12.10
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Geschätzte Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause! Die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Wien wird derzeit auf ungefähr 15 000 Personen geschätzt, davon sind ungefähr 8 000 aktive Mitglieder in der Religionsgemeinschaft. Wir haben das schon gehört.
Ich möchte heute zwei Persönlichkeiten ins Spiel bringen, die beide als Kinder gar nicht wussten, dass sie Jude oder Jüdin sind, und die das dann brutal in ihrer Kindheit in ihrem Umfeld zur Kenntnis nehmen mussten. Über eine dieser Personen ist vor ungefähr zwei Monaten ein Buch erschienen, und in diesem Buch wird das Leben und Wirken dieses Wieners beschrieben, und es wird geschildert, wie er dann erleben musste, dass er jüdischer Wiener ist.
Er hat in den 1940er-Jahren ungefähr 260 jüdische Kinder mit den sogenannten Kindertransporten aus Wien nach Amerika gerettet und wurde damit nicht nur der Retter dieser jungen Menschen, sondern er wurde auch so etwas wie eine Vaterfigur für diese Kinder. Die Überlebenden sind jetzt weit über 90 Jahre alt, die meisten von ihnen leben in den USA, und er selbst ist nie wieder nach Österreich zurückgekehrt. Er hat sich nicht willkommen gefühlt, er hat sich nicht eingeladen gefühlt, zurückzukommen, wie das so vielen widerfahren ist.
Erstaunlicherweise ist dieser Mann in Österreich gar nicht so bekannt. Es gibt wohl einen Gemeindebau in Wien, der nach ihm benannt ist, aber wahrscheinlich wissen die wenigsten der BewohnerInnen, warum dieser Gemeindebau diesen Namen trägt: Es geht um Ernst Papanek. Dieser sehr beeindruckende Mann ist in diesem neulich erschienenen Buch beschrieben, und ich möchte heute ausnahmsweise eine Leseempfehlung für dieses Buch aussprechen.
Das Interessante dabei ist: Die Autorin, eine junge Frau namens Lilly Maier, ist deshalb auf diese Geschichte gestoßen, weil sie an der Aktion „A Letter To The Stars“ teilgenommen hat. Sie werden sich vielleicht erinnern können: Das war eine ganz groß angelegte Mitmachaktion für Schulen, um eben mit solchen Biographien und Lebensgeschichten in Kontakt zu kommen. Und die Schülerin Lilly Maier war so beeindruckt von dieser Biographie, dass sie dann später dieses Buch darüber geschrieben hat. – So viel zum Thema Bewusstseinsbildung und der Konfrontation von Schülern und Schülerinnen damit.
Die zweite Person, die ich ins Spiel bringen möchte, ist Frau Susanne Bock. Sie ist eine liebe Bekannte von mir. Sie feiert am 13. Mai ihren 101. Geburtstag. Sie ist Wienerin und lebt in einem Pensionistenwohnheim. Derzeit ist sie sehr einsam und isoliert, erstaunlicherweise schreiben wir einander aber E-Mails. Susanne Bock musste 1938, am Tag nach ihrer Matura, Wien verlassen. Sie ist ins englische Exil gegangen, ist aber der Liebe wegen ein paar Tage nach Kriegsende wieder zurück nach Wien gekommen. Auch sie schildert, dass sie, entgegen ihrer Erwartung, dass man hier entschädigt oder willkommen geheißen wird, nicht recht willkommen war und dass das nicht geschehen ist.
Wenn sie aus ihrer Jugend erzählt, ist vor allem auch die Schilderung sehr einprägsam, wie sie erleben musste, dass sie eine jüdische Frau ist. Sie hat das so erlebt, dass sie in der Schule irgendwann in die letzte Reihe gesetzt wurde. Irgendwann gab es dann separate Klassen, und irgendwann wurde sie auf dem Schulhof von den Mitschülern mit Steinen beworfen. Dieses schrittweise Versetzen von Grenzen und dieses schrittweise erst verbal und dann in Taten Brutaler-Werden ist das, wovor sie mich immer warnt. Sie mahnt, dass wir diesbezüglich sehr achtsam sein sollen, denn Antisemitismus oder Faschismus kommen nicht mit einem Schlag, sondern Schritt für Schritt, und deshalb müssen wir wachsam sein. (Beifall bei der SPÖ sowie bei BundesrätInnen von ÖVP und Grünen.)
Zum Thema Wachsam-Sein: 2019 hat die Israelitische Kultusgemeinde rund 550 antisemitische Vorfälle in einem Jahr dokumentiert. Das sind doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren, und man geht davon aus, dass einige dieser Vorfälle aus Scham oder Resignation nicht einmal gemeldet oder dokumentiert werden. Daher geht es eben um dieses Wachsam-Sein und darum, solche Ereignisse zu dokumentieren und den Fokus darauf zu lenken. Es geht aber natürlich auch um ein Brücken-Bauen, um kulturübergreifende Aktivitäten und um die Begegnung zwischen Menschen und im Idealfall auch schon zwischen Kindern und Jugendlichen.
An dieser Stelle möchte ich zwei herausragende Institutionen erwähnen, die in diesem Bereich wirklich tolle Arbeit leisten: Die eine Institution ist das Jüdische Museum in Wien, mein Wiener Kollege hat es schon erwähnt. Übrigens gibt es dort aktuell eine Sonderausstellung unter dem Titel „Hans Kelsen und die Eleganz der österreichischen Bundesverfassung“. Auch das ist für uns sehr interessant. Als ursprüngliche Vorarlbergerin möchte ich aber auch das Jüdische Museum in Hohenems speziell erwähnen. Auch dort wird hervorragende Arbeit schon mit Kindergartenkindern und Schulkindern und wirklich extrem innovative Arbeit geleistet, wofür es europaweit hohe Anerkennung gibt.
Die antisemitischen Vorfälle nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa haben es notwendig gemacht, in Europa eine Antisemitismusstrategie zu entwickeln. Es liegt uns jetzt ein umfangreiches Werk mit 38 Maßnahmen dazu vor, was in Österreich in den nächsten Jahren geplant ist, um dem Antisemitismus entgegenzuwirken. Alle EU-Staaten sind aufgefordert, das zu tun. Österreich hat diese Strategie nun vorgelegt, und jetzt gilt es, das wirklich penibel und mit voller Energie abzuarbeiten, damit die jüdischen Menschen in Österreich eine sichere und blühende Zukunft haben, denn das muss in unser aller Interesse sein, und das ist unser aller Verantwortung. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
12.17
Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Als weiterer Redner zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Markus Leinfellner. Ich erteile es ihm. – Bitte.