19.32

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Au­ßenminister! Der Weihrauch, den Sie hier jetzt verströmt haben, ist einer parlamentari­schen Anfragebeantwortung unwürdig. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir werden Ihnen daher diese Anfrage noch einmal zur schriftlichen Beantwortung über­reichen. Da können Sie dann den Weihrauch, den Streuselzucker, den Honig und alles andere weglassen, um die Fragen vielleicht einmal im Kern zu beantworten, denn mit Ihrem seltsamem Verständnis von Information und Aufklärung haben diese erbärmlichen Videos nichts zu tun. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben sogar den armen Guterres mit ins Spiel gebracht, wobei man vor lauter Weih­rauch nicht wusste, ob Guterres Ihre Videos befürwortet hat oder ob Sie sich ganz schnell einmal hinter dem UN-Generalsekretär versteckt haben.

Vielleicht zum Mitschreiben, Herr Minister: Wien ist nicht Hiroshima, Graz und Linz sind nicht Nagasaki. Wenn Sie einen Themenwechsel brauchen, weil ja sogar „Der Spiegel“, über die „Symptome gravierenden Systemversagens“ bei der österreichischen Bundes­regierung schreibt, dann nehmen Sie etwas anderes zum Anlass, um diesen Themen­wechsel herbeizuführen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Sie zu einem Feiertag der Menschlichkeit, weil nämlich endlich genügend Ratifizierungen für den Atomwaffen­sperrvertrag vorhanden sind, so einen Nonsens produzieren lassen, einen Nonsens, der erbärmlich ist, der unverantwortlich und unfassbar ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben ja auch über New Start geredet. Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass Biden und Putin etwas retten konnten, den letzten Bereich dieser Verträge, dieser INF-Verträge, der ja nur ein Einfrieren, aber keine Abrüstung bedeutet. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn der Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons Österreich in einer anderen Weise zur Kenntnis gebracht worden wäre als in dieser Art, wie Sie es in einer Zeit gemacht haben, in der so viele Ängste kursieren.

Hören Sie auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Kinder- und Jugendheilkunde, die nicht mehr wissen, wie sie mit verängstigten Kindern umgehen sollen! Das geht bis zu Suizidgedanken. Und da produzieren Sie solche Videos, die natürlich im Social Web zu sehen sind, die die Ängste, die diese Kinder haben, verstärken. Mittlerweile reichen die Plätze auf den Stationen der Spitäler nicht mehr aus, egal, ob in Innsbruck oder in Wien. Das ist unverantwortlich, Herr Minister! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätIn­nen der FPÖ.)

Alleine die Aussage: in Wien 230 400 Tote, 505 000 Verletzte. – Was macht denn das mit Kindern, die keine Chance haben, mit ihren Lehrern und Lehrerinnen darüber zu reden, die keine Chance haben, mit ihren Mitschülern und Mitschülerinnen darüber zu reden, die keine Chance haben, außer zu Hause zu sitzen und dümmliche Videos in sich hineinzufressen? Das geht nicht, Herr Minister! Da können Sie Geschichten erzählen, wie Sie wollen! (Beifall bei der SPÖ.)

