13.51

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen, die alle heute auf ORF III mit dabei sind! Ich darf mit einem Zitat beginnen, das, glaube ich, die meisten von uns kennen: Non scholae, sed vitae discimus – also: Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben. Ich glaube, vermutlich noch zu keiner Zeit hat dieses abgewandelte Zitat von Seneca in diesem Ausmaß zugetroffen, wie es in den knapp 16 Monaten, die jetzt vergangen sind, der Fall war.

Die wiederholten Lockdowns und die damit verbundenen Schulschließungen ebenso wie der Schichtbetrieb haben im Grunde alle am Schulleben beteiligten Personen – ich möchte tatsächlich sagen – zu Höchstleistungen gebracht, ja, vielmehr bringen müssen: die Schülerinnen und Schüler, die sehr rasch lernen mussten, sich selbstständig oder zumindest weitgehend selbstständig zu organisieren, selbstständiger und eigenverant­wortlicher zu lernen und zu arbeiten, als dies bisher der Fall und nötig war. Sie haben Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien, mit Hardware und Software gleicher­maßen, in einer Geschwindigkeit erworben, wie das vermutlich noch kein Jahrgang vor ihnen geschafft hat.

Auch die Lehrkräfte haben der nötigen Umstellung auf den Unterricht von zu Hause aus rasch Rechnung getragen und vielfach neue Lehr- und Lernmethoden in ihren Schul­alltag integriert. So mancher hat einen eigenen Lernvideokanal entwickelt und aufge­baut; flipped classroom, inverted classroom und vieles mehr sind jetzt, glaube ich, keine Fremdworte mehr. Unterricht wurde während der Phase des Schichtbetriebs schon einmal live nach Hause gestreamt, so wie das auch in meiner Schule der Fall war, um auch wirklich alle Schülerinnen und Schüler live mit dabei haben zu können.

Die Schulleiterinnen und Schulleiter waren nicht minder gefordert, wie ich denke. Es gab immer und immer wieder Informationen des Ministeriums, die nicht oder viel zu spät eingetroffen sind, die gefehlt haben, um rechtzeitig und auch wirklich gut geplant reagie­ren zu können, zusätzliche administrative Aufgaben, wie das fast schon tägliche Inven­tarisieren der Antigentests zum Beispiel, das Warten auf Verordnungen und Erlässe oft bis sonntagabends, das Herstellen dann auch der grundlegenden Infra­struktur für das Homeschooling, das Arbeiten im Schichtbetrieb und nicht zu vergessen – und das ist, glaube ich, die schwierigste Aufgabe in diesen vergangenen 16 Monaten gewesen – das Aufklären, das Überzeugen, das Bilden eines Sicherheitsgefühls, denn – und das muss ich leider wirklich so sagen – seitens des Ministeriums war leider eher Verunsicherung an der Tagesordnung.

Die Eltern haben ebenfalls einen ganz wesentlichen Teil zum Gelingen dieser ver­schiedenen und ungewöhnlichen Situationen beigetragen. Hier im Hohen Haus haben wir das, glaube ich, wiederholt besprochen, auch die Mehrfachbelastungen, die es ge­geben hat, besonders für die Mütter. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam ge­macht.

Summa summarum waren das also knapp 16 Monate Ausnahmezustand für alle im Schulleben. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass Schule ein lebendiger, ein lebender Organismus ist, der eben nur gemeinschaftlich, also im Miteinander der ein­zelnen Beteiligten, wirklich bestehen und sich entwickeln kann. Da geht es nicht alleine um das reine Faktenlernen, um das Erlernen und Verstehen von Wissen und Fakten, sondern es geht auch um das soziale Lernen, das ganz essenziell ist, um das Bilden einer Klassengemeinschaft, um eine Form der Beziehungsarbeit, um einen Austausch mit den Peergroups, um das Erkennen der eigenen Fähigkeiten, natürlich auch im Vergleich mit den anderen, und vieles, vieles mehr.

