9.13

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzte Frau Prä­sidentin! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause, die via Livestream zusehen! Ich fürchte, ich muss uns ein bisschen von dieser rosaroten Wolke herunterholen, denn ganz so rosarot, wie das meine Vorrednerin gerade dargestellt hat, ist die aktuelle Situation in den Schulen mitnichten. Ich habe mir in der Vorbereitung auf diese Sitzung überlegt, dass das Erste, was ich mache, wenn ich in meine Klasse – zum Beispiel Mathematik 4b – gehe, ist, zu kontrollieren, ob die Damen und Herren in der Klasse ihre Hausaufgaben erledigt haben. Und heute habe ich mir vorgenommen, ob das Ministerium, ob der Herr Minister auch seine Hausaufgaben erledigt hat. Schauen wir einmal, was da passiert! (Beifall bei der SPÖ.)

Vor mittlerweile fast exakt einem Monat hat dieses neue Schuljahr 2020/21 begonnen, und wie schon im Frühjahr zu erwarten war, war der Schulstart alles andere als ein ge­wöhnlicher, vieles konnte nicht wie gewohnt ablaufen: Die sonst üblichen Schulmessen zu Schulbeginn fielen aus. Bei den Taferlklasslern durfte nur mehr ein Elternteil beim großen Start ins Erwachsenenleben dabei sein. Es galt, unterschiedliche und leider oft auch widersprüchliche Ampelregelungen einzuhalten – in Bezirken, die immer noch grün sind, sind Schulen trotzdem gelb, andere Bezirke wiederum sind auf Orange gestellt und die Schulen bleiben gelb. Schülergruppen werden nun als epidemiologische Einheiten bezeichnet, dürfen nicht mehr gemischt werden. Sportwochen, Projekttage werden abgesagt. Obwohl die Lehrkräfte ja sowieso ihren Dienst in der Schule und in den Klassen versehen und sich auch im Konferenzzimmer immer wieder begegnen, sind Konferenzen nur mehr per Videokonferenz gestattet, obwohl man zum Beispiel auch in einen großen Turnsaal mit viel, viel Abstand ausweichen könnte, und vieles mehr.

Covid-19 verursachte also schon lange vor Schulbeginn teils große Verunsicherung bei allen Betroffenen im Schulbetrieb, und diese entstandene Verunsicherung war aus meiner Sicht wirklich keine Überraschung. Das Bildungsministerium auf der einen Seite, Bildungsdirektionen auf der anderen gaben regelmäßig ganz unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Richtlinien aus. Für den Schulbeginn hat man in Presse­konferenzen sehr vieles angekündigt, gesetzlich verankert war aber lange nicht alles, man musste hier wochenlang auf entsprechende Verordnungen warten. Der Schul­be­ginn kam ja auch völlig unvorhersehbar und völlig überraschend. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Richtig!)

Ich möchte an dieser Stelle einen vermutlich gut bekannten Mann zitieren, nämlich Paul Kimberger, seines Zeichens Vertreter der Lehrergewerkschaft und vor allen Dingen Ihrer Fraktion (in Richtung ÖVP) zugehörig. Ich möchte etwas zitieren, was er der „Tiroler Tageszeitung“ in einem Interview gesagt hat. Da steht zum Beispiel: „Vieles war unge­klärt – der Umgang mit Verdachtsfällen, die Teststrategie.“ – „Die rechtlichen Grund­lagen, Erlässe und Verordnungen sind extrem spät gekommen. Das war nicht hilf­reich.“ – Zum Schluss, und das finde ich besonders spannend, steht: „Ich habe wenig Verständnis dafür, dass sich die politisch Verantwortlichen trotz mehrmaliger Aufforde­rung nicht penibelst auf das vorbereitet haben, was für die Schulen für den Herbst vorhersehbar gewesen ist. Da ist zu lange zu wenig passiert.“ – Das sagt Paul Kimberger, ein schwarzer Personalvertreter.

