12.06

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuseherInnen und ZuhörerInnen! Der Sozialbericht 2019 ist ein Bericht aus einer versunkenen Zeit, nicht lange her, aber die Rahmenbedingungen waren gegenüber der heutigen Zeit so unterschiedlich, dass man nur sagen kann: Es wäre schön, wenn wir heute nur die Prob­leme hätten, die im Rückblick dieses Sozialberichts registriert sind.

Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, vor allen Dingen auf den Arbeitsmarkt. 2018 hatten wir ein Rekordniveau der Beschäftigung, 2020 haben wir ein Rekordniveau der Arbeitslosigkeit. 409 000 Menschen sind arbeitslos, und Arbeitsministerin Aschbacher wollte in ihrer letzten Presseaussendung darin tatsächlich einen positiven Trend am Arbeitsmarkt erkannt haben, und das mit dem Wissen, dass die Arbeitslosigkeit im Herbst und Winter noch weiter steigen wird. Ganz ehrlich, dieses Schönreden hilft keinem und keiner, die jetzt die Arbeit verlieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist eine Erzählung der ÖVP, sie habe alles im Griff, es sei alles gut und sie wüsste, wie es funktioniert. Bei den Menschen funktioniert das nur leider nicht mehr. Die Realität der Menschen ist eine ganz andere, sie nehmen das Scheitern dieser Regierung und nicht den Erfolg wahr. Gerade für den Arbeitsmarkt gibt es keine wirksamen Konzepte. Auch das ist ganz klar. Es gibt keine Antworten auf die drängende Frage der Bekämp­fung der Arbeitslosigkeit. Sie haben sieben Monate Zeit gehabt, um Konzepte auf die Beine zu stellen. Was kam, das waren lediglich Ankündigungen. 700 Millionen Euro sind wunderbar, es ist aber einfach nur die Aufstockung der Arbeitsmarktmittel, es ist nur more of the same, das Gleiche wiederholt. Es wurde nichts Neues aufgesetzt. Um von Arbeitsmarktstiftungen zu reden, müsste man schon wissen, was eine Stiftung ist. Eine Stiftung ist nämlich etwas ganz anderes als eine ganz normale Arbeitsmarktmaßnahme, da braucht es wirklich ein Stiftungskonzept mit allem, was dazugehört, mit Zielgruppen, mit wirklichen Maßnahmen. Darum geht es! (Beifall bei der SPÖ.)

Bis heute ist unverständlich, warum man die Sozialpartner nicht in die Planung ein­ge­bunden hat. Die ungeheure Expertise der Gewerkschaft, die so viel Erfahrung mit Stiftun­gen hat, lässt man einfach links liegen. Es scheint so, als würde man Sozialpartnerschaft gerne à la carte leben: Dort, wo man sie brauchen kann – wie etwa bei der Kurzarbeit –, holt man sie. Da hat man sie dringend gebraucht. Wo man sie nicht brauchen kann, da macht man alleine weiter. So wird man nicht zum Erfolg kommen, schon gar nicht für die Men­schen, die ihre Arbeit verloren haben oder die Angst haben, die Arbeit zu verlieren.

Die Situation ist dramatisch und ganz schlimm. Wir haben gestern mitbekommen, wie Swarovski in Wattens Kündigungen ausgesprochen hat, nämlich in Form einer digitalen Eventshow mit einer großen Tafel, auf der grün hinterlegt die Namen jener Personen gestanden sind, die ihre Arbeit behalten, und rot hinterlegt die Namen jener, die ihre Arbeit verlieren. Also das ist wirklich keine arbeitnehmerfreundliche Art, mit Menschen umzugehen, das ist wirklich unwürdig. (Beifall bei der SPÖ.)

Ziel muss es sein, und das fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass 2021 das Niveau der Arbeitslosigkeit wieder auf dem Stand von vor der Coronakrise ankommt – koste es, was es wolle.

Das Arbeitsrecht ist ein wesentlicher Teil dieses Sozialberichts, besonders deshalb, weil ja in der betreffenden Legislaturperiode eine Erhöhung der gesetzlich möglichen Arbeits­zeit beschlossen wurde, und zwar auf 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche. Die türkis-grüne Regierung hat nicht daran gerüttelt, hat das nicht zurückgenommen. 

Wir haben damals schon gewarnt und gesagt: In guten Zeiten kann das klappen, doch es ist trotzdem schlecht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. – Aber wenn wir jetzt in einem so stark belasteten Arbeitsmarkt erleben, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 12 Stunden arbeiten müssen, weil sie sich gar nicht zu sagen trauen, dass sie nicht mehr können, weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, dann wissen wir, was Sie mit diesem Gesetz angerichtet haben. All jene, die damals zugestimmt haben, können sich die Auswirkungen jetzt live anschauen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Rösch: Im Sozialbericht ...!)

Die Frage der jungen Menschen ist für uns ganz essenziell, denn diese sind ganz stark betroffen. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) – Natürlich steht es drinnen! (Bun­desrat Rösch: Was steht drin?) Ich kann zur Neugestaltung der Arbeitszeit, Seite 51, ganz einfach zitieren: „Auswirkungen in der Praxis

Von den Arbeitsinspektoraten werden seit der Ausweitung der zulässigen Grenzen der Höchstarbeitszeit wie zu erwarten deutlich weniger Überschreitungen der Höchstarbeits­zeiten festgestellt.“ – Na no na net! Wenn nämlich die Arbeitszeit gesetzlich erhöht wird, wie sollen dann Überschreitungen festgestellt werden? Das ist ja schon fast lachhaft! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Rösch: Was ist mit den 12 Stunden?)