Mehrere Redner und Rednerinnen haben heute ihre Erschütterung darüber kundgetan, was gestern in der Nacht in Wien passiert ist: Zwei vollständig integrierte junge Mädchen werden um 3 Uhr in der Früh abgeschoben – ein Gesundheitsminister, der früher einmal noch Unterschriften gegen so etwas gesammelt hat, weint im Nachhinein Krokodilsträ­nen darüber. Auch der Bundespräsident sagt, es ist unfassbar, in welchem Staat wir leben. Das ist unfassbar und nicht zu akzeptieren, und ich hoffe sehr, dass die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits auf dem Weg ist und dass diese Regierung gezwungen wird, diese Mädchen aus Jerewan wieder nach Österreich zurückzuholen. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben vorhin mit wahnsinnig viel Weihrauch über internationale Verträge und Kon­ventionen gesprochen. Sie wissen es ganz genau – und sagen Sie nicht, dass Sie es nicht wissen –: Es wurden heute Nacht der Artikel 2 und der Artikel 3 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes in brutalster Weise durch Österreich verletzt. Und das reicht aus, um eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenreche zu begrün­den. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht aber noch weiter. Auch das kann man, wenn man heute verdienstvolle Blogs und Kommentatoren liest, sagen. Ein Vorarlberger Blogger schreibt von Impfdosen statt Angst. Da wird dann im Umkehrschluss geschrieben: Heute Nacht haben wir gezeigt, abschieben können wir besser, als die Menschen in unserem Land impfen. – Zitatende. Das ist eine Schande! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe Ihnen hier schon einmal vom Rednerpult aus eine Frage zu Black Lives Matter gestellt und ob Sie endlich eine Position dazu einnehmen. Sie können das im Steno­graphischen Protokoll nachlesen. Sie haben sich gewunden, weil Sie einen Fototermin von Trump mit Kurz brauchten, und deshalb waren Sie hier so vorsichtig. (Beifall bei der SPÖ.)

Auch bei Ungarn und Polen haben Sie sich in einer früheren Sitzung schon herausge­wunden. Sie haben es auch heute getan. Ich habe gesagt, Herr Außenminister, hören Sie mit dem Feixen mit Ihrem Amtskollegen aus Ungarn auf, so wie Sie auch die Fotos gezeigt haben. Das gehört sich nicht!

Ungarn bricht alle rechtsstaatlichen Levels, die es in der Europäischen Union gibt, und Sie sind da das wichtigste Bindeglied. In Polen gibt es die Situation, dass Frauen zu Tausenden das Land verlassen, um Abtreibungen durchführen lassen zu können. Das geht nicht mehr.

Ich war Leiter der polnischen Wahlbeobachtungsmission, und ich war sehr überrascht, dass die Frau und die Tochter des Präsidenten ihren Mann beziehungsweise ihren Vater nicht unterstützt haben. Am meisten hat mich dann fasziniert, wie die Tochter vor die Kamera getreten ist und gesagt hat: Polen muss wieder ein Land werden, wo man keine Angst hat, wenn man eine andere Religion hat als die katholische, und wo man nicht aus Liebe das Land verlassen muss.

Herr Außenminister, Sie fühlen sich ja in den Visegrádstaaten unheimlich wohl. Das be­kommen wir mit. Manchmal hat man das Gefühl, diese österreichische Bundesregierung ist zur führenden Regierung für die Visegrádstaaten geworden. Das ist der Irrweg Ihrer Außenpolitik, das ist der Irrweg dieser Bundesregierung. Da kann man auch zu den Grü­nen sagen: Mischt euch außenpolitisch endlich einmal ein und mischt euch humanitär ein, und nicht erst dann, wenn es zu spät ist! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie sagen, Sie kennen die Bilder aus Kara Tepe, Sie kennen die Bilder vom Camp Lipa in Bosnien. Trotzdem wiederholen Sie hier Zahlen, Herr Außenminister, die beim Fakten­check, als sie Bundeskanzler Kurz präsentiert hat, bereits als unrichtig herausgearbeitet wurden. Sie wiederholen genau die dem Faktencheck nicht standhaltenden Zahlen heu­te in einer Dringlichen Anfrage. Wir werden diese Zahlen in der schriftlichen Version unserer Anfrage genauer mit Ihnen durchgehen, und dann können Sie sich nicht auf die unrichtigen Zahlen des Bundeskanzlers verlassen, weil Sie dann als Außenminister die­se Anfrage schriftlich beantworten müssen.

Was nun Bosnien betrifft: Also ich habe mit der Generalsekretärin des Europarates, die Kroatin ist, gesprochen, vor allem über die Vorgänge bei der kroatischen Grenzpolizei. Da werden Flüchtlinge brutalst bestohlen. Da werden Flüchtlinge misshandelt, zu Boden geworfen. Es werden ihnen die Schuhe ausgezogen – in dieser Jahreszeit! –, es werden ihnen die Schuhe geraubt – als ob gerade Flüchtlinge so tolle Schuhe hätten –, es wer­den ihnen regelmäßig, in immer wiederkehrenden Abständen, die Handys geraubt. Die Grenzpolizei der Kroaten entwickelt sich zu einer Räubertruppe.