Aber in Wahrheit ist es aus meiner Sicht simpel und wirklich durchschaubar, denn die Verantwortung wird schlicht und einfach nach unten verschoben, nämlich zu den Lehrkräften und zu den Schulleiterinnen und Schulleitern, die nun versuchen müssen, aus diesem Chaos und diesen Ankündigungen und Widersprüchen heraus einen möglichst normalen Schulalltag zu gewährleisten und eine Verbreitung des Virus natür­lich möglichst hintanzuhalten, und die dazu noch gewährleisten müssen, dass aus einer großen Verunsicherung keine tatsächliche Furcht und Angst entsteht – das alles mit einem gewissen Deckmantel der Schulautonomie getarnt.

Aus meiner Sicht ist das der denkbar ungünstigste Zeitpunkt und der denkbar schlech­teste Aspekt, um hier Schulautonomie umzusetzen, Herr Minister. Die Betroffenen, nämlich die Pädagoginnen und Pädagogen, die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Eltern, die Erziehungsberechtigten, sollten sich nicht darum kümmern müssen, wer wann wofür zuständig ist, von wo die nächste Direktive kommen könnte, ob das jetzt das Ministerium, die Bildungsdirektion oder wer auch immer ist. Ganz ehrlich, als Lehrerin habe ich auch nicht die Möglichkeit, dass ich mich in jeder freien Minute um solche Zuständigkeiten kümmern kann. Es geht den Betroffenen schlicht und einfach darum, dass sie ganz klare und eindeutige Informationen einfordern, und zwar zu Recht einfordern, wie ich meine, das haben sich alle Betroffenen im Schulbetrieb redlich verdient. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben ja auch selbst diese uneinheitliche Vorgehensweise kritisiert, das haben Sie ja auch in der „NÖN“ erst diese Woche dargestellt. Da haben Sie gesagt: „Ich werde deshalb mit dem Gesundheitsminister sprechen, damit wir in den nächsten Wochen zu einem einheitlichen Prozess kommen.“ Und dann meinen Sie: „Das ist nicht so kompli­ziert, der eigentliche Ablauf ist nicht so komplex.“ – Na dann frage ich mich: Warum ist das nicht schon längst passiert, wieso haben Sie den Sommer dazu nicht längst genutzt, Herr Minister? Aus meiner Sicht ist das völlig unverständlich; offen­sicht­lich verstreicht jetzt wieder ein Semester völlig ungenützt!

In unzähligen Gesprächen, die ich auch als Personalvertreterin geführt habe, ist diese Verunsicherung immer wieder ganz, ganz deutlich ausgedrückt worden. Man kennt sich einfach vielfach nicht aus. So manches klingt in der Theorie gut, kann aber in der Praxis nicht wirklich umgesetzt werden. Wann ist ein Kind tatsächlich ein Verdachtsfall? Was, wenn sich Kinder kaum mehr trauen, in der Klasse zu husten oder zu niesen, wenn sie sich das Niesen quasi schon ganz bewusst verkneifen wollen? Welche schulischen Angebote darf man überhaupt noch anbieten? Es sollen jetzt möglichst kleine Lern­grup­pen gebildet werden, aber was ist, wenn aufgrund personeller, räumlicher Gegeben­heiten das alles gar nicht möglich ist? Wir haben gerade gehört, es soll alle 20 Minuten gelüftet werden: Der Winter steht erst vor der Tür, aber jetzt schon sitzen die Kinder mit Schal und Jacken in der Klasse, weil es einfach viel zu kalt ist. Das heißt, in Zukunft werden wir die Heizung auf voller Stufe laufen lassen, damit wir den Raum auf behagliche 18 Grad aufheizen, um dann 20 Minuten später wieder zu lüften. Wie gesagt, der Winter steht erst vor der Tür; das kommt mir ein bisschen kritisch vor.