Schule ist aus meiner Sicht auch ein Ort des Aufgehobenseins in der Klassengemein­schaft, und genau diese Gemeinschaft hat in den vergangenen 16 Monaten in der gewohnten Form nicht mehr stattfinden können. Daher möchte ich die Gelegenheit an dieser Stelle nutzen, sechs beziehungsweise elf Schultage vor Beginn der wahrlich wohlverdienten Ferien, um den Schülerinnen und Schülern einmal Danke zu sagen und auf der anderen Seite zu gratulieren – nämlich zu danken für ihr Durchhaltevermögen und ihr Verständnis, dass es auch für die Lehrkräfte nicht immer einfach war. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen in der LehrerInnenschaft bedanken, wie natürlich auch bei den Schulleiterinnen und Schulleitern für ihr wirklich tolles Engagement und ihren Einsatz in den vergangenen Monaten zum Wohle ihrer Schülerinnen und Schüler.

Ich glaube, sie alle können gemeinsam stolz darauf sein, was in diesen 16 Monaten trotz aller Hürden, die es gegeben hat, bewältigt worden ist. – Ein großes Kompliment und Gratulation von meiner Seite! (Beifall bei der SPÖ.)

So viel zum Positiven, das wir aus der Coronakrise im Bildungsbereich sehr wohl mit­nehmen können, wir wissen aber auch, dass es nicht für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen leicht war. Wir wissen, dass es Kinder und Jugendliche gibt, bei denen sich Lernlücken entwickelt und teilweise verfestigt haben. Wir wissen evidenzbasiert, dass die Bildungsschere in Österreich während der Pandemie noch weiter auseinan­dergegangen ist. Wir wissen, dass es Auswirkungen auf die Gesundheit und auf die Psyche der Kinder und Jugendlichen gibt.

Da könnte man jetzt natürlich auf die Idee kommen, dass das zuständige Ministerium auch wirklich alle möglichen Schritte unternimmt, um dem entgegenzuwirken, um den Druck, der zusätzlich entstanden ist, auch wirklich herauszunehmen. – Mitnichten, muss ich sagen, denn: Was tut das Ministerium? – Es schafft in Wahrheit weitere Hürden.

Genau deshalb sehen wir als Sozialdemokratie es auch mehr als kritisch, dass nun das Fach Lebende Fremdsprache – zumeist betrifft das natürlich Englisch – in der Volks­schule von der verbindlichen Übung – also ohne Note, sondern nur mit dem Vermerk teilgenommen im Zeugnis – zu einem Pflichtgegenstand in der dritten und vierten Schulstufe gemacht werden soll.

Ich weiß, wir haben im Ausschuss zwar vom Experten gehört, die Beurteilung solle keine Rolle spielen, gerade im Zusammenhang mit der AHS-Reife, er hat uns versichert, dass dazu natürlich auch der § 40 entsprechend hätte geändert werden müssen, aber, und Sie wissen das so gut wie wir alle, eine Ziffernnote ist immer in irgendeiner Form eine Einteilung in besser und schlechter, ist immer eine Selektion.

Gerade jetzt, so kurz vor Notenschluss, merkt man – das merke ich auch aus eigener Erfahrung –, wie sehr diesbezüglicher Druck besteht – Druck nämlich: Werde ich auf einer höheren Schule aufgenommen oder nicht? Es ist ein Druck, um zu zeigen: Nein, mir ist die Matura nicht geschenkt worden. Der Druck, die AHS-Reife zu erhalten, ist für die ganz Kleinen schon immens stark. Die frühe Selektion der Kinder wird damit aus meiner Sicht noch weiter befeuert werden, daher gibt es auch unsererseits keine Zustim­mung dazu.

Ebenfalls nicht mitgehen können wir bei der nun im Gesetzentwurf vorliegenden Verord­nungsermächtigung für Sie, Herr Minister, was auch mögliche kommende Lockdowns und Schulschließungen betrifft.

