17.48

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr ge­ehrter Herr Bundeskanzler! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte ZuseherInnen, auch via Livestream! Eine Dringliche Anfrage zum Thema Bildung von der FPÖ – da habe ich mir zuerst verwundert gedacht: Oje! Ich denke mit Schaudern daran, was zu Ihrer Regierungszeit an Bildungsvorschlägen gekommen ist. Ich denke beispielsweise nur an die Deutschförderklassen, die jetzt zum Glück vor dem Verfassungsgerichtshof nicht standhalten. (Bundesrätin Schartel: Die sind super, die haben sich bewahrheitet!)

Deshalb war das Thema Bildung und FPÖ immer so ein Auslöser für Bauchweh. (Zwi­schenruf des Bundesrates Ofner.) Dann aber habe ich mir gedacht: Gut, über Bildung zu reden ist immer gut. Jeder Anlass, über Bildung zu reden, ist gut, und wir haben auch eine kleine Schnittmenge, denn auf die Kinder und Jugendlichen zu schauen und die Bildung in den Vordergrund zu rücken, da haben wir, glaube ich, eine gemeinsame Ba­sis.

Ich möchte tatsächlich mit einem Lob beginnen, nämlich (Bundesrat Schennach: Ui!) – ja, man höre und staune: mit einem Lob! – an Sie, Herr Bildungsminister Faßmann, da­für, dass Sie – und ich nehme Ihnen das tatsächlich ab – alles tun und sich redlich be­mühen, damit der Schulbetrieb, der Bildungsbetrieb stattfinden kann. Das muss auch das Ziel sein. Ich habe das Gefühl, es ist auch unser gemeinsames Ziel, dass Schülerin­nen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer ehestmöglich wieder an die Standorte zu­rückkehren können, aber – und das ist unser Unterschied zur FPÖ – unter sicheren Rahmenbedingungen für alle, die dort sind. – Das ist das große Ziel und ich habe den Eindruck, dass Sie daran arbeiten.

Ich hätte Ihnen aber nach dem Lob auch ein bisschen mein Mitleid ausgesprochen, weil ich immer das Gefühl habe, dass Sie, wenn Sie einen Zeitplan und ein Konzept vorlegen, vom eigenen Kanzler und den anderen Regierungsmitgliedern sozusagen ausgespielt werden. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Man hat diesen Eindruck, dass die Entscheidungen im Bildungsbereich doch zweitrangig sind. Bildung ist so ein bisschen eine Verschubmasse, und damit auch das Schicksal der Kinder und Jugendlichen in Österreich. Dass man damit nicht spielen kann und nicht spielen darf, das muss einem einfach bewusst sein. Diese Ernsthaftigkeit kann ich dieser Regierung aktuell nicht zu­sprechen. Ich vermisse diese Ernsthaftigkeit, was Kinder und Jugendliche und deren Bedürfnisse betrifft. Deshalb sind wir in diesem Bereich auch einigermaßen kritisch.

Ich möchte im dritten Schritt, nach dem Lob und dem Mitleid, doch auch anmerken, dass es in der letzten Zeit wirklich gravierende Hoppalas und schwierige Entscheidungen gab, was den Bildungsbereich betrifft, nämlich: Öffnungstermine anzukündigen, Schulen zu öffnen, Schulen zu schließen, Selbsttests anzukündigen, die dann nicht ankommen, und so weiter. Viele von diesen Dingen waren vorhersehbar. Es war schon im Sommer vor­hersehbar, dass der Herbst wieder eine schwierige Situation bringt, dass irgendwann Tests kommen werden, dass irgendwann hoffentlich eine Impfung kommt. Man hätte das vorausschauend besser vorbereiten müssen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schen­nach: ... ist Mitleid ein bisschen viel!)