Für uns ist wichtig, wie es den jungen Menschen geht, und zwar all jenen, die jetzt die Arbeit verloren haben und Perspektiven brauchen. Wir wollen keine verlorene Gene­ration, und wir wollen auch nicht, dass ältere Menschen ihre Arbeit verlieren und keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Da braucht es wirklich Stiftungen, und zwar besonders für jene älteren MitarbeiterInnen, die vor der Kündigung stehen oder bereits gekündigt sind. Sie haben keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. 409 000 Menschen sind ohne Beschäftigung, und es gibt 66 000 freie Stellen. Das kann nicht funktionieren! Da muss man eingreifen. Da muss man das Arbeitslosengeld erhöhen. Ich habe von Kolle­gen Lackner gehört, dass das geplant ist. Wir warten ganz dringend darauf und hoffen, es kommt ganz, ganz rasch. (Beifall bei der SPÖ.)

Eine Gruppe liegt mir ganz besonders am Herzen und, wie ich glaube, allen Frauen, die jetzt hier im Saal sind: Die Situation der Frauen ist ganz, ganz schwierig. Sie sind be­sonders von der Arbeitslosigkeit betroffen. Die Rate arbeitsloser Frauen geht wesentlich weniger zurück als jene der Männer. Es geht etwa um die Betreuungsproblematik: Die Sonderbetreuungszeit wurde zwar ausgeweitet, aber es besteht noch immer kein Rechtsanspruch darauf. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Frauen feststellen, dass die Situation für sie jetzt ganz schwierig ist. Sie fürchten sich enorm davor, aus dem Arbeits­markt gedrängt zu werden. In diesem Zusammenhang gilt es Maßnahmen zu setzen. Mindestens 50 Prozent der AMS-Mittel werden für Frauen benötigt, um die Frauen nicht in die Rollenbilder der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückzubeamen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Herr Bundesminister, ich würde Sie ganz herzlich darum bitten, auf noch eine Gruppe zu achten, nämlich auf die Menschen mit Behinderung. Sie gehören oft zu den Risiko­gruppen und haben es auf dem Arbeitsmarkt ganz besonders schwer, besonders jetzt in der Coronazeit. Herr Bundesminister, geben Sie den Menschen mit Behinderung eine Stimme! Die Expertise in Ihrem Haus ist vorhanden, auch das ist ganz wesentlich. (Bei­fall bei der SPÖ.)

In dem Bericht ist natürlich auch die Strukturreform in der Sozialversicherung –bezie­hungs­weise, übersetzt: die Selbstverwaltung durch die Versicherten wurde zerstört – angeführt. Wir sehen jetzt, wie gut das Gesundheitssystem in Österreich ist, wie gut die Selbstverwaltung gearbeitet hat. Sie haben sich aber entschieden, diese Selbstver­wal­tung abzuschaffen und die Österreichische Gesundheitskasse in die Hand der Wirt­schafts­vertreter zu legen. Auch das wurde von Türkis-Grün nicht zurückgenommen. Es ist dies eines der größten Zentralisierungsprojekte, die wir kennen. Eigentlich war es Ihre Intention, zu dezentralisieren, um die Regionen zu stärken. Mit dieser Sozialversiche­rungsreform haben Sie allerdings zentralisiert, und zwar in ganz großem Ausmaß. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt: Beste Gesundheitsversorgung für alle Menschen und nicht nur für die, die viel Geld im Geldbörsel haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Armutsbekämpfung ist auch ein wichtiger Punkt. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz war ein schlechtes Gesetz. Es wurde in weiten Teilen vom Verfassungsgerichtshof auf­gehoben und noch nicht repariert. Die Zahl der SozialhilfebezieherInnen ist groß und wird weiter steigen, das ist ganz selbstverständlich. Es trifft jetzt viele Gruppen, die niemals gedacht hatten, dass sie Sozialhilfe beziehen müssen. Wir müssen die Men­schen absichern, dass sie nicht ins Bodenlose fallen. Es braucht eine gute Versorgung all jener, die armutsgefährdet sind. Besonders die Langzeitarbeitslosen sind dies­bezüg­lich ganz stark gefährdet. 157 000 Menschen sind langzeitarbeitslos, und wir wissen, dass besonders die Kinder in Haushalten von Langzeitarbeitslosen die Härten der Armut spüren. Das wollen wir auf keinen Fall! Der Familienhärtefonds gestaltet sich jetzt so, dass ein Drittel der AntragstellerInnen ihre Leistung noch immer nicht erhalten hat. So hilft man nicht in dieser schweren Zeit! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um die Bedeutung des Sozial­staates und des Sicherheitsnetzes für die Menschen, die keine Reichtümer besitzen. Jeder muss sich darauf verlassen können, dass dieses Netz hält und dass es nicht löchrig wird, wenn man krank wird, wenn man arbeitslos wird, wenn das Schicksal zuschlägt und wenn man alt wird. Darauf bestehen wir. Das wird die Zielrichtung sein: Den Sozialstaat ausbauen und stärken und den Menschen Sicherheit geben. (Beifall bei der SPÖ.)

12.16

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Herr Bundesrat Ing. Bernhard Rösch ist der nächste Redner. – Bitte, Herr Bundesrat.