Man sollte eigentlich meinen, dass es jetzt nach 16 Monaten der Pandemie genügend Erfahrungen damit gibt und inzwischen auch genügend Pläne für unterschiedliche Situationen, die da entwickelt wurden, um einen neuerlichen Anstieg im Infektions­geschehen hintanzuhalten und dennoch die Schulen offenhalten zu können, also sozusagen: Wenn Situation A eintrifft, dann folgt Plan B, und dergleichen mehr. Statt­dessen soll es nun quasi eine Vollmacht für den Minister geben.

Der Experte im Ausschuss hat dazu ausgeführt, man werde sich im Falle des Falles am besten an Infektionszahlen und Inzidenzwerten orientieren. – Na ja, „am besten“ ist aus meiner Sicht eine wenig konkrete Aussage. Da hätten wir und vor allem die Betroffenen, nämlich Lehrer, Schüler, Eltern und alle, die dazugehören, uns zumindest ganz konkrete Angaben erwarten dürfen, worauf sich jetzt eine derartige Entscheidung stützen kann und darf – und das bereits jetzt im Lichte der Deltavariante, die ja, wie es ausschaut, auch in Österreich bereits verstärkt auftritt. Das heißt, wie kann ein sicherer Schulbetrieb im Herbst ohne Schulschließungen ermöglicht werden? Dazu haben wir bis dato eigentlich nicht wirklich viel gehört.

Worauf wir ebenso noch warten, sind die angekündigten neuen, verstärkt kompetenz­orientierten Lehrpläne. Diese sind ja grundsätzlich positiv zu beurteilen. Im Gesetz­entwurf geht es jetzt in erster Linie einmal darum, kosmetische Änderungen vorzuneh­men, da heißt es halt statt Musikerziehung nur mehr Musik, Bildnerische Erziehung wird jetzt in Kunst und Gestaltung umbenannt. – So weit, so gut. Wir werden uns aber auf alle Fälle die im Ausschuss für den Herbst in Aussicht gestellten neuen Lehrpläne ganz genau anschauen, gerade auch zumal in vielen Fällen ja die Kompetenzorientierung bereits jetzt gang und gäbe, also bereits gegebene Praxis ist.

Etwas, das wir uns auch noch gewünscht hätten, wäre die Berufsorientierung, die ja gerade in der Mittelschule ein sehr erfolgreiches Modell ist und als verbindliche Übung geführt wird. Da hätten wir uns ganz dringend gewünscht, dass das auch in der Unterstufe der AHS als verbindliche Übung und als Gegenstand eingeführt wird, denn diese Orientierung, diese Information ist gerade in Pubertätsphasen so wichtig, wenn in dem Alter vielleicht noch nicht ganz klar ist, wo es denn beruflich einmal hingehen soll.

Was mir persönlich noch fehlt, sind ganz konkrete Angaben bezüglich des Digitalisie­rungsplans, also des Achtpunkteplans, den Sie ja gestern im Rahmen der Pressekon­ferenz Nummer 300 – ich weiß es nicht genau, ich habe nicht mehr mitgezählt – prä­sentiert haben. Auch das: so weit, so gut.

Ja, der Ankauf der Endgeräte ist im Laufen, das ist so weit positiv. Ja, es wurde dieser Mooc ins Leben gerufen, der Massive Open Online Course, zur Vorabweiterbildung und Information der Lehrkräfte, die damit befasst sind – auch ich habe ihn gemacht, so nebenbei –, aber, das muss ich schon immer wieder feststellen, auch in der Presse­mappe, die ich auch gelesen habe, ist immer nur die Rede von den Bundesschulen. Im Pressepapier liest man kein Wort von Pflichtschulen, auf die wird offensichtlich gänzlich vergessen.

