, Anzeige zu erstatten, wenn man befürchten muss, dass nach einem kräfteraubenden Prozess, nach einem vor allem für das Opfer belastenden Prozess der Täter – der mutmaßliche Täter, muss man dazusagen – unter Umständen straffrei ausgeht. Das ist für das Opfer eine schwer belastende Situation. Ich habe das selbst bei Klientinnen miterlebt; viele von ihnen waren in weiterer Folge akut suizidgefährdet. Das ist eine extreme Belastung.

Wenn es nun auch eine Anzeigepflicht für bestimmte Berufsgruppen gibt – es ist zum Teil wieder zurückgenommen worden, aber es gibt doch eine gewisse Anzeigepflicht –, dann besteht die Gefahr, dass sich Opfer gar nicht an ärztliches Personal oder an berufsmäßig damit befasste Personen wenden, weil sie sehr oft in einem Abhängig­keitsverhältnis zum Täter stehen oder eben selbst noch nicht für eine Anzeige bereit sind und sich vielleicht auch in einem psychischen Ausnahmezustand befinden. Das hätte also wirklich massive Folgen für Betroffene, für potenzielle Opfer.

Zielgerichtete Maßnahmen, meine sehr geehrten Damen und Herren, schauen anders aus. Es wurde im Nationalrat ein entsprechender Entschließungsantrag unserer Frak­tion eingebracht. Man muss viel stärker bei der Prävention ansetzen; da bräuchte es mehr Ressourcen für Frauen- und Mädchenberatungsstellen, um eben Frauen und Mädchen in ihrer Persönlichkeit zu stärken, selbstbewusster zu machen und sie vor allem auch in familiären Krisen zu begleiten.

Die Männerberatung und auch die Burschenarbeit gehören besser unterstützt. Es geht auch darum, friedliche Konfliktbewältigungsstrategien möglichst frühzeitig zu erlernen, zu lernen, mit Aggressionen besser umzugehen, überhaupt ein positives Männerbild vermittelt zu bekommen. Da müssen Ressourcen hineingesteckt werden, vor allem in die Prävention. Bitte arbeiten wir also gemeinsam an einem wirklich wirksamen Gewaltschutz! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Ernst-Dziedzic. – Bundesrätin Grossmann begibt sich zur Regierungsbank und reicht Bundesminister Jabloner sowie Bundesministerin Patek die Hand.)

16.17

Vizepräsident Hubert Koller, MA: Der von Bundesrätin Elisabeth Grossmann, Kolle­ginnen und Kollegen eingebrachte Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates vom 25. September 2019 be­treffend ein Gewaltschutzgesetz 2019 mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben – wobei dieser im Sinne des § 43 Abs. 4 der Geschäftsordnung in seinen Kernpunkten von der Antragstellerin mündlich erläutert wurde –, ist genügend unter­stützt und steht demnach in Verhandlung.

Ich darf auch die Frau Bundesminister für Nachhaltigkeit und Tourismus Dipl.-Ing. Maria Patek begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Peter Raggl. Ich erteile ihm dieses.