Vieles davon war absehbar und es hätte eine bessere Planung gebraucht. Die Bildung ist eigentlich ein Sinnbild oder ein trauriges Beispiel dafür, wie oft diese Regierung in den letzten Monaten planlos und strategielos agiert hat – das muss man schon auch so sagen dürfen (Beifall bei der SPÖ) –, und dass Kinder und Jugendliche als SchülerInnen, auch die Eltern, die daran hängen, und die PädagogInnen, die daran hängen, die Leidtra­genden sind und mittlerweile einen großen Leidensdruck erleben, das ist klar.

Herr Kanzler, Sie haben vorhin von der Abwägung der verschiedenen Bedürfnisse ge­sprochen. Wir sind uns dessen auch bewusst, dass im Moment viele verschiedene Be­dürfnisse im Raum stehen und es schwierig ist, zu entscheiden, was Priorität hat und was jetzt am dringendsten ist. Aber: Kinder und Jugendliche leiden still, und Kinder und Jugendliche verschaffen sich nicht so leicht Gehör wie eine Wirtschaftslobby und andere Lobbys. Daher ist es unser dringendes Anliegen als Sozialdemokratie, dieser Zielgruppe politisch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, sie wirklich mitzudenken und ihre Bedürf­nisse ernst zu nehmen.

All das, was wir gestern von der Kinder- und Jugendpsychiatrie gehört haben, verstärkt diesen Eindruck, dass man lange die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen weg­ignoriert hat, denn diese Situation der Triage, die jetzt anscheinend auf den Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrien stattfinden muss, hat sich über Monate aufgebaut. Die massiven psychischen Belastungen sind ein Produkt von mehreren Faktoren und kommen nicht von einem Tag auf den anderen, sondern beweisen diesen Leidensdruck, der über viele Wochen und Monate entstanden ist. Wir haben öfter davor gewarnt, dass das kommen wird. Wir sind jetzt an diesem Punkt, den wir nicht wollten, dass Jugend­liche – ich habe es heute Vormittag auch schon Ministerin Raab als Familien- und Ju­gendministerin mitgegeben, Sie müssen das jetzt leider noch einmal hören, aber es ist wichtig –, die suizidgefährdet sind oder Essstörungen oder Angststörungen haben, jetzt wieder nach Hause geschickt werden müssen, in die Familien.

Das können wir alle nicht wollen, und deshalb braucht es mehr als die bisherigen Maß­nahmen. Es braucht ein Paket für Kinder und Jugendliche, und da ist die Bildung ein Teil davon, aber es braucht rundherum noch mehr Begleitmaßnahmen, um diese Zielgruppe abzufangen.

Es gibt noch einen Punkt, den ich Ihnen mitgeben möchte: Unter Stress kann man nicht lernen, umso weniger, je größer die Anspannung in den Familien ist, je größer die An­spannung der Eltern ist, die arbeitslos sind, die Existenzsorgen haben. Mit einem Ar­beitslosengeld von 50 Prozent kann man kein stressfreies Leben führen, daher muss ich jetzt anbringen, dass die Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70 Prozent Stress aus den Familien nehmen würde, und man kann nur lernen und sich bilden, wenn man ein stressfreies Umfeld hat. Alle, die in der Pädagogik, in der Bildung arbeiten, wissen, was das heißt. Auch diese Maßnahmen helfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass nun Schichtbetrieb geplant ist, dass Lehrerinnen und Lehrer Selbsttests machen können, auch die Schülerinnen und Schüler, dass es Förderprogramme gibt: All das ist prima, all das unterstützen wir, all das hätten wir uns schon früher gewünscht, all das war vorhersehbar – das muss ich noch einmal betonen.

An einem Beispiel muss ich jetzt noch dieses Thema der Planlosigkeit, der Strategielo­sigkeit festmachen – Herr Minister Faßmann, Sie werden schmunzeln, da ich es jedes Mal, wenn Sie hier sind, wieder nicht auslasse –, es ist das Thema der Elementarbildung. Die Elementarbildung, muss man wissen, ist meistens das Anhängsel der Schule, und das ärgert die Beschäftigten in diesem Bereich. Die Elementarbildung hatte aber jetzt immer offen und hat zurzeit eine Auslastung zwischen 70 und 80 Prozent. Das ist ein großer Unterschied auch zum Schulbetrieb, darum darf man diesen Bereich nicht als Anhängsel betrachten und darum braucht er mehr Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Am Sonntag war der Tag der Elementarbildung. Wer die Medien verfolgt hat, hat es spüren können: Es regt sich enormer Unmut in dieser Berufsgruppe, es brodelt. Das hat mit langgehegten Forderungen zu tun, was die Rahmenbedingungen in diesem Berufs­feld betrifft, aber auch mit der konkreten Angst, sich in der Arbeit anzustecken.

Ich hatte gestern ein Zoom-Meeting mit den großen Trägern von privaten Kinderbil­dungseinrichtungen, die sagen – in den Bundesländern ist es wieder einmal extrem un­terschiedlich –, diese Selbsttests sind noch nicht angekommen. Es gibt Bundesländer, da werden die KollegInnen aufgefordert, zur nächsten Teststraße zu fahren, die mitunter eine Dreiviertelstunde weg ist, und das zweimal in der Woche, möglicherweise während der Dienstzeit. Man kann sich nicht vorstellen, was das im laufenden Bildungsbetrieb bedeutet! Das heißt, die Elementarbildung muss in den Fokus genommen werden. Ich weiß, es gibt die Kompetenzverteilung, aber man kann als Regierung Dinge anleiern und in den Fokus nehmen.

Herr Minister, da Sie heute hier sind, noch ein Wort zu diesem Elementarpädagogikbeirat im Ministerium, über den wir alle sehr froh sind, dass er installiert wurde: Es gibt enorme Erwartungen an dieses Gremium, das sollte Ihnen bewusst sein. (Zwischenruf des Bun­desrates Schennach. – Bundesrätin Schumann: Ohne Beteiligung der Sozialpartner!) – Korinna, ich komme noch dazu.

Das, was ich dort beobachte, ist, dass dieses Gremium zurzeit mit der Sammlung von Zahlen, Daten und Fakten beschäftigt wird. Das könnte parallel ein wissenschaftliches Institut machen, damit diese Zahlen, Daten, Fakten auch vergleichbar werden. Jetzt wer­den oft verschiedenste Informationen zusammengetragen, die nicht vergleichbar sind, also das sollte jemandem in die Hand gegeben werden. Das, was dieser Beirat machen muss, ist, gemeinsam mit den Ländern und den Stakeholdern Ziele zu formulieren, wo konkret Verbesserungen in diesem Bereich stattfinden sollen, und eine gemeinsame Strategie, wie man dorthin kommt. Dafür muss die Zeit in diesem Beirat verwendet wer­den – das wünsche ich mir.

Wir haben in der Krise auch gelernt, Herr Kanzler – auch Sie –, dass die besten Lösun­gen entstehen, wenn man die Sozialpartner einbindet. (Beifall bei der SPÖ.)

Darum meine dringende Empfehlung: Nehmen Sie die Sozialpartner in diesen Beirat auf – keine Angst davor, die Forderungen in diesem Bereich sind unter den Sozialpart­nern zu 95 Prozent ident –, und man könnte viel rascher zu den Lösungen kommen, die es da braucht!

Damit die KollegInnen in den Einrichtungen ihre Arbeit tun können, sicher tun können, damit die Bildungsorte sichere Orte sind, braucht es aber flächendeckend und jetzt praktikable Tests vor Ort und rasch die Impfung.