Darüber hinaus, und das muss ich Ihnen schon ganz deutlich sagen, fragen die Schulen, die an der Geräteinitiative teilnehmen, nach konkreten weiteren Schritten: Wie geht es jetzt weiter? Was passiert wann? Passiert im Juni noch etwas oder im September oder wann auch immer? Das heißt: Wann passiert was? Die Eltern wollen vor allen Dingen ganz genau wissen, wie es jetzt mit den Laptops, den Tablets ausschaut, und so weiter und so fort.

Ich orte hier, muss ich sagen, ganz große Unterschiede auch im Informationsbereich. Das heißt, da gibt es Bundesländer, die offensichtlich mehr wissen als andere, es gibt SchulleiterInnen, die mehr wissen als andere; es gibt SchulleiterInnen, die die Eltern bereits informieren können, andere nicht. Zuletzt habe ich in Niederösterreich gehört, dass das mit Oktober/November unter Umständen nichts werden könnte, also man vertröstet uns da schon möglicherweise eher auf das Semesterende. Da heißt es: Geduld haben! Planbarkeit für den Unterricht, für die eigene Praxis: Fehlanzeige. Planbarkeit für die Wartung und Instandhaltung der Geräte: auch Fehlanzeige, muss ich sagen.

Da ich es auch immer wieder Ihrerseits höre: Die Zuständigkeit, ob das jetzt das Ministerium oder die Bildungsdirektion ist, interessiert in diesem Fall die Eltern und die Lehrer in Wahrheit relativ wenig. Ich darf nur ganz kurz noch aus der Zeitschrift der Pflichtschulgewerkschaft zitieren (eine Ausgabe in die Höhe haltend), hier heißt es auch ganz eindeutig: „Es handelt sich hier nicht um Schulbücher, sondern um Hightechgeräte, die installiert, gewartet, vernetzt, aufgeladen, upgedatet und wohl auch überwacht wer­den müssen. Hier stellt sich grundsätzlich die Frage, wer dafür verantwortlich ist und wer sich um diese Thematiken kümmert.“ Und: „Wer stellt sich der Herausforderung und wer bezahlt sie?“ – Alles Fragen, die ungeklärt sind.

Ein letztes Thema anzusprechen sei mir noch erlaubt, auch das liegt mir persönlich sehr am Herzen, von dem habe ich eigentlich seit Schwarz-Blau nichts gehört und auch unter Türkis-Grün leider sehr wenig, nämlich die inklusive Bildung. Dazu höre ich rein gar nichts außer Lippenbekenntnissen, muss ich sagen. Wir setzen in Österreich in Wahrheit die UN-Behindertenrechtskonvention, zu der wir uns bekannt haben, nicht um. Öster­reich ist da nach wie vor säumig, und dabei, muss ich sagen, ist es eigentlich ganz, ganz einfach. Das Geld für Neubauten von Sonderschulen ist da, wie zum Beispiel bei mir in meinem Heimatbezirk. Wenn das Geld da ist, muss aber auch eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Form der Inklusion da sein, und dann ist es auch da, wenn man es denn möchte – aber auch in diesem Bereich geht Ihnen offenbar Selektion und Sepa­ration vor Bildungsgerechtigkeit und vor allem Chancengerechtigkeit.

Abschließend bitte ich Sie hier wirklich, Ihre Augen, Ihre Ohren zu öffnen und zu schau­en, wo es bereits Leuchtturm- und Vorzeigebeispiele und -projekte gibt, wo inklusive Bildung bereits gelebt wird, und nein – in Richtung auch der FPÖ –, das hat nichts mit Parteiideologie zu tun, denn aus meiner Sicht ist eines ganz wichtig: Egal, wo ein Kind herkommt, egal, wer seine Eltern sind und wie viel sie verdienen, jedes Kind ist ein Kind ist ein Kind und hat die gleichen Chancen auf die beste Bildung verdient. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, jetzt arbeiten, damit eben alle Kinder gemeinsam und vonei­nander lernen können. Das wäre meine große Bitte über die Sommerferien an Sie, Herr Minister. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

14.05

Präsident Mag. Christian Buchmann: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Judith Ringer. – Bitte.