Wenn man da sagt: Wir haben das alles im Auge!, dann stimmt das nicht. Sie wissen auch, dass man die Flüchtlinge vom Camp Lipa in Busse gesetzt hat. 28 Stunden hat man diese verschreckten Flüchtlinge sinnlos durchs Land gekarrt, um sie dann, nach 28 Stunden, dort wieder hinauszuschmeißen, wo man sie am Anfang eingesammelt hat­te. Das geht so nicht!

Da ich nicht so sicher bin, Herr Außenminister, dass Sie wirklich all diese Berichte ein­gefordert haben, was zum Beispiel Bosnien betrifft, übergebe ich Ihnen hier (ein Bündel Schriftstücke auf die Regierungsbank legend), sehr nett mit einer Masche verschnürt, eine Wochenendlektüre, die Ihnen vielleicht doch ein wenig Nachdenken bereiten wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Möglicherweise haben Sie sich mit den Kurzberichten begnügt. Das sind keine Kurzbe­richte, das ist die umfassende Sammlung. Es wäre nicht gut, Herr Außenminister, wenn Sie diesen Stoß an erschreckenden Tatsachen, die international gesammelt wurden, einfach in den nächsten Mülleimer werfen würden. Damit würden Sie uns herausfordern, auch dazu Detailfragen zu stellen. Wir haben noch eine Kopie davon. Dann werden wir sehen, ob wir entsprechende Antworten bekommen.

Insgesamt geht es nur darum, davon abzulenken, dass einer Ihrer besten Freunde, der Herr Bundeskanzler, in Bezug auf seine Beliebtheitswerte im Land arg ins Straucheln kommt, dass die Regierung auch im Ausland als Systemversager dargestellt wird.

Da kommt jetzt noch dazu: Wenn die ÖVP nun im Ibiza-Ausschuss wegen der Aussagen strauchelt, betreffend BVT unter Druck kommt, dann ist das alles kein Zufall, dann sind die Videos kein Zufall, dann sind die Abschiebungen von heute Nacht kein Zufall. Sie versuchen mit aller Gewalt, was es auch kostet, einen Themenwechsel herbeizuführen. Die ÖVP ist in der Sackgasse, und das ist eindeutig.

All das, was Sie gemacht haben, wirft die Frage nach dem Sinn auf. Frau Schumann hat bei der Begründung ihrer Anfrage gesagt: Was ist der Sinn? – Der Sinn der Unmensch­lichkeit von heute Nacht, der Sinn eines Nonsens- und Unfugvideos und von allem an­deren ist, dass Sie einen innenpolitischen Themenwechsel wollen. Da hauen Sie alles in die Pfanne, selbst das Befinden der Kinder, wenn sie das sehen.

Deshalb werden wir Sie da nicht so herauskommen lassen. Wir garantieren Ihnen: Sollte die Beantwortung der schriftlichen Anfrage in einer ähnlichen Weise wie die heutige von Weihrauchflecken durchtränkt sein (Heiterkeit bei BundesrätInnen der SPÖ), dann wird es hier zu einer mündlichen Anfragebesprechung kommen. Das ist ein parlamentari­sches Recht, und ich kann Ihnen heute bereits sagen, dass das so passieren wird.

In diesem Sinne, Herr Außenminister: Ihr Auftritt heute war eine blanke Enttäuschung, Ihre Argumente waren vielfach blanker Hohn. Zum Letzten: Bedenken Sie, was Sie damit in einer Gesellschaft anrichten, in der durch die Pandemie bereits genug Angst herrscht: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst, die Liebsten im hohen Alter zu verlie­ren, Angst, Angst, Angst in jeder Hinsicht.

Diese Regierung ist ja nicht einmal fähig, das Arbeitslosengeld zu erhöhen. Wie soll sie denn dann fähig sein, zur Einsicht zu kommen betreffend dem, was Sie da angestellt haben? – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.47

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Eduard Köck. – Bitte, Herr Bundesrat.