Ich habe deshalb einen Entschließungsantrag mitgebracht, den ich einbringen möchte:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Priorisierung der Impfung von PädagogInnen“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Gesundheit, Soziales, Pfle­ge und Konsumentenschutz“ – aber bitte auch Sie beide (in Richtung Bundeskanzler Kurz und Bundesminister Faßmann) – „wird aufgefordert, die PädagogInnen und das Personal an Bildungseinrichtungen in der Impfreihenfolge zu priorisieren und so sicher­zustellen, dass diese ehestmöglich geimpft werden können.“

*****

Das ist die Grundlage dafür, dass die Schulen und die Bildungseinrichtungen allesamt sicher geöffnet werden können. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein letztes Thema habe ich noch – an einem Tag wie heute kann man nicht zur Tages­ordnung übergehen, ohne es anzusprechen, auch das habe ich heute Vormittag schon gemacht, ich muss es noch einmal tun –: Neben der Strategielosigkeit, der Planlosigkeit ist am heutigen Tag auch die Herzlosigkeit so relevant, Herr Bundeskanzler, auch einzel­nen Schülerinnen und Schülern gegenüber, Kindern gegenüber.

Es wurden heute Nacht – um 3 Uhr nachts! – wirklich gut integrierte Familien, gut inte­grierte Schüler und Schülerinnen von Heerscharen an Sicherheitskräften abgeholt, mit Hunden, mit Munition. (Bundesrat Seeber: Wir haben einen Rechtsstaat!) Mir an Ihrer Stelle wäre so richtig schlecht. (Bundesrat Seeber: Wir haben einen Rechtsstaat! – Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Ja, aber wir haben auch eine humanitäre Verpflichtung, schutzlosen Menschen Schutz zu gewähren und da humanitäres Bleiberecht einzuset­zen. Da würde Ihnen kein Zacken aus der Krone fallen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundes­rätin Schumann: Das ist ein Unrechtsstaat, Seeber!)

Zuzusehen, wie Kinder im Dreck liegen, in Bosnien, in Griechenland: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Entscheidungsträger, der das in seiner Amtsperiode mitansehen muss, gut schlafen kann. Ich würde mir da mehr Menschlichkeit wünschen. Sie sagen immer wieder, es muss Hilfe vor Ort geleistet werden, aber die Hilfe kommt offensichtlich nicht an. Wir sehen jeden Tag die Bilder: Die Kinder frieren, die Kinder liegen im Dreck, und solange das so ist, müssen wir schauen, dass sie von dort in Sicherheit gebracht werden. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Novak: Da trauen sich die Grünen nicht zu klatschen! Oder dürfen sie nicht?)

Sie haben einmal erschreckenderweise gesagt, Herr Bundeskanzler, es wird nicht ohne scheußliche Bilder gehen. Heute ist so ein Tag. Ich habe so ein scheußliches Bild mit­gebracht (ein Bild, auf dem winkende Kinder zu sehen sind, in die Höhe haltend): Kinder, die an ihrem Fenster winken, SchülerInnen, die ihre MitschülerInnen verabschieden müssen. Ich möchte Ihnen das für Ihre scheußlichen Bilder mitgeben. (Die Rednerin legt das Bild vor Bundeskanzler Kurz auf die Regierungsbank.) Ich hoffe, dass es das letzte scheußliche Bild ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Zurück nach Österreich: In unserer Verfassung steht, das Wohl der Kinder ist vorrangig zu behandeln. Dafür haben wir die Kinderrechte in den Verfassungsrang gehoben. Damit das endlich passiert, müssen Sie, Herr Kanzler, müssen Sie, Herr Minister, und alle an­deren Regierungsmitglieder dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche politisch Thema sind, politisch Aufmerksamkeit bekommen, dass die Schulen ehestmöglich sicher öffnen können und dass Kinder und Jugendliche gut durch diese Krise begleitet werden. Das wünsche ich mir von einem Kanzler, das wünsche ich mir von einer Regierung. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

18.04

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Der von den Bundesräten Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Priorisierung der Impfung von PädagogInnen“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Ver­handlung.

Ich darf unseren Bundesminister Alexander Schallenberg im Bundesrat begrüßen. – Grüß Gott! (Beifall bei der ÖVP sowie bei BundesrätInnen von SPÖ, FPÖ und Grünen.)

Eine weitere Wortmeldung liegt mir vor: Bundesrat Andreas Arthur Spanring. Ich erteile das Wort.