Gruppenarbeiten sind eigentlich gänzlich verpönt. Es müssen Sitzpläne erstellt werden, die in der Direktion aufliegen müssen. Die Kinder sind angehalten, ihre Sitzplätze nicht mehr zu wechseln. Okay, das heißt für mich als Lehrerin, es wird jetzt auf kooperatives Arbeiten gänzlich verzichtet – wir haben jetzt reinen Frontalunterricht?, stelle ich jetzt einmal eine provokante Frage. Und die SchülerInnen sollen natürlich auch als epidemio­logische Einheiten den ganzen Tag in ihrer Klasse verbringen, da sie sich ja nicht mehr mischen sollen. Da stelle ich jetzt eine ganz konkrete Frage: Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor, denn ich habe die Befürchtung, mit diesem Virus werden wir noch eine ganze Weile leben müssen?

Dazu kommt, viele Schulen haben sich aufgrund ihres Schulprofils viele individuelle Angebote geschaffen – Freigegenstände, Exkursionen, Kooperationen mit Betrieben, Institutionen, das kann eine Schulband sein, ein Schulchor, Akrobatikkurse und vieles anderes mehr –: Kann so etwas in Zukunft tatsächlich stattfinden? Sie haben das in Pressekonferenzen freigestellt, das ist aus meiner Sicht wieder eine gewisse Form der Pseudoschulautonomie. Da gibt es also vieles, das offensichtlich gleich von Anfang an dem Virus zum Opfer gefallen ist: Alle Angebote, die kreativ, sport-, begabungs- und interessenorientiert gewesen sind, sind gestrichen worden. All jene Bereiche, die die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder betreffen und von ganz immenser Bedeutung gewesen wären, sind gekürzt worden, dem Virus zum Opfer gefallen.

Jetzt frage ich mich als Lehrerin, was denn in diesem Schuljahr die Schule so lebenswert machen wird. Ich glaube, diese Frage hat seitens der Politik noch niemand wirklich zu beantworten gewagt. Ich kann nur eines sagen, nämlich dass sich die Pädagoginnen und Pädagogen tagtäglich wirklich redlich bemühen, das Beste aus diesem Chaos zu machen und unter diesen Umständen ganz großartige Arbeit leisten, und das nicht nur am WeltlehrerInnentag, am 5. Oktober, sondern das ganze Schuljahr über, und dafür gilt es auch heute Danke zu sagen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner.)

Hinzu kommen dann noch Dokumentationsfluten. Beispielsweise haben wir in meiner Schule für eine Handvoll Verdachtsfälle mittlerweile einen ganzen Ordner an Unterlagen, die wir an irgendwen schicken müssen – ob sie dann gelesen werden, ist eine andere Frage. Jetzt gibt es Gurgeltests, Gurgelstudien, die eine gewisse Klarheit bringen sol­len. Da wurde von Freiwilligkeit gesprochen. Ich kann Ihnen da eine Plattform – schulgschichtn.com – sehr empfehlen, da kommen immer wieder Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis zu Wort, und hier spricht eine Grazer Lehrerin davon, dass diese Freiwilligkeit beispielsweise auch nie klar kommuniziert wurde. Da sind die Informationen des Ministeriums viel zu spärlich und hatten oft wenig Bezug zur Praxis.

Man muss sich jetzt einmal vorstellen, was die Lehrer alles leisten müssen: Sie müssen das Material für die Tests vorbereiten, nötige Kühlgeräte teilweise mit nach Hause nehmen, dort einlagern und einkühlen, Listen mit den Daten für die betroffenen Schü­lerInnen erstellen, und so weiter und so fort, stundenlange Arbeit, die in dem Fall nicht bezahlt wird. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Faßmann.) Vom Ministerium ist nur ein Paket gekommen, in dem dann auch noch einige Sachen gefehlt haben. – Das erzählt hier eine Grazer Schulleiterin.

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Frau Kollegin, die 10 Minuten sind um. Bitte den Schlusssatz!

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): Ich komme zu meinem Schlusssatz: Vieles ist ungeklärt, wie etwa das administrative Unterstützungspersonal, das offen­sichtlich nicht wirklich ankommt, und vieles anderes mehr.

Die Hausaufgaben haben Sie aus meiner Sicht nicht erledigt, ich glaube, da wäre noch ein bisschen Nachsitzen fällig. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Leinfellner.)

9.23

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin.